Stabat Mater, G. B. Pergolesi (1710 -1736)
A. Netrebko, M. Pizzolato, A. Pappano

Stabat Mater Pergolesi

Das Stabat Mater ist eines der schönsten Werke geistlicher Musik überhaupt. Der 26-jährige Pergolesi hat es erst kurz vor seinem Tode vollendet. Parallelen zu Mozart und seinem Requiem drängen sich auf und haben auch tatsächlich immer wieder die Fantasien beflügelt. Weil das Stabat mater allein nur 37:06 Minuten der CD belegt hätte, sind als "Tribute to Pergolesi" - und durchaus nicht als Lückenfüller - zwei weltliche Kantaten und eine "Sinfonia" hinzugefügt worden.
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Anna Netrebkos strahlender Opernsopran in einem sakralen Barockstück, geht das überhaupt? Die Netrebko hat sich diese Frage nicht zuletzt auch selbst gestellt und sicherheitshalber auch gleich selbst beantwortet: "Keine Angst, ich werde nicht auf die puristische Barockschiene umschwenken. Ich singe auf meine ganz eigene, sehr italienische Weise". Und weiter: "Ich liebe das Stück. Für mich war es eine ganz neue Erfahrung und so aufregend. Es fühlt sich an, als hätte ich eine neue Seite aufgeschlagen. Zuerst versuchte ich, meine Stimme zurückzunehmen und wie eine Barocksängerin zu singen, aber dann fand ich die Idee nicht mehr so gut. Ich musste einen Mittelweg finden und mit meiner eigenen Stimme singen."

Und sie scheinen trotzdem ziemlich kompliziert und anstrengend gewesen zu sein, die Proben zur Aufführung und Live-Aufzeichnung des Stabat Mater im Baden Badener Festspielhaus (Juli 2010). Auch für Annas Partnerin, die Mezzosopranistin Marianna Pizzolato und den Dirigenten Antonio Pappano (zugleich musikalischer Leiter des Royal Opera House, Covent Garden) stellten die Einstudierungen neue Herausforderungen dar. Allein das Kammerorchester "orchestra dell `accademia nazionale di santa cecilia" war mit dem Stil "Alter Musik" erfahren, tritt es doch häufig - allerdings mittels Verwendung "moderner Instrumente" - unter der Leitung von Ton Koopmann auf. Zudem hat sich der Konzertmeister Alessandro Moccia explizit auf Barockmusik spezialisiert.

Es muss ein sehr spannender Prozess gewesen sein, wenn man das ausführliche Booklet liest. Und das Ergebnis ist auch anders, als von vielen erwartet. Jedenfalls hat es manchen überrascht, auch wohl irritiert. Und das wegen der offenkundigen strahlenden Opulenz der beiden Stimmen, die so ganz und gar anders klingen als in mancher vergleichsweise eher spröde wirkenden bisherigen Produktion. Ich aber meine, das Stabat Mater darf ruhig strahlen. Das Barock war doch ein pralles, sinnenfrohes Zeitalter, man schaue sich nur einmal in italienischen oder K&K-Kirchen dieser Zeit um! Aber ist es nicht ohnehin schön, dass ein und die gleiche Musik auf so unterschiedliche Art und Weise, also eher expressiv oder eher zurückgenommen erfahren werden kann?! Warum sollte man sich für immer festlegen!

Netrebko und Pizzolata harmonieren in den Duetten warm, kraftvoll und intensiv, die Vibrati schwingen unglaublich homogen "wie aus einer Kehle". Man höre sich nur die beiden letzten Stücke, das ,,lnflammatus et accensus" und ,,Quando corpus morietur" mit dem ergreifenden "Amen" an. Da kann es einem den Rücken herunterrieseln. Übrigens sind beide Stimmlagen wohl weniger kontrastierend, tonal weniger weit auseinander, als Pergolesi sich das ursprünglich einmal vorgestellt hat. Pizzolatos sonorer "contralto", ja ohnehin eher ein nicht ganz so tiefer Mezzosopran, kontrastiert recht wenig zu Netrebkos silbernem Sopran. Ein Nachteil? Ein Vorteil? Schwer zu sagen und wohl letztlich "Geschmackssache".

Anna Netrebko will sich offenbar nicht auf das Opernfach festlegen lassen. Nach ihrer "Mutter-Auszeit" hat sie uns ja bereits überrascht mit einem russischen Liederabend in Salzburg, begleitet von Daniel Barenboim am Klavier. Und jetzt geistliche Barockmusik! Aber warum eigentlich nicht?

Hier ein kurzes Statement von Peter Jarolin im österreichischen Kurier: "Antonio Pappanos Dirigat ist wunderschön, klar, farbenfroh und sehr differenziert. Marianna Pizzolato (Alt) singt ihren Part tadellos und Anna Netrebko ist einfach eine stimmliche Sensation. Ihr Sopran strahlt wie ein Traum, beinhaltet unzählige Schraffierungen, ist unfassbar schön."

Pergolesi war bereits unheilbar an Tuberkulose erkrankt, als er sich zur Erholung in Badeort Pozzuoli bei Neapel einfand. Dort entstand, wohl im Auftrag der "Confraternità dei Cavalieri di S. Luigi di Palazzo", das Stabat Mater (= "Die Mutter stand"), das als seine letzte vollendete Komposition gilt. Pergolesi stirbt am 16.3.1736.

Das Thema von Stabat Mater geht zurück auf einen Gesang aus dem 13. Jahrhundert, in dem Maria ihren gekreuzigten Sohn beweint. Dieses Motiv abgrundtiefer Trauer hat zu allen Zeiten Komponisten und bildende Künstler inspiriert. Heute ist das Stabat Mater Pergolesis eigentliches Vermächtnis, dagegen sind seine "komischen Opern" fast vergessen.

Nach Giovanni Battista Pergolesis Tod wurde das Stabat Mater von zahlreichen Komponisten umgearbeitet, auch J.S. Bach, Salieri, Süßmayr und Nicolai haben Adaptionen verfertigt. Pergolesi war im 18. Jahrhundert in aller Munde und das Stabat Mater eines der am häufigsten aufgeführten Werke. Heute hören wir zumeist wieder die ursprüngliche Fassung, die auch dieser DG-Aufnahme zu Grunde liegt.

Aber auch die beiden vorangestellten weltlichen Kantaten sind spektakulär: Anna Netrebko singt das ihr seit Jahren vertraute "Nel chiuso centro" und Marianna Pizzolata das teils dramatische, teils sensible "Questo è il piano". Beide Sängerinnen haben sich das jeweilige Stück selbst ausgewählt. Die Solokantaten werden durch eine kurze Sinfonia verbunden, ein nur 5 Minuten dauerndes italienisch-barockes Instrumentalstück.

Das Album erscheint in zwei Versionen: Standard Jewel Case oder Prestige Edition mit Bonus DVD. Letztere ist allein durch das gediegene 60 Seiten umfassende Booklet und die gesamte Aufmachung die empfehlenswertere Wahl.

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