Mozart - Don Giovanni - © Klaus Körner

Klaus Körner, Don Giovanni, Mozart,

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Die folgende Arbeit über Mozarts Meister-Oper "Don Giovanni" verdanke ich Klaus Körner, Lengerich. Die Ausführungen sind bestens geeignet zur Einführung in das Werk, aber auch zu dessen Vertiefung.

Gegliedert ist die Übersicht wie folgt:

  • Das Werk
  • Die Handlung
  • Die Figuren
  • Die Musik
  • Die Inszenierungen

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Das Werk:

Die Geschichte des Don Giovanni ist zunächst einmal auch die Geschichte des Figaro (Le nozze di Figaro). Mozarts Oper Figaros Hochzeit wurde am 01. Mai 1786 in Wien uraufgeführt - und fiel dort durch. Man konnte mit dem Werk nichts anfangen. Gleichzeitig mit dem Figaro war in Wien eine Oper von Solier (una cosa rara) aufgeführt worden, von der die ganze Stadt sprach. Der Figaro wurde insgesamt nur neunmal gegeben und verschwand danach praktisch in der Vesenkung.

Hinzu kam, dass ein am 18.Oktober1786 geborener Sohn Mozarts bereits 4 Wochen später verstarb. Wolfgang und Konstanze waren - wie man sich denken kann - in Depressionen versunken. Sie wollten Wien am liebsten verlassen. Wolfgang überlegt, ob er nach London oder Paris gehen soll. Aber dann kommt im Winter (wohl Dezember 1786) eine Einladung aus Prag, dort dem Figaro beizuwohnen. Am 8. Januar 1787 brechen die Mozarts auf und erleben am 17. Januar 1787 eine stürmisch bejubelte Figaro-Aufführung. Mozart wurde in Prag wie ein Held gefeiert, insbesondere nachdem er höchstpersönlich am 20. Januar 1787 vom Cembalo aus das Orchester und die Vorstellung geleitet hatte.

Auch finanziell war die Reise nach Prag für den immer klammen Mozart ein Erfolg, sein Vater Leopold beziffert die Einnahmen in dieser Zeit auf ca. 1.000 Gulden. Mozart verdiente also recht gut. Wenn er, gerade auch am Lebensende, regelrecht verarmt war, lag das wohl in erster Linie daran, dass er ein Spieler war und alles Geld verzockte.

Es kam dann der berühmte Satz von Mozart: "Für ein solches Publikum würde ich gerne eine Oper schreiben", den der damalige Theaterdirektor Pasquale Bondini umgehend aufnahm und ein Honorar von 100 Dukaten anbot, für eine Oper, die bis zum Herbst fertig sein sollte.

Zurück in Wien setzte sich Mozart sofort mit seinem Librettisten Da Ponte in Verbindung, um einen Stoff zu finden. Der machte sich unverzüglich ans Werk.

Währenddessen beginnt Mozart schon zu komponieren. Nebenbei gibt es wohl die berühmte Begegnung mit dem siebzehnjährigen Beethoven, die Anfang April 1787 stattgefunden haben muss; sein Vater erkrankt schwer und stirbt am 28. Mai 1787. Ein sehr tiefer Einschnitt in das Leben der Frohnatur Wolfgang Amadeus Mozart, der sich eigentlich gar nicht vorstellen konnte, dass sein Vater überhaupt jemals sterben könnte. Dennoch schreibt er auch zu dieser Zeit weiter an seiner grandiosen Oper Don Giovanni, wobei der Verlust des Vaters durchaus Einflüsse auf die Komposition haben dürfte.

Im Juni 1787 ist das Libretto von Don Giovanni vollendet. In einigen Biografien Mozarts heißt es, dass er erst dann mit der Komposition begonnen hätte. Nach neueren Forschungen jedoch nimmt man eher an, Mozart habe in seiner überschwänglichen Art und Ungeduld bereits früher angefangen, Bruchstücke, die er von Da Ponte bekam, zu vertonen. Ähnliches berichtet auch Da Ponte in seinen Memoiren, die er allerdings erst 40 Jahre später niederschrieb. Da Ponte schreibt auch, das Libretto zum Don Giovanni sei innerhalb 2 Monaten fertiggestellt gewesen, auch hier sind allerdings Zweifel angebracht. Etwa Mitte Februar kam Mozart aus Prag zurück und setzte sich mit Da Ponte in Verbindung. Dann hätte das Libretto aber spätestens Ende April vollendet sein müssen und nicht, wie es überliefert ist, erst im Juni 1787.

Anfang Oktober 1787 fahren die Mozarts nach Prag, die Premiere des Giovanni war für den 14. Oktober geplant. An diesem Tage sollte Kaiserin Maria Theresia mit ihrem frisch angetrauten Mann geehrt werden, wofür der Don Giovanni vorgesehen war. Da das Stück, vor allem die Partitur noch nicht fertig war, wurde am 14. Oktober "nur" der Figaro gegeben. Dieser aber war selbstverständlich wieder einmal ein rauschender Erfolg. Schließlich trägt Mozart selber den 28. Oktober als Vollendung des Giovanni in sein Kompositionsregister ein. Am 29.Oktober schon sollte die Uraufführung sein, aber es fehlte immer noch die Ouvertüre.

Hierzu wird von einem Zeitgenossen folgendes überliefert:

Endlich sagte einer seiner Vertrauten: "Mozart, und Du hast die Ouvertüre noch nicht fertig". Mozart stellte sich, als würde er ein wenig verlegen, ging in ein Nebenzimmer, wohin man ihm Notenpapier, Feder und Tinte geschafft hatte, fing um Mitternacht an zu schreiben und vollendete bis zum frühen Morgen in wenigen Stunden eine der vortrefflichsten aller seiner und aller anderen Ouvertüren. Um 7:00 Uhr abends, da die Oper anfangen sollte, waren die Kopisten mit den Stimmen noch nicht fertig, man musste daher warten. Um ¼ auf 8:00 Uhr brachte man die Orchesterstimmen noch voller Streusand in das Orchester; zur gleichen Zeit betrat auch Mozart den Raum, um die erste Produktion zu dirigieren. Die Ouvertüre, die vorher also gar nicht geprobt werden konnte, begann nun; das Wohlgefallen, das sie weckte, wurde immer größer und größer und verwandelte sich schließlich in lauten Jubel. Nach Aufgehen des Vorhangs sagte Mozart zu einigen ihm zunächst Sitzenden: "Es sind zwar viele Noten unter die Pulte gefallen, aber im Ganzen ist die Ouvertüre doch recht gut vonstatten gegangen!"

Hier sind wir wieder bei der Kunst Mozarts, der die Ouvertüre mit Sicherheit nicht wirklich erst in dieser Nacht komponiert hat. Es wird wohl eher so gewesen sein, wie er es einmal zu seinem Vater gesagt hat: "komponiert ist es längst, ich muss es nur noch niederschreiben". Das Genie Mozarts besteht wohl eben auch darin, im Geist zu komponieren, selbst große Werk fertig im Kopf zu haben und so in Erinnerung zu behalten, dass er sie später im Ganzen abrufen und niederschreiben konnte.

Kurzum, der Erfolg war grandios, der Don Giovanni wurde in 6 Tagen 4 mal gegeben. Und vor allem in Prag hielt der Erfolg an.

Anders in Wien. Hier war die Premiere am 7. Mai 1788, aber das Stück gefiel nicht. Kaiser Franz Joseph soll angeblich geäußert haben: "dieses Werk ist himmlisch, es ist noch schöner als die Hochzeit des Figaro, aber es ist kein Bissen für meine Wiener".

So blieb es auch. Zu Mozarts Lebzeiten wurde der Don Giovanni in Wien nur selten gegeben. Heute ist er eine der größten Opern überhaupt und vom musikalischen her sogar Wegbereiter für die späteren Romantiker von Carl Maria von Weber über Richard Wagner bis zu Gustav Mahler und Richard Strauss.

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Die Handlung:

1. Akt
1. Szene:

Eine Stadt in Spanien, etwa Mitte des 18. Jahrhunderts.

Vor dem Palast des Komturs hält Leporello Wache und beschwert sich über den Dienst bei Don Giovanni, seinem Herren. Tag und Nacht habe er sich zu mühen und zu plagen, aber anerkannt werde das ungerechterweise nicht.

Don Giovanni hat sich mittlerweile maskiert und ist in das Schlafzimmer von Donna Anna geschlichen, um sie zu verführen, wenn nicht gar zu vergewaltigen. Plötzlich stürzt er auf die Bühne, während Donna Anna versucht, ihn festzuhalten. Ihr Vater, der Komtur, kommt ihr zu Hilfe. Er fordert Don Giovanni förmlich zum Duell, bei dem er unterliegt und getötet wird.

Don Giovanni kann unerkannt flüchten. Inzwischen kommt Don Ottavio, Donna Annas Verlobter, herein, sieht dass er nicht mehr helfen kann und versucht, seine Verlobte zu trösten. Diese ringt ihm einen Racheschwur ab.

2. Szene:

Am nächsten Tag, auf einem Platz irgendwo in der Stadt, tritt Donna Elvira auf. Sie ist auf der Suche nach Don Giovanni, der sie mit einem Eheversprechen verführt hat und dann sitzen ließ. Sie trifft auf Leporello, der sich öffentlich über sie lustig macht und ihr erklärt, sie sei lange nicht die einzige Geliebte seines Herren. Er, Leporello, führe Register über die gesamten Liebschaften von Don Giovanni und zählt ihr diese dann sogar einzeln auf. Donna Elvira kocht vor Wut und schwört ebenfalls Rache.

Da kommt eine Truppe auf "Junggesellenabschied". Es sind junge Bauern, die die Hochzeit von Masetto und Zerlina feiern wollen. Don Giovanni wirft ein Auge auf die blutjunge, hübsche und naive Braut Zerlina, und sieht in ihr sofort das nächste Opfer. Unter einem Vorwand schickt er Masetto fort und macht sich an Zerlina heran, die in ihrer Naivität Don Giovanni ohne Gegenwehr verfällt. Donna Elvira hat den Annäherungsversuch mitbekommen und kann Zerlina erfolgreich warnen. Damit ist Don Giovanni zunächst einmal kaltgestellt.

Don Giovanni schmiedet einen Plan, um sich der schönen Zerlina dennoch zu bemächtigen: Er bittet zu einem großen Fest auf sein Schloss, alle werden eingeladen! Donna Anna und Don Ottavio, Donna Elvira, die er den beiden als "Geistesverwirrte" vorstellt, und natürlich auch Zerlina. Donna Anna hat an Tonfall und Redewendungen den Mörder ihres Vaters erkannt und fordert Don Ottavio zur Rache auf. Inzwischen verkündet Don Giovanni Leporello, dass er auf dem Fest seine nächste Eroberung machen wolle.

3. Szene:

Masetto rast vor Eifersucht. Auf den Weg zum Schloss bitte Zerlina Masetto in einer ganz anrührenden Arie um Verzeihung. Aber auch wenn Masetto nur ein einfacher Bauerntölpel ist, hat er doch mitbekommen, dass Don Giovanni seine junge Braut auf dem Fest verführen will und dass Zerlina durchaus auch bereit ist, sich verführen zu lassen. Zum Schein geht er auf die Beruhigung von Zerlina ein, versteckt sich allerdings, um sie zu beobachten.

Da erscheinen auf dem Fest drei Maskierte (Anna, Ottavio, Elvira) die sich jetzt gegen Don Giovanni verbündet haben und ihr Rachegelöbnis erfüllen wollen.

4. Szene:

Der Ball ist in vollem Gange, Don Giovanni tanzt mit Zerlina und zieht sie in ein Séparée. Man hört in die Ballmusik hinein einen Hilferuf. Alle dringen auf Don Giovanni ein, auch die 3 Maskierten sind dabei. Don Ottavio zieht eine Pistole und richtet sie auf Don Giovanni. Dieser, in seiner Not, zeigt auf Leporello und bezichtigt ihn, der Verführer zu sein. Da stürzen sich alle auf den armen Leporello, der fürchterlich verprügelt wird, während Don Giovanni im allgemeinen Tumult flüchten kann.

2. Akt
1. Szene:

Leporello will kündigen, weil ihn die Eskapaden Don Giovannis fast das Leben gekostet haben. Don Giovanni hingegen jagt schon wieder einem Mädchen nach. Er überredet Leporello, die Kleider zu tauschen. Er will sich als sein eigener Diener bei Elviras Kammerzofe einschleichen. Da tritt Elvira auf den Balkon. Also soll jetzt Leporello in Don Giovannis Kleidern Donna Elvira ablenken und ihr tiefe Reue und ebensolche Liebe vorspielen, damit Don Giovanni bei der Zofe freie Bahn hat.
Don Giovanni bringt der Zofe ein Ständchen, nämlich die Fensterarie "Deh vieni alla finestra" (Komm ans Fenster).

Währenddessen erscheinen plötzlich Masetto und eine Schar Bauernburschen, die nach Don Giovanni suchen, um sich an ihm zu rächen. Der als Leporello verkleidete Don Giovanni schickt die Bauern in die Irre und verprügelt Masetto. Zerlina findet den fürchterlich Jammernden und tröstet ihn mit einer wirklich schönen Arie. Im Übrigen schafft sie es natürlich, charmant wie sie ist, ihn um den Finger zu wickeln.

2. Szene:

Inzwischen wollen Donna Anna und Don Ottavio den Komtur beerdigen. Donna Anna trauert natürlich. Sie treffen auf Elvira und Leporello, der sich nunmehr auch als solcher zu erkennen gibt und um Gnade bittet. Er kann dem Zorn der drei gerade noch entkommen. Don Ottavio versucht am Schluss dieser Szene wieder einmal, Donna Anna zu trösten.

3. Szene:

Es ist Nacht. Don Giovanni und Leporello sind, warum auch immer, auf dem Friedhof vor dem Grabmal des Komturs. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Abenteuer, die sie in der jeweiligen Verkleidungen des anderen erlebt haben.

Plötzlich spricht eine Friedhofsstatue, und zwar mit der Stimme des von Don Giovanni ermordeten Komturs. Während Leporello vor Schreck fast umkommt, bewahrt Don Giovanni Haltung und lädt die Statue aufs Schloss zum Essen ein. Die Statue sagt zu.

4. Szene:

In einem Parallelbild tröstet Don Ottavio einmal mehr Donna Anna und versichert ihr, dass der Mord an ihrem Vater bald gerächt werde.

5. Szene:

In Don Giovannis Schloss hat mittlerweile Leporello alles für das Mahl vorbereitet. Er hat Hunger, darf aber nicht zugreifen und schiebt sich heimlich, während er Don Giovanni bedient, ein Hühnerbein in den Mund. Gerade in dieser Szene, auf die eigentlich die ganze Dramatik der Oper zusteuert, kann sich Mozart offenbar einige Scherze nicht verkneifen. Einerseits die Szene mit dem Hühnerbein, andererseits indem er die Kapelle Melodien und Tänze aus den Stücken des Don Giovanni spielen lässt. Don Giovanni sagt zu Leporello: Diese Musik kenne ich doch? Will Mozart vielleicht mit einem Augenzwinkern die Dramatik entschärfen?

Da erscheint Donna Elvira. Sie beschwört Don Giovanni ein letztes Mal, umzukehren; sonst werde es ein böses Ende mit ihm nehmen. Giovanni aber stößt sie zurück und bedeutet ihr, dass sie ihm nur noch lästig sei. Als Elvira den Festsaal verlässt, kommt ihr die Statue, also der Komtur als "Steinerner Gast", entgegen. Sie schreit auf. Don Giovanni fordert Leporello auf, nachzusehen, was da los sei. Leporello trifft auf den Komtur und schreit ebenfalls auf.

Die Statue kommt herein und fordert Don Giovanni auf, seine Verbrechen zu bereuen. Doch der weigert sich. Die Warnungen und Drohungen der Statue werden immer eindringlicher, aber Don Giovanni bleibt stur.

Daraufhin lädt nunmehr der Komtur seinerseits Don Giovanni zu einem Gastmahl ein. Allen, auch Don Giovanni, ist klar, dass dieses Gastmahl in der Hölle stattfinden wird. Don Giovanni nimmt an und gibt dem Komtur zur Bestätigung die Hand. Das ist sein Ende! Die Flammen der Hölle verschlingen ihn!

In der Schlussszene erscheinen alle noch einmal, die unter Don Giovanni gelitten haben: Leporello, der sich nunmehr einen anderen, besseren Herren suchen will und muss; Donna Elvira, die den Verlust Don Giovannis immer noch nicht verschmerzen kann und ins Kloster geht; Donna Anna, die Don Ottavio klarmacht, dass sie auf jeden Fall ein Trauerjahr braucht und er sich so lange gedulden muss. Nur die beiden Bauernkinder Zerlina und Masetto sind fröhlich und unbeschwert und wollen jetzt endlich ihrer Hochzeit feiern.

Die Moral hat wieder einmal gesiegt. Alle singen voller Inbrunst, dass sich böse Taten nicht lohnen und dass der Bösewicht seiner gerechten Strafe niemals entgeht.

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Die Figuren:

Die ursprüngliche Figur des Don Giovanni dürfte als "Don Juan" aus dem Spanischen stammen und zwar wohl aus der Feder des Mönchs Gabriel Téllez, der zwischen 1547 und 1616 in Madrid lebte. Er hat mehrere Bühnenwerke geschrieben, die allerdings nur noch in Fragmenten vorhanden sind. Eines davon ist der "El burlador de Sevilla", der "Ur-Don Juan".

Dieser ist ähnlich wie Don Giovanni kein Frauenverführer, sondern eher ein Frauenvergewaltiger. Don Giovanni wird oft fälschlich mit Casanova gleichgesetzt, beide Figuren haben aber absolut nichts miteinander gemein. Casanova war der Mann, der die Frauen liebte und den die Frauen liebten. Er verführte sie kunstvoll und sie liebten ihn dafür.

Don Giovanni ist eher wie der Herzog von Mantua in Rigoletto ein Mann, der die Frauen verachtet und sich ohne Rücksicht auf deren Gefühle nimmt, was er will, notfalls mit Gewalt. So ist ja schon gleich zu Beginn der Oper Donna Anna sein erstes Opfer.

Don Giovanni ist also eigentlich eine absolut negative besetzte Persönlichkeit, eher hassens-, als liebenswert. Das einzige, was ihn vielleicht (mir zumindest) sympathisch macht, ist seine Haltung in der Schlussszene, als er sich auch angesichts des Todes gegenüber dem Steinernen Gast weigert, zu bereuen. Hier zeigt er Haltung.

Sein Diener Leporello ist der perfekte Gegenpart. Dem gemeinen Volke angehörend ist er ein echter Diener und seinem Herrn bis zum letzten ergeben. Trotzdem sieht er die Taten seines Herrn kritisch und missbilligt sie. Natürlich aber weigert er sich nicht, Don Giovannis Befehle zu befolgen.

Mit dem Part des Leporello betritt Mozart geradezu revolutionäres Neuland, das entsprechend von der damals allgemein üblichen Opern-Zensur eher missbilligend aufgenommen wurde. Sieht man sich den Part des Leporello an, so ist die Nebengestalt des Dieners genauso breit angelegt, wie die der Hauptperson, des Herren Don Giovanni. Wenn man mit der Stoppuhr misst, wird man feststellen, dass Leporello exakt genauso lange auf der Bühne präsent ist, wie sein Herr Don Giovanni (nämlich jeweils ca. 1 ½ Stunden); eine Riesenrolle! Darüber hinaus ist es auch eine Besonderheit, dass Leporello, der Diener, in der gleichen Stimmlage singt wie Don Giovanni, der Herr, nämlich Bass Bariton. Auch das ist ungewöhnlich, traditionell hat eigentlich der Diener Tenor zu singen, wenn der Herr Bass ist.

Wie gesagt, wurden diese und andere "Freiheiten" schon seinerzeit kritisch von der Zensur beäugt. Mozart flüchtete sich allerdings aus dem Dilemma, in dem er einfach sagte: "ihm sei nichts Besseres eingefallen". Dass die Zensur gerade einem Mozart dieses abgenommen hat, zeugt von ihrem "Musikverständnis".

Donna Anna (Koloratursopran) ist eine junge, etwas überdrehte Frau. Sie ist die Verlobte des Don Ottavio. Von Don Giovanni wird sie in der Eingangsszene wahrscheinlich vergewaltigt. Genau lässt die Oper das nicht erkennen. Man muss allerdings wohl vermuten, dass diese Liebesnacht mit Don Giovanni nicht ganz freiwillig war. Sie berichtet in einer Szene Don Ottavio, dass ein verhüllter Mann sich Zutritt zu ihrer Kammer verschafft, sie umarmt und bedrängt habe. "Mit einer Hand will er mich am Schreien hindern, mit der anderen fasst er mich so fest, dass ich mich schon verloren glaube". Wer etwas weniger gutgläubig ist als Don Ottavio, muss allerdings schon davon ausgehen, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist.

Der Tod Ihres Vaters lässt Donna Anna fast wahnsinnig werden, sie wird zur Furie. Sie will Blut sehen und wird nicht müde, ihrem Verlobten Don Ottavio einen Racheeid abzutrotzen.

Don Ottavio, Tenor - im Übrigen die einzige Tenorpartie in der ganzen Oper; auch das ist etwas Besonderes. Der Tenor ist normalerweise in einer Oper der Held. Hier ist der Tenor, Don Ottavio, ein armer Teufel und der typische Looser. Bei Donna Anna kann er nicht wirklich landen, beim Tod des Komtur kommt er zu spät. Donna Anna führt ihn wie einen Tanzbären an der Nase herum, sie sagt ihm, was er zu tun und zu lassen hat.

Das ist der eine Eindruck.

Der andere ist, dass er Donna Anna bedingungslos und leidenschaftlich liebt. In dieser Liebe ist er dramaturgisch der absolute Gegenentwurf zu Don Giovanni. Der lebt seine Lust aus. Don Ottavio stellt dagegen seine Sehnsucht zurück, er will die Liebe Donna Annas fürs Leben und nicht nur für den vorrübergehenden Augenblick. Auch als in der Schlussszene Donna Anna ihm kurz und bündig sagt, er müsse auf jeden Fall noch ein Jahr warten, akzeptiert er dieses um der Sache, nämlich der Liebe wegen.

Man könnte also Don Ottavio auch als den Prototyp eines aufgeklärt denkenden Menschen bezeichnen, der sich nicht von Leidenschaften leiten lässt, sondern rationale Überlegung zur Grundlage seines Handels macht. So wird aus dem liebenden Trottel doch noch irgendwie eine Heldengestalt.

Donna Elvira, Koloratursopran, sieht sich als "quasi Ehefrau" des Don Giovanni. Sie ist ihm quer durch Spanien nachgereist, angeblich, um sich an ihm zu rächen. Tatsächlich aber kann sie es wohl nicht verwinden, dass er sie einfach sitzen ließ, nachdem er ihr die Ehe versprochen und sie damit "rumgekriegt" hat.

Donna Elvira ist nicht einfach die leidende verlassene Frau, sondern die Kämpferin. Sie will ihre seelischen Verletzungen ausleben und sie will warnen, nicht nur die anderen Frauen, sondern auch Don Giovanni selbst. Sie ist klug, scharfzüngig, aggressiv und verletzend. Also im heutigen Sinne eine emanzipierte Frau, die in der Lage ist, genau mit den Waffen zurückzuschlagen, die auch ihr gegenüber benutzt werden.

Masetto, Bass, ist, wenn man so will, ein Bauerntölpel. Don Giovanni erkennt dies und nutzt es aus. Masetto hat gegenüber dem Grande Don Giovanni nicht die geringste Chance, weder bildungsmäßig, noch standesmäßig, noch finanziell. Aus diesem Grunde gibt sich Don Giovanni auch gar nicht erst mit ihm ab; er überlässt dies seinem Diener fürs Grobe, Leporello.

Dass der vornehme Herr seine Braut Zerlina ausgerechnet an ihrem und seinem Hochzeitstag verführen will, merkt er allerdings sofort und wird rasend vor Eifersucht. Diese Wut macht ihn so blind, dass er nicht einmal den verkleideten Don Giovanni erkennt, sondern ihm sogar noch seine Waffen gibt und anschließend Prügel bezieht.

Zerlina, Mezzosopran, ist die junge und hübsche Verlobte von Masetto, die "Unschuld vom Lande". Und genauso wenig unschuldig wie die "Unschuld vom Lande" ist auch Zerlina. Für den großen Herren Don Giovanni ist sie eine leichte Beute. Er verkörpert all` das, was sie bei dem Bauerntölpel Masetto nicht findet und nie finden wird. Don Giovanni taucht auf wie ein Märchenprinz, und sie fällt viel zu gerne auf ihn herein.

Der Komtur (Kommendatore, auch "Steinerne Gast"), Bass, ist der Statthalter und oberste Richter. Wie beispielsweise der Herzog von Mantua im Rigoletto hat auch der Komtur keinen Namen. Er ist keineswegs, wie Don Giovanni glauben machen will, ein törichter Greis, sondern ein gestandener Mann, der eine der wichtigsten Positionen des Ortes bzw. der Stadt einnimmt.

Andererseits ist sein Tod gleich am Anfang der Oper eigentlich ein selbstmörderischer Akt. Der Komtur drängt sich regelrecht danach, mit dem jungen und kämpferisch geübten Don Giovanni ein Duell auszufechten, von dem er eigentlich wissen müsste, dass er es verlieren wird.

Dramaturgisch ist die Ermordung des Komturs allerdings absolut notwendig; damit ist die Grenze, die "red line", überschritten. Nun wird aus dem Spiel mit der Liebe ein Spiel auf Leben und Tod. Und nur so kann der Komtur (noch als Toter) Don Giovanni zur Rechenschaft ziehen, so wie im Rigoletto der Graf von Monterone seinen Fluch über Rigoletto letztlich durch Gildas Tod verwirklicht.

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Die Musik:

Die Ouvertüre steht in d-moll. Auch die Haupttonart des Don Giovanni ist d-moll, eine Tonart, die häufig den ernsten oder auf das Jenseits bezogenen Dingen zugeordnet wird. Hier die wichtigsten Beispiele: Don Giovanni, Ouvertüre und Komturszenen; Mozarts Requiem; Franz Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen"; Arie des König Philipp in Verdis Don Carlos: Sie hat mich nie geliebt.

Johann Mattheson beschreibt in Das neueröffnete Orchestre im Jahr 1713 die Charakteristik von d-Moll als "etwas devotes, ruhiges, dabey auch etwas grosses, angenehmes und zufriedenes [……] dannenhero derselbe Tohn in Kirchensachen die Andacht, in communi vita aber die Gemüths-Ruhe zu befördern capable sey".

Neben d-Moll setzt Mozart auch g-Moll als Schicksalstonart ein, hier insbesondere in der grandiosen Arie des Don Ottavio "Il mio tesoro"(Eilt, meine Geliebte zu trösten).

Dagegen hat Mozart die Tonarten A-Dur und D-Dur dem niederen Volk vorbehalten, so auch Leporello.

Hier kommen wir zu einem der Höhepunkte der Oper, der berühmten Registerarie "Madamina, il catalogo è questo". Sie ist eine besonderes brillante Arie für einen Basso Buffo (einen komischen Bass); sie gibt dem Sänger Gelegenheit, Witz, Sensibilität und Technik zu demonstrieren und gleichzeitig durchblicken zu lassen, dass er, Leporello zwar seinen Herrn verspottet, ihn aber auch beneidet. Leporello macht sich sowohl über Don Giovanni lustig, als auch über Elvira, der er schadenfroh aufzeigt, welch im Grunde frauenverachtenden Playboy sie liebt. Das Orchester unterstützt ihn dabei; insbesondere die Streicher brechen immer wieder in höhnisches Gelächter aus. Im weiteren Verlauf bezeichnet Don Giovanni seinen Diener einmal als "buffone" (Hofnarr). Von diesem Wort stammt die spätere Rollenbezeichnung "Buffo" ab, der häufig die heimliche Rolle des Hauptdarstellers hat, wie beispielsweise Papageno in Mozarts Zauberflöte.

Die Verführung der Zerlina und die ganze sich darum rankende Szene ist ein weiterer Höhepunkt. Zerlina ist hin- und hergerissen, sie denkt an ihren Verlobten Masetto, fühlt sich aber natürlich auch von dem hohen Herren Don Giovanni angezogen.

Hevorzuheben ist hier das Duett Don Giovanni/Zerlina "La ci darem la mano" (Reich mir die Hand, mein Leben). Die ganze Szene ist ein einziger Verführungsversuch, nicht zuletzt getragen auch und gerade durch Mozarts kompositorische Mittel. Und wenn Don Giovanni und Zerlina schließlich in schönster Harmonie gemeinsam singen, ahnt man, dass der Verführer sein Ziel erreichen wird.

Schließlich leitet Don Giovanni mit der Champagnerarie "Finch´han dal vino" (Auf zum Fest! Froh soll es werden, glühend vom Wein) die Schlussszene des 1. Aktes ein. Die Arie strotzt von unbändiger Energie und sorgloser Lebensfreude. Im Finale des 1. Akts befiehlt Don Giovanni, dass folgende Tänze getanzt werden sollen: "Hier das Menuett, da die Follia, dort der Deutsche". Es erklingt die entsprechende Musik, die dann in der Schlussszene des 2. Aktes, also der Tafelszene, zu der der Komtur eingeladen ist, wiederholt wird und Don Giovanni zu der Bemerkung veranlasst: "Diese Musik kommt mir bekannt vor". Es sind Tänze, die zu Mozarts Zeit populär waren.

Im 2. Akt ist auf jeden Fall Don Giovannis Ständchen an Elviras Zofe "Deh vieni alla finestra" (komm ans Fenster Schätzchen) zu erwähnen, eine schlichte Canzonetta, eine typische Serenade, eben eine Abendmusik.

Zerlinas Arie "Vendrai carino" (Du wirst sehen, mein Liebster) ist ein Musterbeispiel, wie das Duo Da Ponte/Mozart auch Musik psychologisch umsetzen kann. Zerlina wickelt ihren naiven Masetto schmeichlerisch um den Finger und spricht ihm fast mütterlich Trost zu; schließlich ist er ja gerade erst fürchterlich verprügelt worden. Diese Arie gilt, obwohl nicht übermäßig hoch, unter den Sängerinnen als besonders schwierig.

Don Ottavios Glanzstück "Il mio tesoro" habe ich ja bereits erwähnt. Diese Arie verlangt dem Tenor ein gewaltiges Lungenvolumen ab. In der Wiener Aufführung ersetzte Mozart diese Arie durch eine einfachere Version. Vielleicht war auch das mit ein Grund für die nur "lauwarme" Aufnahme der Oper in Wien.

Nachdem die Ouvertüre mit d-Moll eröffnet hat und auch die Komturszenen und die Todesszene Don Giovannis in dieser Tonart geschrieben sind, schließt sich der Kreis zum Guten hin mit D-Dur: Triumph des Guten über das Böse! (Wir singen zusammen die alte Weise: so endet, wer Böses tut).

Dieser Annex wurde von vielen Dirigenten (Maler, Strauss, Harnoncourt) gestrichen, weil sie ihn (dem gefühlten dramatischen Schluß der Oper etwas künstlich nachfolgend) für ein Zugeständnis Mozarts an den Zeitgeschmack hielten.

Aber: Ganz so einfach macht es Mozart dem Publikum doch nicht. Das Happyend ist nämlich durchaus kein strahlendes. Donna Anna bittet ihren Verlobten Don Ottavio, der sich nun am Ziel seiner Wünsche glaubt, ihr noch ein Jahr Bedenkzeit zu geben. Leporello muss sich einen neuen Herren suchen. Donna Elvira geht ins Kloster. Nur Zerlina und Masetto sind miteinander glücklich. Am Ende stürzt das Finalthema chromatisch ab und macht so deutlich: Auch die Überlebenden verlassen den Schauplatz als Gezeichnete.

Wie sagte schon Brecht: "Und also stehen wir betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen!"

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Die Inszenierungen:

Die Inszenierung, der meine hier wiedergegebenen Gedanken hauptsächlich zu Grunde liegen, macht die Oper am ehesten verständlich. Sie bringt auch jemandem, der nicht vollständig mit der Oper vertraut ist, dieses Meisterwerk am ehesten näher. Ich spreche von der Inszenierung der Kölner Oper aus dem Jahre 1991, eingerichtet von dem damaligen Intendanten Michael Hampe. Gerade diese Inszenierung war Wegweiser für den absolut überwiegenden Teil aller Inszenierungen des Don Giovanni, die danach – und zwar weltweit – auf die Bühne gebracht wurden. Man kann sie als "hervorragende klassische und konservative Inszenierung" bezeichnen.

Hampe arbeitet insbesondere die Dialektik zwischen der im wahrsten Sinne des Wortes "überbordender" Lebensfreude vieler Szenen und dem Tod des Komturs bzw. dem Ende des Don Giovanni heraus.

Don Giovanni wird als Adliger mit zynischem Standesdünkel gezeichnet, der ohne jegliche moralische Bedenken die Vorrechte seines Standes zu seinem eigenen Vergnügen ausnutzt. Zugleich aber wird ihm auch die Rolle eines Außenseiters zugewiesen.

Bühnenbild und Kostüme entsprechen der Mode des 18. Jahrhunderts.

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Sie sagen, "Opern sind doch verstaubt und passen nicht mehr in die heutige Zeit"? Also gut, da habe ich nachfolgend etwas genau für Sie:

Klaus Körner, Mozart,Don Giovanni,Sellars

Ich meine die Inszenierung von Peter Sellars (Boston 1983). Hatte Pierre Boulez doch schon vor 15 oder 20 Jahren gefordert: "Sprengt die Theater in die Luft"! Und Sellars sprengt den Don Giovanni in die Luft.

Peter Sellars wurde am 27. September 1957 in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren.

Er absolvierte die renommierte Phillips Academy in Massachusetts 1975 und studierte dann an der Harvard University Literatur und Musik. 1980 debütierte er in New York als Bühnenregisseur. Zu weiteren Theaterstudien reiste er nach Japan, China und Indien. 1983 wurde er Theaterleiter der Boston Shakespeare Company und 1984 zum Theaterleiter des American National Theater in Washington D.C. ernannt. In Boston machte er sich bereits einen Namen als Regisseur moderner Interpretation von Opern wie Così fan tutte, Die Hochzeit des Figaro und eben Don Giovanni.

Diese Inszenierungen wurden fürs amerikanische Fernsehen mitgeschnitten und machten seinen Namen bekannt. Sellars Interpretation des Don Giovanni kontrastiert erheblich zur Kölner Einrichtung aus 1991.

Schon während der Ouvertüre zeigt sich die Radikalität der Szenerie: Die Story spielt nicht etwa in einer vornehmen Stadt des 18. Jahrhunderts, sondern in einer heruntergekommenen, stinkenden amerikanischen Großstadt - mit im Müll buddelnden Hunden und dahinhuschenden Ratten..

Der Don Giovanni ist ein schwarzer Vorstadtgangster und - ein absoluter Gag - Leporello ist sein Bruder. Auch die beiden Sänger sind tatsächlich Brüder! Das stellt beider Charaktere in ein ganz anderes, besonderes Licht.

Donna Anna ist eine ziemlich normale Vorstadtfrau aus besserem Hause, der Komtur ist, naja, sagen wir Geschäftsmann. Don Ottavio ist ein Sergeant der New York City Police und Donna Elvira eine verblühte Vorstadtprostituierte.

Entsprechend fällt der Komtur auch nicht im Degenduell, sondern wird von Don Giovanni erschossen.

Die Inszenierung spielt im Dreck und soll wohl so den moralischen Status widerspiegeln, in dem sich Don Giovannis Leben bewegt.

Die Inszenierung ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig und wohl eher nicht geeignet, um sich unvoreingenommen mit der Oper vertraut zu machen. Wer aber den Giovanni - wie ich - schon in Hamburg, Berlin (Deutsche Oper), München und Wien (zudem in Osnabrück und Münster) auf der Bühne gesehen hat, dem raubt die Inszenierung von Sellars den Atem.

Sie können das auf YouTube selbst nachempfinden, oder mit ein wenig Glück (allerdings nur noch "second hand") die nebenstehend abgebildete Doppel-DVD erwerben.

Merke: Auch "moderne" Inszenierungen können ihren Reiz haben.

© Klaus Körner, Lengerich / Westfalen, 2015

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