W. A. Mozart - Sämtliche Piano Sonaten
Diverse Gesamteinspielungen im Vergleich
Aktuell: Robert Levin auf dem Hammerflügel

Obwohl allgemein den Klaviersonaten in Mozarts Schaffen nicht gerade ein herausragender Stellenwert zugemessen wird, gibt es keinen Mangel an guten Einspielungen. Schon gar nicht fehlt es an Alternativen zu jeglich erdenklichem Interpretationsansatz. So verzeichnet der „Primephonic“ Nachfolger „Apple Classic“ beispielsweise 1403 Aufnahmen der A-Dur-Sonate Nr. 11, KV 331, 752 Aufnahmen der C-Dur-Sonate Nr. 15, KV 545 und immer noch 343 Aufnahmen der letzten Sonate D-Dur Nr. 18, KV 576.

Doch gibt es immer wieder Überraschungen. Wir betrachten unter dieser Prämisse zunächst die in vielerlei Hinsicht herausragende 2022er Einspielung von Robert Levin in Verbindung mit wissenswerten Details zu den Sonaten. Danach besprechen wir kurz einige andere Einspielungen der Piano Sonaten:

  • Andreas Staier (2005, KV 330-332)
  • Ingrid Haebler (1963-1968 + 1986-1989)
  • Maria Joao Pires (1989-1991)
  • Elisabeth Leonskaja (2021)
  • Daniel Barenboim (1984-1985)
  • Friedrich Gulda (1982)
  • Ronald Brautigam (1996)
  • Kristian Bezuidenhout (2009)
  • Fazil Say (2014)
  • Paul Badura Skoda (1978-1981+1984-1990)
  • Christoph Eschenbach (1967-1970)
  • Mitsuko Ushida (1983-1987)
  • Alfred Brendel (1985-2005)
  • Malcolm Bilson (1989–1991)
  • Glenn Gould (1967-1974)
  • Christian Zacharias (1985)
  • Klára Würtz (1998)
  • András Schiff (1980)
  • Siegfried Mauser (1995-2013)

Warum überhaupt bei so vielen Maßstäbe setzenden Einspielungen eine neue Gesamtaufnahme beim renommierten Label ECM? Nun, ganz einfach weil hier einer der weltweit besten Mozartkenner ans Werk geht, nämlich Robert Levin, emeritierter Professor der Hochschule für Musik Freiburg und der Harvard University. Und das auf einem historischen Instrument. Aber nicht auf irgendeinem Hammerklavier jener Zeit oder einem der vielen Nachbauten, nein, Levin spielt auf Mozarts eigenem Hammerflügel, gebaut von Anton Walter.

Mozarts ureigener Hammerflügel

Das Instrument wurde von Mozarts Witwe Constanze an den Sohn Carl Thomas weitergegeben (in dessen Mailänder Haus übrigens unter anderem auch von Felix Mendelssohn-Bartholdi gespielt), bis es Carl Thomas dann zum 100. Geburtstag seines Vaters dem Wiener Dom-Musik-Verein vermachte.

Heute wird es von der „Stiftung Mozarteum“ in Salzburg aufbewahrt und darf nur zu ganz besonderen Anlässen von ganz besonderen Menschen bespielt werden, Sie sollten also schon „Falco“ („Rock me Amadeus“) oder eben „Levin“ heißen. Es ist ein Hammerflügel der Bauart „Wiener Mechanik“, gefertigt von Anton Walter, eine deutlich voller klingende Weiterentwicklung des Instrumentes von Johann Andreas Stein, das Mozart bei seinem Aufenthalt in Augsburg 1777 kennenlernte und das ihn stark beeindruckt hat, wie man einem Brief an seinen Vater entnehmen kann.

Natürlich ist der Flügel zwischenzeitig mehrfach repariert, sicher auch „renoviert“ worden. Allerdings muss es ein ziemlich robustes Instrument sein, hat Mozart es doch während seiner Wiener Zeit (ab 1782) neun Jahre lang bis zu seinem Tode gespielt und es (zur Verwunderung seines Vaters) auch immer wieder zu den diversen Orten seiner Aufführungen verbringen lassen. Entsprechend bearbeitet Levin das Museumsstück mit Verve und voller Vertrauen, schont es jedenfalls nicht im Geringsten. Ein baugleicher und also ähnlich alter Flügel von Anton Walter steht übrigens im Haydn-Haus in Eisenstadt und ist im Unterschied zu Mozart`s Instrument sogar signiert. An der Urheberschaft Anton Walter`s kann mithin auch beim "Mozart Flügel" kein Zweifel bestehen.

Seinen eigenen Flügel zu Konzerten mitzunehmen, das haben später z.B. Vladimir Horowitz und Krystian Zimerman Amadeo "nachgemacht". Nur waren deren Instrumente locker 6-7 mal so schwer wie ein Walter-Hammerklavier (ca. 85 kg), der Transport war also nicht mehr ganz so einfach. Und einen eigenen Klaviermechaniker brauchte es später vor Ort auch noch.

Levin hat seine Gesamtaufnahme 2017 und 2018 eingespielt, und zwar im Großen Saal des Salzburger Mozarteums. In diesem Fall musste das Instrument also nicht weit reisen, wie etwa einige Jahre zuvor, als es in Wien präsentiert und gespielt wurde. Wohl wegen der Pandemie wurde die CD-Kassette aber erst 2022 veröffentlicht.

Robert Levin ist nicht nur ein virtuoser Pianist, er ist ein exzellenter Kenner des Mozart`schen Tonsprache und Kompositionstechnik. So hat er mehrere von Mozart nicht vollendete Sonatensätze ergänzt und als Großtat auch Mozarts unvollendetes Requiem (als einer unter anderen) neu finalisiert. Levins Modifikationen werden beispielsweise von Helmuth Rilling (Hänssler, 1997) und Abbado (DG, 1999) beachtet.

Mehr „Mozart“ bei einer Neueinspielung der Mozart`schen Klaviersonaten auf Mozart`s eigenemHammerklavier im Mozarteum durch einen der besten Mozartkenner unserer Zeit geht nicht.

Der "entromantisierte" Mozart

Schon ca. 30 Jahren zuvor hat Levin mit Einspielungen Mozart`scher Klavierkonzerte auf historischen Instrumenten Furore gemacht, nicht zuletzt wegen der „Entromantisierung“ des gern als lieblich, süß, weich und zart (sic!) apostrophierten Komponisten. Woran wiederum einige wenig gut oder bewusst falsch recherchierte romantisierende Biographien und davon beeinflusste Interpretationen schuld waren. Nein, Mozart braucht keine gezuckerten Kakaokugeln und auch keine gepuderten Perücken. Bei Schubert und seinen vor Jahrzehnten noch gern in Form weinselig-wirtshausschwangerer „Schubertiaden“ dargebotenen Werken hat sich inzwischen glücklicherweise ein ähnlich radikales Umdenken etabliert.

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Mozart Porträt von Barbara Kaft

Letztlich liegt die Jahrhunderte alte verklärte Sicht auf Mozart wohl auch an seiner Musik selbst. Bei aller Raffinesse der Komposition klingt nahezu jedes Stück „schön“, sofort eingängig und wird von allen Menschen verstanden. Das kann man ähnlich nur noch von Haydn`s Werken sagen und vielleicht von manchen Stücken eines Frédéric Chopin. Mit Bach, Beethoven, Schubert, Brahms, Schumann, Dvorak, Grieg, Sibelius, Rachmaninoff, Liszt, Scriabin, Berlioz, Bruckner, Mahler, Wagner und erst recht mit den Komponisten der 2. Wiener Schule muss man sich (als nicht speziell geschulter Musikfreund) erst einmal näher befassen, um einen Zugang zu finden. Mozart erschließt sich sofort, erfordert keine spezielle Bildung oder gar Ausbildung, braucht keine erklärende Sekundärliteratur.

Vielleicht hat Josef Krips das Geheimnis gelöst, als er (sinngemäß) einmal bemerkte: „Beethoven strebt zum Himmel, Mozart kommt von dort“.

Mozart hat das sehr wohl selbst gewusst und immer wieder darauf hingewiesen, dass eine neue Komposition sowohl etwas für „Liebhaber“ (Laien) sei, also das von Vater Leopold geforderte "Populare" mitbringe, aber eben auch „Kenner“ (Fachleute) zufriedenstellen werde. Und wir im 21. Jahrhundert, wir müssen, nein wir dürfen nun mit dieser so wunderbaren Musik einfach nur leben, balancierend auf einem schmalen Grad - immer versuchend, nicht ins Seichte, ins allzu Gefällige abzugleiten oder andererseits zu akademisch zu werden. Die Besprechung einiger Maßstäbe setzender Einspielungen zum Schluss dieser Übersicht wird genau darauf eingehen.

Apopos „mit Mozart leben“, auch sterben kann man mit ihm. Ich kenne gefühlt hundert Verwandte, Freunde und Bekannte, die sich zu ihrem eigenen Begräbnis den Mittelsatz eines Mozart-Konzertes, einer Sinfonie, einer Sonate oder eines Stücks Kammermusik wünschen. Favorit ist hierbei das Adagio aus dem Klarinettenkonzert A-Dur KV 622. Was nachweisbar auch zur Tragik transportierenden Filmmusik (Jenseits von Afrika) taugt.

Hammerklavier

Das „Hammerklavier“ löste zur Zeit der Wiener Klassik mehr und mehr das Cembalo und Clavichord ab und wurde neben Mozart auch von Haydn, Beethoven und Schubert verwendet. Im Unterschied zum bis dahin vorherrschenden Cembalo wurden beim Hammerklavier die Saiten nicht mehr „gezupft“ bzw. „angerissen“, sondern mit einem kleinen Holzhammer „geschlagen“. Daher der Name! Letztlich ist das die Technik, die auch heute bei modernen Flügeln verwendet wird. Nur waren die noch kleinen Hämmerchen damals allenfalls (wenn überhaupt) mit einer dünnen Lederschicht bespannt, während bei den heutigen Klavieren eine Filzbespannung der inzwischen veritablen „Hammer“ üblich ist. Terminologisch wird international oft das „Hammerklavier“ mit dem „Fortepiano“ gleichgesetzt, was manchmal zu Verwirrung Anlass gibt, da auch heutige Instrumente zwecks Unterscheidung vom Cembalo nicht selten noch als „Piano forte“ bezeichnet werden.

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Mozart`s Hammerklavier besaß einen Umfang von 5 Oktaven. Das reichte für damalige Kompositionen. Erst Beethovens späte „Hammerklaviersonate“, ein wirkliches „Ungetüm“, verlangte eine Ausweitung der Klaviatur.

Abbildungen zeigen, dass bei Mozarts Hammerflügel im Vergleich zu heute die weißen und schwarzen Tasten „vertauscht“ waren. Es besitzt auch keine Pedale, statt ursprünglich verbauter Handhebel zur Aufhebung der Dämpfung wurden später Kniehebel eingebaut, die auch während des Spiels betätigt werden konnten. Der linke Kniehebel ist für die Dämpfung des Bassbereichs bestimmt, der rechte Kniehebel dämpft über die gesamte Klaviatur. Zudem besitzt der Flügel noch einen sogenannten „Moderator-Zug“, mit dem man dünnes Filz über die Saiten ziehen kann. Das Ergebnis ist ein stark obertonreduzierter Klang, ähnlich dem „Nasalregister“ eines Cembalo.

Spätere Hammerflügel, z. B. die von Conrad Graf, besaßen 3, 4 oder sogar 5 Pedale zur Klangbeeinflussung.

Hammerklaviere zur Zeit der Wiener Klassik hatten einen im Vergleich zum heutigen modernen Flügel viel helleren, klareren, direkteren und obertonreicheren Klang, der allerdings nach dem Anschlag schnell wieder abklang und deutlich weniger Volumen besaß. Und das sowohl im Bass als auch im Diskant, was in dichten beidhändigen Passagen der Durchhörbarkeit entgegenkommt. Durch die mittels Tastendruck direkt und dosiert ansprechbaren Hämmer war zudem (anders als beim Cembalo) ein äußerst dynamisches Spiel möglich. Viele Liebhaber des Hammerklaviers rühmen sein im Vergleich zu heutigen Flügeln deutlich größeres Spektrum an Klangfarben, vor allem im (nie verschwommen klingenden) Bassbereich.

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Booklet der Levin-Box

Im Booklet der CD-Kassette berichtet Robert Levin ausführlich über seine Interpretation, speziell über seinen Umgang mit den Reprisen. Er macht das fest an einer Schrift von Carl Phillip Emanuel Bach, die sich mit den Möglichkeiten des Pianisten beschäftigt, insbesondere bei den Wiederholungen „eigene“ Verzierungen, Modulationen, Rubati etc. einzubringen, um dem Publikum etwas zu bieten und um es zu „Bravorufen“ zu stimulieren.

Genau das war damals nämlich üblich. So zeigt oftmals der Autograph fast keine Spielanweisungen, er war für „Kenner“ geschrieben, die die Partitur selbst „ausschmücken“ konnten; hingegen waren gedruckte Fassungen für „Liebhaber“ oft diesbezüglich genau bezeichnet und teils sogar weiter „auskomponiert“. Oftmals stammten diese ergänzenden Spielanweisungen nicht einmal von Mozart selbst, sondern waren dem Autograph vor der Drucklegung von seinen Schülern hinzugefügt worden, zu Lebzeiten natürlich mit der Billigung des Komponisten.

Das führte Donald Francis Tovey zu der von Levin zitierten Feststellung: „I hold myself to be a purist in not limiting myself to the printet text“. Levin führt an Beispielen aus, dass die „vermeintlich pietistische Wiedergabe des Notentextes nachweislich falsch“ ist.

Stilistische Möglichkeiten einer Interpretation

Ein weiterer Gedanke von mir zur Interpretation der Reprisen: Als C.P.E. Bach, Mozart und andere Komponisten die Gestaltung der Reprisen dem Pianisten überlassen haben, gab es noch keine Tonträger. Der öffentliche Vortrag konnte später niemals und von niemandem mehr exakt nachvollzogen werden. So war es wichtig, in die Darbietung alles hineinzulegen, was man "draufhatte". Heute hören wir eine LP, eine CD oft mehrfach nacheinander. Die Interpretation des Musikers ist beliebig oft nachzuvollziehen. Besondere Maniriertheiten, ein "Mitbrummen", ein zu häufiges Trillern etwa kann da schnell - und vor allem auf Dauer - nerven. Vielleicht ist es also klug, auch bei den Verzierungen nicht zu übertreiben, wenn der Vortrag aufgezeichnet wird. Für das Publikum eines von Mozart gespielten Konzertes war dieses „Life-Erlebnis“ die überhaupt einzige Möglichkeit, sich mit der Musik vertraut zu machen. Vielleicht auch ein Grund für die vorgeschriebenen Reprisen? Die ein Glenn Gould auf LP aber auch gern einmal als „unnötig“ weglässt.

Ich zitiere Levin: „So geht es also in meinen Aufführungen der Mozartsonaten, und ebenso in der vorliegenden Aufnahme: die Wiederholungen sind frei gestaltet, dabei werden Einzelheiten der Melodik, der Begleitung und bei gegebenem Anlass auch Details der Harmonik verändert, und manches Mal gibt es sogar kleine Einschübe. Es geht dabei nicht um Respektlosigkeit, sondern um Wiederbelebung einer dokumentierten Tradition“.

Ich halte diese „Klarstellungen“ für wichtig, gerade auch, wenn wir Noten mitlesen oder verschiedene Interpretationen vergleichen und uns über erhebliche „Unterschiede in der Artikulation“ wundern. Einem Robert Levin allerdings nimmt man seine eigene Gestaltungsweise als völlig authentisch gern ab.

Merkwürdigerweise müssen sich heute Interpreten und Liebhaber von „historischen“ Aufführungen und Einspielungen Mozart`scher Werke (aber auch der von Haydn, Beethoven und Schubert) rechtfertigen, zumindest aber erklären, warum sie keinen modernen Konzertflügel verwenden. Eigentlich wäre es eher logisch, wenn Interpreten ihr Spiel auf den heutigen Instrumenten begründen würden. Alles also eine Frage der Wahrnehmung und Relation. Niemand sollte ein Dogma aus der Wahl seines bevorzugten Instrumentes machen, es ist Platz für viele spannende, weil ganz unterschiedliche Herangehensweisen.

Mozart-Portrait-2

Mozart hat 18 Klaviersonaten vollendet. Die ECM-Kassette bringt sie komplett, dazu 3 fragmentarisch hinterlassene und von Levin ergänzte Sonatensätze und die „c-moll Fantasie“, die (wie von Mozart ausdrücklich gewünscht) zumeist in Verbindung mit der c-moll Sonate gespielt wird. Die Reihenfolge der durchgehend dreisätzigen vollendeten Sonaten entspricht der heute üblichen Nummerierung, wobei zudem alte und neuere Nummern aus dem Köchelverzeichnis genannt werden. In älteren Einspielungen können die Nummern vertauscht sein, man kann sich aber immer anhand der Angaben zum aktuellen KV orientieren.

Das umfangreiche Booklet bringt neben zahlreichen Abbildungen und Levins Erklärung seiner Interpretationsweise ausführliche Hintergrund-Informationen zur Entstehung der Sonaten und zum verwendeten Instrument. Autor dieser beiden informativen Kapitel ist Ulrich Leisinger, Direktor der Forschungsabteilung der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg.

Nun ist Levin ja keineswegs der erste oder gar einzige Pianist, der Mozarts Sonaten auf einem zeitgenössischen Hammerklavier eingespielt hat. Bekannt sind die Aufnahmen von Malcolm Bilson, Paul Badura-Skoda, Gerrit Zitterbart, Ronald Brautigam, Andreas Staier (KV 330-332) und Kristian Bezuidenhout. Dazu später mehr. Mit Mozart`s eigenem Instrument hatte es allerdings zuvor noch keine Gesamteinspielung gegeben.

Die 6 „Salzburger oder Münchener Sonaten“ KV 279-284

Piano Sonate Nr. 1 C-Dur – KV 279 (189d) – 1774/1775 (Münchenreise)
1. Allegro
2. Andante
3. Allegro
Piano Sonate Nr. 2 F-Dur – KV 280 (189e) – 1774/1775 (Münchenreise)
1. Allegro assai
2. Adagio
3. Presto
Piano Sonate Nr. 3 B-Dur - KV 281 (189f) – 1774/1775 (Münchenreise)
1. Allegro
2. Andante amoroso
3. Rondeau. Allegro
Piano Sonate Nr. 4 Es-Dur– KV 282 (189g) – 1774/1775 (Münchenreise)
1. Adagio
2. Menuetto I & II
3. Allegro in
Piano Sonate Nr. 5 G-Dur – KV 283 (189h) – 1774/1775 (Münchenreise)
1. Allegro
2. Andante
3. Presto
Piano Sonate Nr. 6 D-Dur – KV 284 (205b) ("Dürnitz") – 1774/1775 (Münchenreise)
1. Allegro
2. Rondeau en Polonaise. Andante
3. (Thema con variazioni.) Andante – Adagio cantabile – Allegro

Von "Papa" Haydn „vorgemacht“ (und vom jungen Mozart und Beethoven übernommen) war es seinerzeit noch üblich, mehrere Stücke zu einer Werkgruppe zusammenzufassen, also z.B. 3 oder 6 Sonaten als ein einziges „Opus“ zu veröffentlichen. Die Sonaten 1 bis 6 des 18jährigen sind in diesem Sinne als „Zyklus“ aufzufassen, unterliegen aber im Verlauf einer schnellen Fortentwicklung kompositorischer Fertigkeiten und Freiheiten.

Ist die 1. Sonate (trotz ihres an eine Improvisation erinnernden zupackenden Charakters) noch der Beweis, die zumindest von „Kennern“ geforderte Form des Sonatenhauptsatzes mit Einführung, Durchführung, Reprise und Coda zu beherrschen, so ist die 6. Sonate in allen 3 Sätzen schon ein völlig eigenständiges Werk mit vielstimmiger orchestraler Fülle des 1. Satzes, einem dieser „wunderschönen“ langsamen und variationsreichen Mittelsätze (Andante) und dem ungewöhnlich ausgedehnten 3. Satz, der aus 12 Variationen über ein eigenes Thema besteht.

Schon in diesen „Jugendwerken“ sprengt Mozart bisher geltende Konventionen, geht über Haydn und C.P.E. Bach weit hinaus. Mozart hat die 6 Sonaten in Briefen als seine "schweren Sonaten" bezeichnet. Der Mozartforscher Bernhard Paumgartner hat sie "wunderbare Gebilde einer genialen Kunst" genannt, die erst ein gereifter Musiker ganz begreifen könne.

Interessant ist, dass Mozart nur in der 2. aller seiner 18 Sonaten den Mittelsatz (hier ein Adagio) in Moll gesetzt hat, was zu kräftigen Kontrasten gegenüber den Ecksätzen führt. Ungewöhnlich ist auch das "Adagio" als erster Satz der 4. Sonate. Mozart geht hier ganz eigene Wege, wenn auch immer wieder auf ähnliche Werke von Joseph Haydn und Johann Christian Bach verwiesen wird.

Mozart selbst hat alle 6 Sonaten außerordentlich geschätzt und als eine Art Referenz noch während seiner Parisreise Cannabis in Mannheim vorgespielt. Für heutige Interpreten sind die technischen Anforderungen keine besonderen Herausforderungen, eher sind sie "ein Test ihrer musikalischen Reife und ihres musikalischen Geschmacks" (László Somfai).

Von der 6. Sonate weiß man sicher, dass sie von Thaddäus von Dürnitz in Auftrag gegeben worden ist, sie trägt deshalb oft dessen Namen als Zusatz. Mozart hat die D-Dur Sonate besonders geliebt, er hat sie oft selbst gespielt und als einzige der Reihe drucken lassen.

Musikwissenschaftler weisen immer wieder auf erhebliche kompositorische Unterschiede zu den ersten 5 Sonaten hin, ein Grund, dass in einer früheren Ausgabe des Köchel-Verzeichnisses die 6. Sonate von den vorhergehenden "abgetrennt" worden ist. Vom 1. Satz (Allegro) existiert eine traditionellere erste Fassung, die Mozart später überarbeitet und fortentwickelt hat.

Die drei "Mannheimer Sonaten" KV 309-311

Piano Sonate Nr. 7 C-Dur - KV 309 (284b) ("Cannabich"), 1777/1778, Mannheim
1. Allegro con spirito
2. Andante un poco adagio
3. Rondeau. Allegretto grazioso
Piano Sonate Nr. 8 (auch "Nr. 9") D-Dur – KV 311 (284c), 1777, Mannheim
1. Allegro con spirito
2. Andante con espressione
3. Rondeau. Allegro
Piano Sonate Nr. 9 (auch "Nr. 8") a-moll – KV 310 (300d) – 1778, Paris
1. Allegro maestoso
2. Andante cantabile con espressione
3. Presto

Hammerflügel-Mozart-2

Diese 3 Sonaten sind 1777/1778 auf der Reise nach Paris (über Mannheim) entstanden. Die von Alfred Einstein als "Zwillinge" bezeichneten Sonaten KV 309 und 311 weisen Anklänge an den orchestrale Effekte herausstellenden "Mannheimer Stil" auf, wie Vater Leopold in einem Brief an seinen Sohn etwas befremdet feststellt. Die Sonate Nr. 7 C-Dur, KV 309 trägt oft die Zusatzbezeichnung "Cannabich" nach dem Mannheimer Kapellmeister gleichen Namens, dessen Tochter Rose Mozart mit dem "Andante un poco Adagio" des zweiten Satzes charakterisieren wollte, zumindest aber hat sie ihn zu dieser Komposition angeregt. Die Sonate Nr. 8 D-Dur ist ziemlich zeitgleich entstanden und soll für die Töchter einer Münchner Familie bestimmt gewesen sein. Den eigentlichen Impuls für die Komposition hat aber wohl nicht ein Auftrag gegeben, sondern Mozarts Interesse an dem Stein`schen Hammerklavier, das er in Mannheim kennenlernte.

Die a-moll Sonate ist nach dem erhaltenen Autograph von Mozart selbst mit "Paris 1778" datiert worden. Sie unterscheidet sich von den Sonaten KV 309 und KV 311 sehr deutlich im Ausdruck, wirkt verinnerlichter, intimer, dunkler. Einige Musikwissenschaftler halten es für möglich, dass die Komposition vom plötzlichen Tod der ihn nach Paris begleitenden Mutter geprägt wurde, andere (wie Wolfgang Hildesheimer) bezweifeln das und verweisen auf Mozart nüchterne Beschreibung der Todesumstände in seinen Briefen und seinen eklatanten Mangel an empathischen Gefühlen seinen Eltern und anderen Mitmenschen gegenüber.

Die Reihenfolge der Kompositionen entspricht der heute (und nicht der früher) verwendeten Notierung im Köchelverzeichnis (s.o.). Dennoch wird in vielen Einspielungen (so auch in der von Levin) die D-Dur Sonate, die späteste der 3 Sonaten als Nr. 8 geführt und die zuvor entstandene a-moll Sonate als Nr. 9. Allerdings nimmt man an, dass die Niederschrift, also die Fertigung des Autographen der a-moll Sonate erst ganz zum Schluss des Parisbesuchs erfolgte.

Komposition und Niederschrift waren bei Mozart sehr oft zwei zeitlich verschobene Aktionen. Bekannt ist die (anekdotische?) Antwort bezüglich der peinlicherweise noch „fehlenden“, weil offenbar noch nicht komponierten Giovanni-Ouvertüre am Tage vor der Prager Premiere: „Komponiert ist sie schon längst, nur noch nicht niedergeschrieben“.

Die 3 Sonaten wurden später als "Oeuvre IVe" in Paris herausgegeben.

Mozart-1777,-unsigniert,-für-Akademie-in-Bologna

Mozart um 1777, unsigniert

Die a-moll Sonate ist eine von nur zwei Sonaten in Moll. Sie steht - wie oben beschrieben - zumindest in zeitlichem Zusammenhang zum Tod der Mutter Anna Maria Mozart, die ihn nach Paris begleitet hat und dort unerwartet verstorben ist. Ulrich Reisinger bezeichnet die a-moll Sonate als „Mozarts emotionalste Instrumentalkomposition überhaupt“. Bei aller Brillanz der Ecksätze bleibt immer ein dunkler Nachklang, Fröhlichkeit will sich nicht einstellen. Dazu das klagende Andante cantabile con espressione des Mittelsatzes.

Es könnten einem die Tränen kommen, wenn nicht glücklicherweise Levin durch seine (in diesem Fall!) nüchterne Herangehensweise und das eher herb klingende Instrument helfen würden, die Contenance zu bewahren. Zudem verwendet Levin in der a-moll Sonate des öfteren den Moderator-Zug, was den Klangreichtum mindert und lässt in einigen Passagen mittels der Kniehebel eine Dämpfung zu, beide Stilmittel werden vom Interpreten nur sehr selten im weiteren Verlauf des gesamten Sonatenzyklus eingesetzt. Hier allerdings hilft es entscheidend.

Herausgeschrieben aus einer vergleichenden Rezension habe ich mir die folgenden Worte von Julia Schölzel: "Die a-moll Sonate ist ein Mix aus zorniger Enttäuschung, Trauer, Verlust, Einsamkeit, Stolz und liebevollem Andenken". Wie Schölzel bin auch ich der Auffassung, dass sich gerade diese Sonate bestens zu Interpretationsvergleichen eignet.

Die 3 Sonaten KV 330-332 („Op. 6“)

Piano Sonate Nr. 10 C-Dur – KV 330 (300h) -1783 (Salzburg)
1. Allegro moderato
2. Andante cantabile
3. Allegretto
Piano Sonate Nr. 11 A-Dur – KV 331 (300i) – 1783 (Wien oder Salzburg)
1. (Thema con variazioni.) Andante grazioso – Afagio – Allegro
2. Menuetto & Trio
3. Alla Turca. Allegrino
Piano Sonate Nr. 12 F-Dur – KV332 (300k) – 1783 (Wien oder Salzburg)
1. Allegro
2. Adagio
3. Allegro assai

Autograph KV 331

Autograph (letzte Seite) KV 331 A-Dur - Booklet der ECM-Box

Die 3 Sonaten KV 330-332 sind von Mozart als zusammengehöriges „Oeuvre“ konzipiert und dem Verleger als „Op. 6“ übergeben worden. Ob sie in Wien oder bei einem Besuch in Salzburg komponiert wurden, ist nicht eindeutig geklärt, zumindest aber sind sie erst nach Mozarts und Constanzes Rückkehr in Wien abgeschlossen worden. Mozart war inzwischen 27 Jahre alt und frisch verheiratet.

Die 3 Sonaten werden oft im Konzert vorgetragen, auch gibt es unzählige Einspielungen auf Tonträgern. Das hat nicht nur, aber auch mit der A-Dur Sonate Nr. 11, KV 331 zu tun, die mit ihrem 3. Satz (Alla Turca. Allegrino) zu einer Art „Gassenhauer“ geworden ist und sogar in Pop, Rock und Jazz Eingang gefunden hat. Diese Sonate ist übrigens die einzige des gesamten Klaviersonatenwerkes, bei der kein einziger Satz in Sonatenform steht. Badura-Skoda hat einmal gesagt, er spiele diese bekannte Sonate seit seiner Kindheit, entdecke aber immer noch neue Geheimnisse unter der Oberfläche: "Wer das richtig im Geiste Mozarts spielen möchte, der muß schon begnadet sein".

Alfred Einstein hat die Sonate Nr. 10 C-Dur als "Meisterwerk", als "eine der liebenswertesten, die Mozart je geschrieben hat" bezeichnet. Was ja durchaus kein Widerspruch zu Paumgartners Bemerkung darstellt, sie sei "bescheidenen Spielern zugedacht". Jedenfalls verlangt das Andante cantabile vom Interpreten eine "extrem sensitive Herangehensweise" (Lásló Somfai).

Die Sonate Nr. 12 F-Dur besticht durch ihren lyrischen Beginn, als wäre sie "vom Himmel gefallen" (Einstein).

Ulrich Reisinger erklärt im Levin-Booklet die formalen und kompositorischen Zusammenhänge der 3 Sonaten, stellt aber auch die strukturellen Besonderheiten der A-Dur Sonate heraus und deren erst bei näherer Analyse "roten Faden", der die Sätze zusammenhält. Der Artikel ist wirklich lesenswert, ich kann nur empfehlen, sich darin zu vertiefen.

Interessant ist, dass einige Kenner schon lange Zweifel an der Korrektheit des Erstdruckes der Sonate Nr. 11 hatten, was sich nach einem kürzlichen Fund von Teilen des verschollenen Autograph bestätigt hat. Levin spielt im vorliegenden Set die korrigierte und damit korrekte Fassung.

Mozart Sonaten Staier

Von Andreas Staier gibt es eine CD mit diesen 3 Sonaten aus 2005 (siehe Bild links), das war meine erste Bekanntschaft mit einer Mozart-Aufnahme auf einem Hammerklavier. Oft verwendet Staier dabei den Moderator-Zug, was amüsanter Weise von einigen Laien-Kritikern als „unerklärlicher aufnahmetechnischer Mangel“ fehlverstanden und dem Tonmeister angekreidet worden ist. Das bringt mich noch heute zum Schmunzeln. Ich kann diese CD sehr empfehlen, wenn Sie einen ersten Eindruck vom Klang eines Hammerklaviers haben möchten und nicht sofort in die kompromisslose Welt des von Levin gespielten Mozart-Instrumentes einsteigen wollen. Staier ist ein ausgewiesener Experte auf Cembalo und Hammerklavier, und die drei hier versammelten Sonaten sind ausgesprochen klangsinnliche Kompositionen. Dazu kommt, dass sich Staier in diesem Fall nicht für ein zeitgenössisches Instrument, sondern für einen 1986 von Monika May gefertigten Nachbau eines Anton Weber Originals aus 1785 entschieden hat. Dieses Hammerklavier zeigt naturgemäß noch keine Alters- und Abnutzungserscheinungen, "scheppert" (Mozart) nicht und erfordert auch vom Unerfahrenen kein langes Einhören

Die drei Sonaten KV 330-332 (wir hören sie oft "in einem Rutsch" durch) sind mir neben der Dürnitz-Sonate, der mittleren B-Dur Sonate KV und und den beiden moll-Sonaten incl. der Fantasia c-moll die liebsten. Robert Levin stellt sie als ungeschminkte schlanke Naturschönheiten vor, definitiv ein Höhepunkt der Gesamteinspielung. Spätestens an dieser Stelle des gesamten Zyklus fehlt keinem Hörer mehr der opulente Klang eines Steinway D-274 oder Bösendorfer 290 Imperial. Und wenn doch, so gibt`s ausreichend Alternativen (siehe unten).

Die 3 Einzelsonaten der Wiener Zeit KV 333, KV 475/457, KV 533/494

Piano Sonate Nr. 13 B-Dur, KV 333 (315c) ("Linz") – 1783 (Linz)
1. Allegro
2. Andante cantabile
3. Allegretto grazioso
Piano Sonate Nr. 14 c-moll, KV 457 – 1784 (Wien) – gilt mit KV 475 als „Doppelwerk“
1. Molto allegro
2. Adagio
3. Allegro assai
Piano Sonate Nr. 15 F-Dur, KV 533/494 (494 = Rondo 1786) – 1788 (Wien)
1. Allegro
2. Andante
3. Rondo. Allegro

Mozart-Dorothea-Stock-1789

Mozart um 1789 . Dorothea Stock

Die drei Sonaten KV 333, KV 475/457 und KV 533/494 sind jeweils für sich selbst entstanden und wurden auch einzeln verlegt. Mozart hatte sich damit von dem Brauch verabschiedet, mehrere Werke zu einer Gruppe zusammenzufassen, eine Entwicklung, die auch bei Beethoven nachzuvollziehen ist. Sie hier gemeinsam zu besprechen dient allein einer besseren Übersicht.

Die Sonate B-Dur KV 333 wurde nach neueren Forschungen während der Rückreise von Salzburg nach Wien bei einem Zwischenstopp in Linz komponiert (gleichzeitig mit der „Linzer Sinfonie“). Für Wissenschaftler ist dererlei von Interesse. Und sie verweisen auf die kompositorische Weiterentwicklung der B-Dur Sonate KV 333 im Vergleich mit der Sonate Nr. 3, KV 281 in gleicher Tonart.

Uns hat KV 333 immer angemutet wie ein Klavierauszug aus einer "Klavierkonzert-Sinfonie", ein Eindruck, der durch die Dramaturgie des ersten Satzes und die Kadenz am Ende des dritten Satzes noch verstärkt wird. Sehr gut möglich, dass Mozart beim Vortrag in Linz seine dort komponierte Sinfonie im Kopf hatte. Man sagt ihm nach, dass er im Geist zeitgleich zwei verschiedene Kompositionen komponieren, zudem nebenher Noten kopieren und eine Konversation führen konnte. Heute würde man das "Multitasking" nennen.

Ulrich Leisinger hält es ohnehin für möglich, dass Mozart die Sonate in Linz improvisierend vorgetragen und erst nachträglich niedergeschrieben hat. Sie ist nach Rampe "eine der musikalisch und spieltechnisch anspruchvollsten Sonaten Mozarts" und steht oft auf dem Programm von Klavierabenden. Die in früheren Sonaten nachzuempfindenden Einflüsse von C.P.E. Bach, J.C. Bach, M. Haydn und J. Haydn hat Mozart nach unserer Wahrnehmung mit dieser Sonate weit hinter sich gelassen.

Auch wenn die Sonate KV 333 in absoluter zeitlicher Nähe zu den drei Sonaten 330-332 entstanden ist, so wirkt sie von der Stimmung her doch völlig anders, zurückgenommener, (im bittersüßen Andante cantabile) nachdenklicher, insgesamt herber. Jedenfalls wie geschaffen zum Vortrag auf dem Fortepiano. Dabei ist sie mit einer typischen Spielzeit von 23 Minuten recht großräumig domensioniert.

Sogar noch etwas herber beginnt (nach der vorangestellten abwechslungsreichen Fantasia c-moll) die Sonate c-moll, KV 457 mit wuchtigen Akkordschlägen, die sich dann arpeggioartig auflösen. Beethoven soll diese Sonate bewundert haben, möglicherweise hat sie ihn zur Komposition seiner „Pathétique“ in derselben Tonart angeregt. Mancher vernimmt bei dieser Sonate bereits in die Romantik vorausweisende Stimmungen oder sogar "Empfindungen". Bei früheren Einspielungen findet sich die c-moll Fantasie noch einmal unterteilt in Adagio - Allegro - Andantino - Piú Allegro, wie von Mozart notiert. Der Autograph der Fantasie wurde erst 1990 "beim Staubwischen" in einem Priesterseminar (Eastern Baptist Theological Seminar Philadelphia) des US-Bundesstaates Pennsylvania entdeckt. Eine Geschichte, die wie ein Märchen klingt, aber wahr ist. Nicht zuletzt wegen des Fundortes spricht man wohl besser von einem "Wunder". Die Versteigerung bei Sotheby`s brachte 2 Millionen Dollar ein. Was die Putzfrau davon als Finderlohn bekommen hat, ist nicht überliefert.

Wie auch immer, Mozart ist nun (im Alter von 28 Jahren!) in die von uns so genannte „Spätphase“ eingetreten, das in früheren Sonaten anklingende „Jugendliche“ ist verflogen, die Klangsprache hat einen großen Ernst erreicht. Das Adagio der Sonate Nr.14 c-moll hat etwas Elegisches an sich (Sie wissen schon, geeignet für eine Beerdigungszeremonie). Es wurde nach der erst 1990 aufgefundenen Urschrift (s. o.) separat komponiert, war also möglicherweise als Einzelwerk gedacht. Mozart das Adagio schließlich den bereits komponierten beiden Ecksätzen als Mittelsatz eingefügt und in Hinblick auf eine Drucklegung auch noch bestimmt, dass die erst ein Jahr später komponierte Fantasie KV 475 der Sonate beim Vortrag voranzustellen sei. Natürlich hält sich Levin an diese Aufführungspraxis, wieder ein Highlight der Gesamteinspielung.

Die Sonate Nr. 15, F-Dur, KV 533/494 (früher als Nr. 18 oder "Nr. 18" bezeichnet) soll dem Kaiser Joseph II gewidmet worden sein, der selbst ein guter Klavierspieler war. Die beiden ersten Sätze sind sehr deutlich polyphon-kontrapunktisch gesetzt, gar mit "harmonischer Rücksichtslosigkeit" (Einstein) zu Lasten der sonst (zumindest so vernommenen) mozarttypischen Leichtigkeit. Hier mögen sich Mozarts Bach-Studien anhand der ihm von Gottfried Freiherr van Swieten zur Verfügung gestellten Partituren niedergeschlagen haben. Johann Sebastian Bach war - heute kaum nachzuvollziehen - seinerzeit weitgehend vergessen. Als letzten Satz hat Mozart schließlich ein bereits auskomponiertes und schon veröffentlichtes Rondo (KV 494) angefügt, dem er allerdings etliche neue Takte angefügt hat. Angenommen worden ist, dieser Kunstgriff sei einer akuten „Zeitnot“ geschuldet gewesen. Jedenfalls schließt das Werk auf diese Weise mit einer (wenn auch zurückgenommenen) Heiterkeit. Was Joseph II. von der Sonate hielt, falls sie ihm wirklich dediziert wurde, ist nicht überliefert.

Die 3 späten Piano Sonaten KV 545, KV 570, KV 576

Piano Sonate Nr. 16 C-Dur („Sonata facile“) - KV 545 – 1788 (Wien)
1. Allegro
2. Andante
3. Rondo. Allegretto
Piano Sonate Nr. 17 B-Dur - KV 570 – 1789 (Wien)
1. Allegro
2. Adagio
3. Allegretto
Piano Sonate Nr. 18 D-Dur - KV 576 – 1789 (Wien)
1. Allegro
2. Adagio
3. Allegretto

Die drei letzten Sonaten sind wie die zuvor besprochenen der Jahre 1783 bis 1788 als eigenständige Kompositionen entstanden, sie hier (wie auch im Booklet der Levin-Box) gemeinsam zu besprechen, ist allein eine redaktionelle Entscheidung.

Die beiden Sonaten Nr. 16, C-Dur und Nr. 17, B-Dur gelten als "technisch wenigerer anspruchsvoll". Man weiß nicht viel über die Entstehungsgeschichte, zumal Mozarts Korrespondenz-Freudigkeit zu dieser Zeit (nach dem Tod des Vaters) deutlich nachgelassen hatte. Einige Wissenschaftler nehmen an, sie seien für ganz bestimmte "Schüler" geschrieben worden und Mozart habe ihren Schwierigkeitsgrad entsprechend angepasst.

Die C-Dur Sonate KV 545 wurde von Mozart selbst als "Eine kleine Clavier Sonate für Anfänger" bezeichnet. Sie war wohl (wie oben beschrieben) für den Klavierunterricht gedacht. Erst bei der 13 Jahre nach dem Tod des Komponisten erfolgten Drucklegung erhielt sie den Untertitel "Sonate facile". Mozart vollendete sie nach den Einträgen in seinem von ihm selbst geführten Wekverzeichnisses am selben Tag wie die Symphonie Nr. 39 Es-Dur KV 543.

Leisinger weist darauf hin, dass die "späten" Sonaten nur "zufällig" spät sind, musste Mozart (anders als Schubert und Beethoven) bei der Komposition doch nicht mit seinem baldigen Tod rechnen. Dennoch scheint mir Mozart in den beiden Sonaten Nr. 16, C-Dur und Nr. 17, B-Dur so etwas wie eine Summe zu ziehen und sich ganz der emotionalen Basis seiner kompositorischen Einfälle hinzugeben. "Einfachheit" ist ja auch bei anderen Komponisten ein Merkmal später Werke.

Für Alfred Einstein ist die Sonate Nr. 17 B-Dur "eins der seligstn Werke Mozarts". Paumgartner rühmt das "schöne Hornthema" des Mittelsatzes. Einfachheit weist hier (wie bei vielen anderen Dingen auch) auf Größe hin.

Pianisten (etwa Paul Badura Skoda und Elisabeth Leonskaja) haben aufgezeigt, dass die Sonaten Nr. 16 und Nr. 17 durchaus nicht einfach zu spielen sind, wobei nicht der technische Schwierigkeitsgrad gemeint ist, sondern das Überbringen der ihnen innewohnenden Emotionalität, die durch technische Brillanz nicht zu transportieren ist.

Artur Schnabel wird die Bemerkung zugeschrieben, Mozarts Klaviersonaten seien für Kinder zu leicht, für Virtuosen aber zu schwer. Ob er an Glenn Gould gedacht hat?

Die letzte Sonate Nr. 18, D-Dur beschreitet dann "einen neuen Weg", wie Leisinger meint. Er attestiert ihr eine "gewisse intellektuelle Spröde", wohl wegen ihrer "spätbarocken" bzw. "rokokoartigen" an Händel, Bach und die Bach-Söhne erinnernden polyphon-kontrapunktischen Stimmführung des ersten Satzes. Vielleicht auch wegen ihrer knappen Anlage. Gerade diese Sonate kann schnell viel ihres versteckten Zaubers verlieren, wenn sie auf einem üppigen modernen Flügel gespielt wird.

Die Sonate Nr. 18 ist wohl die einzige Sonate Mozarts, die eine eindeutige Zuweisung zum zu spielenden Instrument aufweist: Der Erstdruck aus dem Jahre 1805 vermerkt als Hinweis "Sonate pour le Pianoforte". Sie war gedacht als Teil eines 6 Sonaten umfassenden Opus für Prinzessin Friederike, Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. Wobei Musikwissenschaftler bezweifeln, dass die Prinzessin sie hätte spielen können, Wegen des fanfarenartigen Beginns wird das Stück oft auch "Jagdsonate" ("The Hunt") genannt.

Levin schafft es, sowohl die Besonderheiten der Stimmführung herauszuarbeiten als auch die bittersüße Anmutung des Adagio überzubringen. Diese letzte Sonate Nr. 18 ist (neben anderen, s.u.) gut als Anspielprobe geeignet, um schnell einen Eindruck zu bekommen, wie der jeweilige Pianist "seinen Mozart" sieht und angeht.

Robert-Levin-2

Zur Interpretation der Sonaten durch Robert Levin

Robert Levin kennt selbstverständlich die Hammerflügel-Einspielungen von Brautigam und Bezuidenhout, diesbezüglich eine eigene Note zu kreieren, war für ihn kein Problem. Eher musste er aufpassen, nicht zu nahe an der Interpretation seines Landsmannes und Hammerflügel-Duo-Partners Malcolm Bilson zu landen, dessen schöne und nüchterne Gesamteinspielung von 1989/1990 stammt. Allerdings geht Bilson die Sache im Vergleich deutlich akademischer an, jedenfalls ohne "Gefühlsausbrüche", die bei Mozart auch schnell einmal einen Intellektuellen wie Levin übermannen können.

Die Wahl eines Original-Anton Walter-Hammerflügels und nicht die eines heutigen Nachbaus, wie z.B. bei Kristian Bezuidenhout (1987er Nachbau eines Walter-Instrumentes aus 1795) ist ohne Zweifel sehr bewusst gefasst worden. Der Flügel sollte genau so klingen, wie ihn Mozart selbst vernommen hat. Bei Nachbauten ist der Klang meist sehr bewusst voller, weniger rauh, zudem halt ohne Alterungs- und Abnutzungsprozesse, jedenfalls niemals so, wie Mozart selbst das Instrument wahrgenommen hat. Letztlich fiel unter dieser Prämisse die Wahl auf Mozart`s eigenes Instrument

Das naturgemäß (bei dem relativ kleinen Mozart-Hammerflügel) trotz allem Obertonreichtum doch etwas volumeneingeschränkte Klangbild sollte auch nicht durch Raumnachhall beeinflusst werden (wie es m.E. etwas übertrieben bei der Einspielung von Ronald Brautigam der Fall ist). Levin`s Tonmeister und Produzent haben das genau wie gewollt hinbekommen. Der Große Saal im Mozarteum scheint ein idealer Aufnahmeort zu sein. Auch Fazil Say hat die Mozart Sonaten dort eingespielt. Die Akustik (Nachhallzeiten) erinnert mich an die des „Alten Sendesaals“ in Bremen. Dort hat z.B. Elisabeth Leonskaja ihren Mozart Sonatenzyklus aufgenommen (siehe unten).

Damit der Klangeindruck nicht unvorbereitet zu schockierend auf den Hörer einwirkt, empfehle ich, unmittelbar vorher keine auf einem modernen Flügel gespielte Musik aufzulegen und dem eigenen Hörempfinden eine gewisse Zeit der Eingewöhnung zu gönnen. Dann werden Sie zusammen mit der unprätentiösen, klaren, oft sehr dynamischen und äußerst virtuosen Interpretation Levin`s und dem Klang des Instrumentes schnell Ihren Frieden mit dieser ganz besonderen Aufnahme machen.

Sie werden Feinheiten entdecken, auch durch Levin`s Ausschmückungen (s.o.), die Sie so noch nie gehört haben. Und wenn Sie dann unvermittelt auf einen modernen Flügel umschalten, wird der Ihnen wahrscheinlich zunächst „mulmig“ im Ohr klingen.

Levin spielt keinen gefälligen Mozart, wie manche Pianisten der 60er Jahre, er will gar nicht, dass sein Mozart „gefällt“, er betont eher die Ecken und Kanten, und davon besitzt Mozart`s Musik eine Menge. Zudem geht er die meisten Sonaten vergleichsweise schnell an, was aber bei einem Hammerklavier nie zu einer Vermischung der perlenden Töne führt, eine Folge des geringen Nachklangs.

Levin nimmt sich und seine Emotionalität trotz aller eigener Verzierungen (anders als Fazil Say) sehr bewusst zurück und lässt Mozart den Vortritt. Wie stark aber die Musik in ihm „wühlt“, können Sie z..B. im ersten Satz der Sonate Nr. 11, KV 331 hören. Schon bei der Vorstellung des Themas und der ersten noch ruhigen Variation bricht es auch stimmlich kurz aus ihm heraus, Spannung und Vorfreude auf die weitere Entwicklung des Satzes sind einfach zu groß. Levin ist Mensch und nicht Maschine. Andernfalls würde er auch nicht Mozart spielen.

In der c-moll Sonate (KV 457) hören Sie vorweggenommen Beethovens späte Sonaten. Und die pochenden Rhythmen der 17. Sonate (B-Dur, KV 570) werden Sie an Schuberts Sonaten aus seinem Todesjahr erinnern. Das vor allem, wenn Sie auch Beethoven (z.B. mit Paul Badura-Skoda) und Schubert (z.B. mit Tobias Koch) auf dem Hammerflügel folgen.

Wenn Sie sich ein Bild von der Interpretation Levin`s (und aller anderen Pianisten) machen wollen, empfehle ich, in die Sonaten Nr. 6 (D-Dur), Nr. 9 (a-moll), Nr. 14 (c-moll incl. der Fantasia KV 475) und Nr. 18 (D-Dur) hineinzuhören. Wenn es sein muss, legen Sie auch die etwas „abgenudelte“ Sonate Nr. 11 A-Dur - KV 331 auf (ja, das ist die mit dem türkischen Marsch!). Damit haben Sie dann so ziemlich das gesamte Spektrum der Mozart Sonaten erfasst - und die Qual der Wahl. Haben Sie nicht die Zeit für ausgedehnte Vergleiche, dann nehmen Sie am besten die Sonate Nr. 9 (manchmal auch mit "Nr. 8" bezeichnet) a-moll, KV 310.

Schon jetzt ein erstes Fazit: Robert Levin schenkt uns mit seiner Mozart Sonaten-Box ein wirkliches Kleinod mit Alleinstellungscharakter. Nur wem der Klang des Instrumentes und die Interpretation (noch?) zu "karg", zu „schroff“ ist, dem seien die Einspielungen von Kristian Bezuidenhout und/oder Paul Badura-Skoda (siehe unten) ans Herz gelegt, falls nach Levin eine Interpretation auf dem Hammerklavier (Fortepiano) überhaupt weiterhin in Frage kommt.

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Betrachtungen bekannter Einspielungen auf Hammerklavier und Flügel

Rezensionen sind tückisch, sie täuschen oft Kompetenz und Sachlichkeit vor, können aber bei aller versuchter allgemeingültiger Offenheit immer nur subjektiv bleiben. Dazu kommt Folgendes: Jeder Kunstfreund liest, sieht oder hört mit einer gewissen Erwartungshaltung, die nicht weit entfernt von Voreingenommenheit ist. Hört man etwa die Mozart Sonaten streng, ggf. auch mit schnellen Tempi auf einem Hammerklavier, ist selbst aber eher ausschmückende, getragene Versionen auf einem üppigen Flügel gewöhnt, so kann das im ersten Augenblick verstörend sein und zu Ablehnung führen.

Wenn Sie sich also mit den hier versammelten so unterschiedlichen Deutungen der Sonaten auf so unterschiedlichen Instrumenten durch so unterschiedliche Interpreten befassen wollen, sollten Sie mit einer gewissen Neugierde, ja, auch Toleranz ans Werk gehen.

Und dann befassen wir uns hier immerhin mit 18 Sonaten, also 54 Sätzen plus der Fantasia c-moll. Da kann es gar nicht ausbleiben, dass ein Interpret mal mehr, mal weniger überzeugt. Deutungshoheit für das Gsamtwerk hat kein Pianist.

Zu allem Überfluss fällt mir in diesem Zusammenhang noch ein Zitat von Sviatoslav Richter ein, das ich mir vor Jahren notiert habe: "What is it about Mozart? Is there any pianist in the world who really manages to play him well?"

Mozart war zu seiner Zeit ein anerkannter Klaviervirtuose, heutige Interpreten der Klaviersonaten werden diese virtuose Seite herausstellen müssen. Zugleich hat Mozart die rein "mechanische" Virtuosität seines Zeitgenossen Clementi abgelehnt und in einem Brief an seinen Vater ausgeführt: "Übrigens hat er [Clementi] um keinen kreuzer geschmack noch empfindung - ein bloßer Mechanikus...". Zur rein technischen Brillanz des Vortrags einer Mozart-Sonate gehört also immer auch "Empfindung". Jede Interpretation bewegt sich unweigerlich in diesem Spannungsfeld. Und jeder Interpret wird die Gewichtung etwas anders ausloten.

Stehen wir nun nach all` dem Vorhergesagten vor der Aufgabe, zu vergleichen, zu werten?
Wenn ja, dann nur ganz subjektiv, allein für uns selbst. Es ist gar nicht möglich, etwas "Allgemeingültiges" zu entdecken. Ich lade Sie ein, Ihrer Subjektivität freien Lauf zu lassen und "ergebnisoffen" in die diversen Interpretationen hineinzuhören. Das geht ja heute per Streaming ganz unkompliziert. Wir besitzen zwar alle der hier besprochenen Einspielungen auf LP, CD oder gekauftem Download (über Qobus), aber am besten lassen sich Vergleiche anstellen, wenn man bestimmte Sätze in Streaming-Playlists (oder Playlists von Musik-Verwaltungsprogrammen wie "foobar") lädt. Man kann ganze Tage damit verbringen und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Mus man überhaupt "alle" (Mozart)-Sonaten kennen, gar besitzen? Bei Haydn würe ich klar "nein" sagen, bei Schubert schon etwas zögernder "nein, nicht wirklich", bei Mozart "nun, eigentlich schon" und bei Beethoven " ja unbedingt".

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Mozart Klaviersonaten Haebler

Ingrid Haebler

Ich sehe sie noch 1970 neben meinem Dual Plattenspieler liegen, die dicke schwere LP-Box mit den 6 schwarzen Vinylscheiben und dem großen Begleitbuch. Durch Ingrid Haebler ist unsere Generation an Mozarts Sonaten herangeführt worden. Sie wurden 1963 bis 1968 eingespielt und sind ein typisches Beispiel einer seinerzeit "modernen" und nach Gieseking, Schnabel, Richter, Arrau, Backhaus und anderen damals "alternativen" Mozartinterpretation. Wer mehr will, kann alle Einspielungen Haeblers (auch die von Schubert, Schumann, Chopin) als "The Philips Legacy" auf 58 CDs erwerben.

Ingrid Haebler hat einmal gesagt, es gäbe keine "schwierigere Klavierliteratur als die Sonaten [...] von Mozart". Natürlich hat sie damit nicht den technischen Schwierigkeitsgrad ansprechen wollen, sondern die Herausforderungen der Interpretation, wenn die Sonaten nicht "beliebig" oder gar "seicht" klingen sollen, wenn man andererseits nicht einen virtuosen Tastendonner erzeugen will und wenn zudem keine düstere oder mystische Verklärung Mozarts angesichts der Umstände seines frühen Todes beabsichtigt ist.

Haebler wählt eher langsame, ausgewogene Tempi, spart an Verzierungen und anderen Modulationen und nimmt sich überhaupt zurück, was für damalige Verhältnisse bereits eine kleine Sensation war. Ihr Anschlag "singt" voller Wärme, wirkt aber nie unangenehm manieriert oder gar kitschig. LPs und CDs klingen nicht ganz so präsent wie heutige Produktionen, sind aber immer noch recht akzeptabel, Klavierklang und Raumklang sind gut aufeinander abgestimmt.

Mozarts Klaviersonaten von Ingrid Haebler aus den 60ern, mehr als eine inzwischen "historische" Aufnahme. Für Zeitgenossen, die mit Robert Levin einsteigen wollen eine gute Gelegenheit, 60 Jahre zurückzublicken, besser, "zurückzuhören". Vielleicht sogar so etwas wie ein "Gegenentwurf", zumindest aber eine Ergänzung, ein weiterer Mosaikstein aus Mozarts Interpretationskosmos. Die Kassette hat in meinem Musikschrank für immer einen Ehrenplatz.

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Mozart Haebler Denon

Ingrid Haebler

Sie hat es 1986-1989 in ihren Mitfünfzigern doch noch einmal getan! Nachdem Mitsuko Uchida gerade für Philips aufnahm, "ihr" Verlag also "besetzt" war, hat sie diesmal die Nippon Columbia (Denon) unter der Ägide eines japanischen Technikerteams und eines deutschen Toningenieurs gewählt. Sie hat alle Sonaten im wegen seiner Akustik weltweit renommierten Reitstadel Neumarkt auf einem Steinway D neu eingespielt, natürlich jetzt als DDD. Die Aufnahmen wurden von Denon vorwiegend für den japanischen Markt produziert, und zwar als 7 Einzel-CDs und auch als 5-CD-Box. Das abgebildete Cover ist das der Box, es erscheint als Miniatur aber auch auf der CD 1 der Einzelveröffentlichungen, die weiteren 6 Einzel-CDs haben davon abweichende Cover.

Wir hatten davon gelesen, dass es eine japanische Ausgabe von Haeblers Mozart Sonaten gab, hatten aber jahrelang angenommen, dass es sich nur um "Nachpressungen" der Aufnahmen aus den 60er Jahren handelte. Erst durch den Plagiat-Skandal um Joyce Hatto, deren Ehemann und Manager Einspielungen von Ingrid Haebler geklaut und als diejenigen seiner Frau ausgegeben hat, sind wir auf die Denon-Produktion der 80ger Jahre gestoßen.

Ingrid Haebler hatte und hat immer noch in Japan eine große Anhängerschaft, nicht zuletzt auf Grund ihrer (bis zu ihrem 80. LJ) alljährlichen Konzertreisen ins Land der aufgehenden Sonne. Man hat den Eindruck, dass die Denon-Aufnahmen in Europa gar nicht richtig zur Kenntnis genommen wurden. Deshalb vielleicht auch dieser gezielte Plagiatsversuch. Mindestens zu Beginn waren die Booklets zudem ausschließlich mit japanischen Schriftzeichen versehen. Zum Glück lässt sich die herrliche Musik noch heute hören, wenn es auch schwierig ist, die CDs zu besorgen und zur Zeit (2023) noch unmöglich, die Gesamtaufnahme zu streamen.

Haebler hatte schon lange vor dem Boom der sog. "historisch informierten Aufnahmepraxis" das Hammerklavier entdeckt und darauf Werke von Johann Christian Bach eingespielt. Für die zweite große Serie ihrer Mozart Sonaten-Interpretationen hat sie sich aber doch wieder für den modernen Konzertflügel entschieden.

Natürlich hat bei der Gesamtwertung die technische Qualität einer Einspielung hinter der Einschätzung der Interpretationsleistung zurückzustehen.Trotzdem verblüfft den alten Haebler-Fan schon bei der ersten Sonate auf der CD Nr. 1, nämlich der Sonate a-moll, KV 310 unvermittelt der extrem kristallklare, fein nuancierte Klang, den der Toningenieur hier auf die CD gebannt hat. Ist da doch etwas dran an der sprichwörtlich überragenden Klangqualität von Japan-Produktionen und vor allem "Japan-Pressungen"? Hier haben die Toningenieure lange probiert, wieviele Mikrofone optimal sind und wo sie platziert werden sollten. Letztlich haben sich alle an der Aufnahme Beteiligten dafür ausgesprochen, 4 Mikrofone aufzubauen, davon 2 mit Kugelchrakteristik und 2 mit Nierencharakteristik. Das führt gegenüber der oft favorisierten Aufnahmetechnik mit nur zwei Kugelmikrofonen zu einer wunderbar augewogenen Balance zwischen Klavier- und Raumklang. Der Hörer hat den Eindruck, in einem Konzertsaal zu sitzen, aber eben auch ganz nahe am Klavier. Diese Einspielung rangiert klangtechnisch sicher unter den Top 3 aller Aufnahmen der Mozart Sonaten, die wir kennen.

Um sich ein Bild zu machen, reicht es, in die 3 Sonaten auf der ersten CD, nämlich die unter KV 310, 330 und 331 hineinzuhören, sie werden überragend reif und abgeklärt dargeboten. Da spielt ein Mensch mit einem eigenen reichen Arsenal voller ganz unterschiedlicher Emotionen, keine Nähmaschine, kein Gould`sches Maschinengewehr. Nicht übertrieben, nicht manieristisch, sondern mit natürlicher Selbstverständlichkeit nimmt uns Ingrid Haebler mit auf die Reise durch Mozarts üppigen Klangkosmos. Die pianistischen Mittel wie Dynamik, Tempomodulationen, Rubati, Triller und andere Ausschmückungen werden etwas dezenter als früher, aber immer noch wunderbar differenziert und damit wirkungsvoll eingesetzt. Die Musik fließt ganz natürlich, wobei Haebler gegenüber ihrer früheren Einspielung aber etwas mehr auf die formale Geschlossenheit der einzelnen Sätze achtet.

Haeblers Piano "singt" in allen denkbaren Klangfarben, neben warmen Tönen kann sie aber kurzfristig auch Akkorde im Fortissimo anschlagen. Ihren Philips Aufnahmen (und nicht zuletzt Mozart selbst) wird manchmal das Attribut "feminin" angehängt, u.E. zu Unrecht. Die Denon-Einspielungen allerdings würden bei niemandem mehr einen solchen Eindruck hinterlassen, eher würde man im Zweifelsfall glauben, hier einen Mann am Werke zu hören, so zwingend und kraftvoll klingen Artikulation, Dynamik und Phrasierungen. Auch wenn natürlich alles Gerede von Venus und Mars unhaltbar ist.

Haeblers Mozart der Jahre 1986-1989 mit Worten zu beschreiben, ist schwer. Gegenüber ihrer Philips-Einspielung der 60er Jahre haben sich keine völlig neuen Welten aufgetan. Nein, es hat keine Revolution stattgefunden, nicht einmal eine Revolte wie bei Glenn Gould. Doch die zweite Gesamteinspielung glänzt in jeder Beziehung etwas mehr, vom künsterischen Ausdruck und von der Aufnahmetechnik her. Es ist in etwa so, als wäre vor einem großen Fest das an sich gut gepflegte Tafelsilber noch einmal mit einem Spezialtuch poliert worden.

Tastengewitter war nie Haeblers Sache, aber die dynamischen Akzentuierungen sind an manchen Stellen schärfer geworden, vgl. die Ecksätze der B-Dur Sonate KV 333. Dafür singen die langsamen Sätze noch etwas wärmer, haben noch mehr Klangfarben als früher. Nie aber wird es "niedlich", "sentimental" oder gar "kitschig", dafür spielt Haebler zu erhaben, zu durchgeistigt. Sicher ist sie auch von ihrem Wesen her zu bodenständig, zu nüchtern, zu ehrlich, zu seriös, vor allen aber zu respektvoll, um den Noten mehr Gefühl zu geben, als von ihrem Schöpfer beabsichtigt. Nein, die Interpretationen sind elegant, unaufgeregt und wunderbar ausbalanziert, hier kommen "Kenner" und "Liebhaber" gleichermaßen auf ihre Kosten. "Kontrollierte Emotionen" habe ich als Überschrift eines Nachrufes gefunden, das trifft es genau.

Ingrid Haebler, die auch als Professorin am Mozarteum unterrichtet hat, ist erst 2023 mit fast 94 Jahren von uns gegangen. Mozart (und auch Schubert) sind früh gestorben; doch vielen ihrer späteren Interpreten haben sie durch ihre Musik ein um so reicheres und längeres Leben beschert - wenigstens möchte ich an diese Kausalität gern genau so glauben.

Bei einer erneuten Gesamtschau aller uns 2023 bekannten Interpretationen wählen wir Haeblers zweite Gesamteinspielung der Mozartsonaten auf Denon als eine von zwei gleichwertig nebeneinander stehenden und sich "ergänzenden" Aufnahmen zur Referenz einer Interpretation auf modernem Konzertflügel. Mehr zum Schluss der Übersicht.

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Mozart Klaviersonaten Pires

Maria João Pires

Maria João (Alexandre Barbosa) Pires hat 1989-1991 Mozart`s Klaviersonaten ein zweites Mal auf 6 CDs für DG eingespielt. 1974 hatte sie für Denon (später wiederveröffentlicht auf "Brillant Classics") schon einmal eine Gesamtaufnahme vorgelegt auf 8 LPs bzw. 5 CDs. Diese Einspielung kennen wir nicht. 15 Jahre sind im Leben einer Künstlerin eine lange Zeit, Erkenntnisse, Erfahrungen wachsen, Auffassungen zur Spielweise ändern sich, manche bisherigen Aufnahmen stellen nicht mehr voll zufrieden. Auch reizen natürlich die sich fortentwickelnden neuen (Digitalisierung!) Aufnahmetechniken. Man kann davon ausgehen, dass Pires ihre zweite Einspielungsserie höher einschätzt als ihre erste.

Die 1991 veröffentichte Neueinspielung gilt vielen Musikfreunden noch heute als Standard, ja als Referenz. Dem ist nicht zu widersprechen, wenn wir persönlich auch 2 andere Gesamteinspielungen auf dem modernen Konzertflügel favorisieren, mehr dazu zum Schluss. Pires spielt geradlinig, entstaubt, ohne jegliche Allüren, Selbstdarstellungen sind ihr Ding nicht. Sie schmückt kaum aus, wählt im Vergleich (zumindest in den Ecksätzen) schnelle Tempi und nutzt die dynamischen Möglichkeiten ihres nahe, klar und natürlich hell klingenden Flügels. Die Mittelsätze "singen" dagegen ruhig, warm, manchmal sanft. Ich möchte gern glauben, dass Mozart ähnlich zu Werke gegangen ist, wenn auch auf seinem Hammerflügel mit weniger Volumen aber ebenso reichen Klangfarben. Mozart war ein außerordentlich guter Pianist, wahrscheinlich hat er seine Brillanz nicht zuletzt auch in Form temporeicher Läufe demonstriert. Ich empfinde Pires` teils schnellen Tempi als absolut natürlich und angemessen.

Immer wieder setzt Pires auch neue Akzente, sehr schön zu hören in den Variationssätzen, also dem 3. Satz von KV 284 und dem ersten Satz von KV 331, aber auch in den 3 späten Sonaten. Bei (doppelblinder) vergleichender Betrachtung erkennt man Pires jeweils sofort.

Pires spielt ihren Mozart so, dass man Beethoven vorausahnt, (was von manchen unerklärlicherweise kritisiert wird), sie vermeidet jegliche Süße, jegliches Schmalz. Diese gewisse Herbheit im Spiel tut Mozart gut. Irgendwie wirken die Sonaten viel "größer" als in teils Jahrzehnte alten Aufnahmen anderer Pianisten, ja sie erscheinen fast monumental, jedenfalls wie "absolute Musik", da ist kein "Verfallsdatum" eingebaut. Pires und Mozart, das ist Verstehen, vielleicht sogar Liebe auf den ersten Blick.

Wer etwas mehr an Deutung, unaufgesetztem Gefühl, an Tempomodulationen, Rubati etc. braucht, der sei auf Barenboim verwiesen. Pires hat dessen Aufnahmen mit Sicherheit gekannt, als sie ins Studio ging. Ich denke, sie wollte "ihren" Mozart noch etwas "schlanker" haben. Das ist ihr großartig gelungen.

Anmerkung: Die Reihenfolge der Sonaten auf den 6 CDs und im Booklet ist identisch zur Reihenfolge der Levin-Einspielung, siehe oben. Im Booklet werden nur die KV-Bezeichnungen angegeben, es erfolgt keine weitere "Nummerierung". Im CD-Text und beim Streamen aber wohl, und da sind die Nummern ab der Sonate Nr. 15 "verrutscht", orientieren Sie sich also am besten nur nach dem KV.

Wie sehr Maria Pires "ihren" Mozart verinnerlicht hat, zeigt folgende berühmt gewordene Begebenheit: Pires hat sich 1999 für eine öffentliche Generalprobe ("Lunchtime-Concert") mit dem Concertgebouw-Orchester unter Riccardo Chailly auf das Mozart-Klavierkonzert KV 467 vorbereitet und bemerkt erst zu Beginn des Orchestervorspiels, dass hier das Klavierkonzert KV 466 auf dem Programm steht. Sie erstarrt, tauscht kurze Blicke und Worte mit dem Dirigenten aus und spielt dann das von ihr nicht aktuell neu vorbereitete Konzert fehlerfrei, manche sagen sogar, verinnerlichter als jemals zuvor.

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Mozart Klaviersonaten Leonskaja

Elisabeth Leonskaja

Elisabeth Leonskaja, 1945 in Tiflis geboren, aber schon bald ins Exil gegangen und heute in Wien lebend, wurde geprägt von Persönlichkeiten wie Heinrich Neuhaus und Sviatoslav Richter. Sie hat in ihrem Leben alles erreicht, was eine Pianistin erreichen kann. Kein großes Orchester, kein namhafter Dirigent, mit dem sie nicht zusammengearbeitet hat.

Von Zeitgenossen, die sie gut kennen, wird immer wieder ihre Menschlichkeit, ihre Großzügigkeit und ihre künstlerische Bescheidenheit, ja Demut herausgestellt. Sie spricht oft von der "künstlerischen Wahrheit" und dass ihr der Notentext "heilig" sei. Das sehen auch die Kritiker so: „Leonskaja fesselt stets mit einer Exegese, die dem Notentext treu bleibt, ohne der Musik ihren Zauber und Lyrismus zu nehmen. Das ist nobel im allerbesten Sinn.“ (Piano News)

Leonskaja ist nicht nur "mit sich selbst im Reinen", sondern auch mit ihrer Ungebung. Man kann nachlesen, dass sie Kraft aus und in der Natur, als Wahlwienerin vermutlich also im Wiener Wald schöpft. Das soll auch das Cover (der Kopf der Pianistin angelehnt an einen Baum) der CD-Box verdeutlichen.

Was bringt sie dazu, 2021 (mit 76 Jahren) Mozarts Sonaten komplett einzuspielen? War es "nur" die Pandemie mit den verordneten Distanzierungen, ja Isolierungen? Wie bei Barenboim`s erneuter und jetzt wohl letzter Einspielung aller Beethoven-Sonaten? Vielleicht, aber das war wohl nicht der einzige Grund. So ein Projekt reift Jahre, braucht lange Vorbereitungszeiten, bevor es realisiert werden kann, dürfte also schon vor Ausbruch der Pandenie geplant worden sein.

Ich denke, Leonskaja wollte ein künstlerisches Vermächtnis hinterlassen, etwas, das für immer bleibt, an das sich noch kommende Generationen erinnern können. Sicher ist Mozart für solch einen Ansatz bestens geeignet, spricht er doch alle Menschen an, egal welchen Alters, welcher geographischen Herkunft, welcher Gesinnung. Und das vermutlich auch noch in kommenden Jahrhunderten.

Aufgenommen wurde im "Alten Sendesaal" von Radio Bremen, der zum Glück von einigen Enthusiasten nach dem Umzug des Senders vor dem Abriss bewahr werden konnte und der berühmt ist für seine einzigartige Akustik. Wir selbst konnten dort schon manch` wunderbares Konzert erleben.

Beim Aufzeichnen von Klavierstücken kommt es nach dem Interpreten natürlich erst einmal auf das Instrument selbst an, verschiedene Hersteller favorisieren unterschiedliche Klangideale. Einige Pianisten (Barenboim, Zimerman) haben sich zudem ihren privaten Flügel "modifizieren" lassen. Und dann denke man nur an die schier unendliche Vielfalt des Klanges von Hammerklavieren.

Dann kommt es auf die Aufnahmetechnik an, also die Positionierung und die Zahl der Mikrofone. Das Klavier kann "nahe" oder auch "fern" klingen, also mehr oder weniger präsent. Letzlich aber zeichnet jeder Tontechniker auch den "Raumklang" mit auf, gewollt oder ungewollt. Unterschiedliche Räume, Hallen, Studios, Kirchen etc. klingen sehr verschieden.

Lassen Sie es mich kurz machen, Leonskaja`s Einspielung der Mozart-Sonaten ist nicht zuletzt auch tontechnisch ein Gedicht. Präsenter Flügel und perfekter Raumklang, egal, ob man mit Kopfhörer oder einer Musikanlage lauscht.

Zur Interpretation: Man hat das Gefühl, Elisabeth Leonskaja "interpretiert" gar nicht, sie spielt so selbstverständlich, als könne es gar keine andere Deutung geben. Tempi, Dynamik, Modulationen, all` das entwickelt sich organisch. Extravaganzen gibt es bei ihr nicht. Suchen Sie "Überraschungen", "noch nie zuvor Gehörtes", dann sind Sie bei Leonskaja an der falschen Stelle. Möchten Sie sich aber ganz einfach in subtile Zweisamkeit mit Mozart begeben, dann sind Sie hier richtig. Wie immer: man kann die Sonaten "anders" deuten, aber nicht unbedingt "besser". Was auch für die jeweils jüngsten Einspielungen von Pires und Barenboim zutrifft und auch für die zweite Gesamteinspielung von Ingrid Haebler und die relativ neuen Interpretationen von Siegfried Mauser.

Nein, Leonskajas Mozart Sonaten sind kein Alterswerk. Sie klingen jung und lebendig, hell und klar, frisch und unverbraucht, sachlich und natürlich, auch technisch nach wie vor versiert. Ich meine, so eine Gesamteinspielung muss auch "wie aus einem Guss" klingen, kein Einzelstück darf wegen irgendwelcher Manierismen aus dem Konzept fallen. Dieses Prinzip wird hier gelebt.

„Ein kaleidoskopischer Mozart mit der Weisheit und Erfahrung eines ganzes Lebens“, beschrieb die britische Kulturwebsite „The Arts Desk“ Elisabeth Leonskajas Mozart-Interpretation. Ich bin sicher, dass in diesem Zusammenhang "kaleidoskopisch" nicht abwertend gemeint ist, sondern als Hinweis auf die vielen möglichen Fascetten seiner Sonaten. Leonskajas Spiel ist jedenfalls nicht "bunt" oder "beliebig", sondern über alle 18 Sonaten hin konstant einleuchtend und schlüssig.

Natürlich versucht man als Liebhaber der Sonaten eine Einordnung, manchmal fast zwanghaft, obwohl das gar nicht sein müsste. Und man hört natürlich bei Vergleichen genau zu. Wenn man das tut, kann man Leonskaja zwischen Pires und Uchida auf der einen Seite und Barenboim auf der anderen Seite verorten. Ihr Spiel weist mehr persönliche Feinheiten auf als das von Pires und Uchida, aber weniger Ausdeutungen als das von Barenboim. Der Flügel klingt wärmer und runder als der eher hell und silbrig anmutende Flügel von Pires - und etwas voller und präsenter als der von Barenboim. Etwas weniger subjektiv, etwas mehr um "Allgemeingültigkeit" bemüht klingen die Interpretation von Siegfried Mauser und die Zweiteinspielung (Denon) von Ingrid Haebler.

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Mozart Sonaten Daniel Barenboim

Daniel Barenboim

Barenboim hat die kompletten Piano Sonaten 1984/1985 eingespielt, als LPs in den Handel gebracht und im Jahre 1991 ergänzend als 5-CD-Box veröffentlicht (Cover nebenstehend). Die gleichen Aufnahmen existieren auch als 6-CD-Box (Japan Pressung) mit einer anderen Aufteilung der Sonaten. Die Sonaten sind zusammen mit 1991 aufgenommenen Variationen 2000 unter einem anderen Cover als 8-CD-Box erneut aufgelegt worden (siehe unten links) und ein weiteres Mal 2022, jetzt mit dem unten rechts abgebildeten Cover. Zuletzt ist die 8-CD-Box um eine weitere CD mit Rondos, Menuetten und kleineren Klavierwerken erweitert worden und als 9-CD-Box (mit einem Porträt Barenboims auf dem Cover) in den Handel gekommen.

Mozart Barenboim 2000
Mozart Barenboim 2012

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Klangunterschiede kann ich nicht feststellen, offenbar ist kein Remastering erfogt. Das wäre auch gar nicht erforderlich, der Klang ist ausgezeichnet. Das Instrument hat entfernt Anklänge an ein Hammerklavier, es ist höchstwahrscheinlich (?) keiner diesen riesigen modernen Konzertflügel.

Barenboim interpretiert manchmal ungewohnt energisch (z.B. Menuett der 4. Sonate KV 282), auch dynamisch differenzierend, perlend, dabei immer nuancierend. Legatospiel wird durch Staccatos abgelöst. Er hat sich offenbar nicht festgelegt, wie er den Zyklus angehen will, sondern interpretiert jede Sonate individuell, ohne dass ein Stück aus dem Rahmen fällt. Schon die ersten Sonaten ("Salzburger", hier besonders die Nr. 1 und Nr. 6) nehmen gefangen. Einige Passagen entfalten einen Ausdruck, der ans Magische grenzt, was wohl am weichen Anschlag und an teils ausgeprägten Tempovariationen und Rubati liegt. Und so geht es weiter bis zur letzten, der 18. Sonate.

Bei allem "kraftvollen" Ansatz seines Spiels zeigt uns Barenboim auch immer wieder die lyrischen Seiten auf, wenn auch ganz ohne Süße. Hören Sie das "entromantisierte" Andante amoroso der 3. Sonate B-Dur, KV 281, das Andante von KV 330, aber auch die gesamte Sonate KV 331 incl. dem Andante. Höhepunkte sind auch die Sonaten B-Dur, KV 333, F-Dur, KV 533/404 und die "Moll-Sonaten" in a-moll und c-moll. Grandios die souveräne Deutung der letzten Sonate D-Dur, KV 576 mit ihrer polyphonen Geste.

Nie stellt sich der Eindruck von Gekünsteltem, Aufgesetztem, Erzwungenem, Gewolltem ein, die Musik fließt "wie von selbst", entwickelt sich völlig organisch, als könne es gar keine andere Sichtweise geben. Wenn ein Pianist uns zeigen kann, dass Mozart auch auf einem heutigen Instrument seinen Zauber entfalten kann, dann ist es nicht zuletzt Barenboim. Um das alles nachzuempfinden eignet sich unter anderem gut das Anspielen der Fantasie c-moll KV 475 und der nachfolgenden Sonate c-moll KV 457 mit ihrem jeweils so reichen und differenziertem Spektrum der Emotionen.

Was den besonderen Zauber dieser Einspielung ausmacht? Schwer zu sagen. Vielleicht trifft Barenboim nur in mir auf resonanzbereiten (Seiten), besser: Saiten? Oder ist es einfach die grandiose Musikalität, die den Altmeister auszeichnet? Zudem kann er bereits als 43jähriger auf eine lange Tradition als Pianist und Dirigent von Werken Mozarts zurückblicken. Er mag hinter "Geheimnisse" gekommen sein, die anderen noch verschlossen sind. Und er nutzt den Raum, den Mozart ganz ausdrücklich in seinen Autographen gelassen hat. Vielleicht kann er sich auch durch seine pure Autorität Interpretationsansätze leisten, die andere, besonders jüngere Pianisten nicht wagen würden bzw. bei ihren Verlagen nie durchsetzen könnten, auch ohne dass sie gleich die Absicht hätten, zu einem "Gould" zu mutieren .

Man findet manchmal Aussagen, Barenboim spiele zu kühl, zu sachlich. Ich empfinde das nicht, ganz im Gegenteil. Doch ich verstehe solche Empfindungen, wenn der Hörer sich bisher mit gefühlsbetonteren Einspielungen auseinandergesetzt hat, etwa den späten Einspielungen von Claudio Arrau (1973-1988). Kommt man aber z.B. gerade von Walter Gieseking`s Aufnahmen aus 1953, so wird man Barenboim nahezu überschwänglich, gar lyrisch finden. Alles also immer auch eine Frage des eigenen Standpunktes und damit Blickwinkels.

Die Einspielungen sind nun fast 40 Jahre alt. Wenn Barenboim sie noch einmal aufnehmen würde (wie er es während der Conona-Pandemie mit den Beethoven Sonaten getan hat), würden sie sicher anders klingen. Nötig ist das keineswegs, Barenboims Interpretation war lange Jahre für uns (neben der von Pires) eine Referenz - und sie ist noch heute großartig.

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Mozart Sonaten Friedrich Gulda

Friedrich Gulda

War es ein Wunder, dass genau zum Mozartjahr 2006 (250. Geburtstag) „Lost Tapes“ der Klaviersonaten auftauchten, eingespielt von Friedrich Gulda? Daran mag man glauben, oder auch nicht. Aber eine mittlere Sensation war es schon.

Wie kam es dazu? Manches an Erklärungen ist verbrieft, anderes gehört wohl ins Reich der Fabel. Das, was wir wissen, stammt aus Berichten der Söhne Rico und Paul, beides selbst Pianisten und von der Lebensgefährtin Ursula Anders, die Guldas Nachlass verwaltet.

Gesichert ist, dass Friedrich Gulda 1981 die Sonaten in drei jeweils bejubelten Konzertzyklen live in München, Mailand und Paris aufgeführt hat. Tonaufnahmen dieser Konzerte sind entweder nicht angefertigt oder nicht zur Veröffentlichung freigegeben worden.

The 10 Mozart Tapes

Von den beiden o.g. Söhnen wissen wir, dass sich F. Gulda zuvor (ca. 1980) in Weissenbach am Attersee in die Mozart Sonaten vertieft hat, sie täglich auf einem Bösendorfer Imperial übte. Manchmal wird angegeben, das sei in einem Zimmer des „Hotels zur Post“ geschehen (Rico Gulda), man liest aber auch, Gulda habe in seinem eigenen Studio in einem umgebauten Gesindehaus gespielt (Paul Gulda). Morgens habe er geübt, nachmittags die mitlaufenden Bänder abgehört. Schließlich, ab November 1982, habe er dann „nur zur privaten Dokumentation“ mit Hilfe eines Tontechnikers und einer High Tech Revox Bandmaschine die hier vorliegenden Sonaten eingespielt.

Die Originalbänder sind verschwunden, Paul Gulda geht davon aus, dass sein Vater sie vernichtet hat. Als 2005 der für die Aufnahmen verantwortliche Tontechniker starb, fanden sich in seinem Nachlass „Sicherheitskopien“ der Bänder auf „Audiokassetten“. Deren technische Qualität war schlecht, im 3. Satz von KV 457 fehlten sogar 30 Sekunden (die jetzt von Paul Gulda „nachgetragen“ wurden).

Die 10 Sonaten der ersten Gulda "Mozart Tapes"

1 Piano Sonata No.10 in C Major, K.330
2 Piano Sonata No.12 in F, K.332
3 Piano Sonata No.13 in B Flat, K.333
4 Piano Sonata No.1 in C, K.279
5 Piano Sonata No.2 in F, K.280
6 Piano Sonata No.3 in B Flat, K.281
7 Piano Sonata No.4 in E Flat, K.282
8 Piano Sonata No.5 in G, K.283
9 Fantasia in C minor, K.475
10 Piano Sonata No.15 in C, K.545 "Facile"
11 Piano Sonata No.9 in D, K.311

Die Bänder sind sehr aufwendig restauriert worden. Zum Mozartjahr 2006 waren offenbar erst die vorstehend bezeichneten Sonaten „fertig“, sie waren mit "live at Weissenbach" untertitelt, obschon sie ja eigentlich unter Studiobedingungen eingespielt wurden.

Weitere 6 Sonaten wurden 2009 zusätzlich zu den anderen in einer neuen Box veröffentlicht unter Beigabe einer Bonus-CD mit kleinen Klavierstücken aus den Jahren 1965-1997. Diese 6 Sonaten müssen aus einer zweiten Aufnahmeserie stammen, sie sind technisch noch etwas unvollkommener als die der ersten Serie. Vielleicht war das auch der Grund, sie zunächst nicht auf den Markt zu werfen.

Es fehlen in der "Gesamteinspielung" die beiden Sonaten KV 309 und KV 533/594. Der Begründung Paul Guldas, sein Vater hätte diese beiden Sonaten für sich als „Stückwerk“ oder „apokryph“ angesehen, die „Echtheit“ von KV 309 gar bezweifelt, wird man mit einer gewissen Skepsis begegnen müssen. Friedrich Gulda war zeitlebens für von ihm gezündete „Nebelkerzen“ bekannt. Einmal hat er sogar (bei bester Gesundheit) seine eigene Todesanzeige veröffentlicht (Neue Zürcher Zeitung). Wirklich gestorben ist er aber erst am 27.1.2000, an Mozarts Geburtstag.

Bleibt die Frage, ob man Aufnahmen veröffentlichen darf, die der Urheber vernichtet, zumindest aber „beiseitegelegt“ hat, zumal die technische Qualität der Sicherungskassetten naturgemäß erheblich schlechter sein muss, als die der verlorenen Originalbänder. Man kann zudem nachlesen, dass Gulda erst in den 90er Jahren mit „seinem“ Mozart zufrieden war, 1982 war er es definitiv noch nicht. Spielte Geld für die Nachfahren und die Plattenfirma eine Rolle? Man weiß es nicht. Wie auch immer, nun liegen der Nachwelt „auf ewig“ diese 16 Sonaten und die Fantasie KV 475 vor.

Übrigens sind diese "Mozart-Tapes" nicht die einzige Veröffentlichung, die von Friedrich Gulda selbst so nicht vorgesehen war, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Auch die "Mono-Tapes" mit Werken von J.S. Bach (Wohltemperiertes Klavier, Englische Suite) auf dem Clavichord ("Bach - Gulda - Clavichord") sind von ihm verworfen worden und wurden erst nach seinem Tode veröffentlicht. Honi soit qui mal y pense....

Gulda packt zu, interpretiert kraftvoll, pointiert, scharf, streng, laut und rau. Im Diskant ist der Klang trotz aller Restaurierung manchmal kurz vor einem „Klirren“, zumal die Mikrofone ganz nahe am (oder sogar im) Flügel positioniert waren. Die kompromisslose Klarheit der Melodieführung, das oft fast erbarmungslose Staccato der Begleitung in den Ecksätzen ist zunächst gewöhnungsbedürftig, nimmt zum Schluss aber gefangen, ja, entwickelt sogar einen eigenen Zauber. In die Mittelsätze gibt Gulda Gefühl hinzu, allerdings intellektuell dosiert. Wobei aber Rico Gulda meint, er spiele dort „zärtlich und phantasievoll“. Einer unserer Musikfreunde sagt immer, das sei „Mozart für Männer“. Und das, obwohl wir doch nun schon seit Jahrzehnten täglich immer neu lernen, dass es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied gibt, also zumindest fast keinen.

Hört man zu Vergleichszwecken in Einspielungen auf Hammerflügel (z.B. Levin) hinein, so ist plötzlich der Klang dieses auf Grund der Band-Aufnahmemängel „abgespeckten“ Bösendorfers gar nicht mehr fremd. Guldas akzentuierter Anschlag tut sein Übriges.

Aus einer Besprechung der 10-CD Box habe ich mir damals folgende Sätze herausgeschrieben, die ich hier unkommentiert wiedergebe: "Das ist fast zu groß, als dass man es ertragen könnte. Die 16 Sonaten werden unter Guldas Händen zu 16 Glaubensbekenntnissen".

Der kurz nach seiner Rezension 2006 verstorbene Peter Cossé nennt Guldas Mozart „eine Synthese von Ungemütlichkeit und Himmelsnähe“. Axel Brüggemann meint, diese Sonaten seien „der nackteste Mozart, den es derzeit zu hören gibt“. Brüggemann spielt wohl auf den in den aufmüpfigen 70er Jahren auch schon mal "nackt" auftretenden Gulda an. Das hat der selbst ernannte "Aufrüttler" in den 80ern allerdings nicht mehr nötig. Eine befreundete Musikliebhaberin meint: "Besser ein nackter Mozart als ein nackter Gulda....". Nun ja.

Warum hat Gulda über Wochen bei mitlaufenden Bändern an seinem Mozart geübt, ganz allein, ohne Publikum? Brauchte es diese intime Atmosphäre? Die Mozart Konzerttour, zugleich seine „Klassik-Wiederauferstehung“, war doch schon gelaufen, und zwar bejubelt, was gab es da noch zu verbessern? Und was hat ihm letztlich an seinem eigenen Spiel nicht gefallen? War sein Mozart noch zu nahe an Beethoven? Und warum hat er nicht in den 90er Jahren, als er regelmäßig Mozart vor Publikum spielte, die Sonaten ganz offiziell aufgenommen? Oder plagten Gulda plötzlich Zweifel, ob Mozart`s Sonaten adäquat auf einem Bösendorfer Imperial wiedergegeben werden können? Wir werden es nie erfahren.

Was wir ahnen können, ist, dass Gulda sehr genau unterschieden hat zwischen (flüchtigen) Live-Konzerten und auf alle Ewigkeit in Stein gemeißelten Tonkonserven. Letztere sollten "perfekt" sein. Die Beethoven Sonaten hat er gleich viermal eingespielt. Erst die letzten Aufnahmen haben ihn zufrieden gestellt, erst danach war er "fertig" mit seinem Beethoven.

Gulda war seinen Zeitgenossen oft ein Rätsel, wahrscheinlich sich selbst auch. Ein Revoluzzer, ein „enfant terrible“ der Klassikszene, anders als sein annähernd gleichaltriger und mit ihm zusammen klassisch ausgebildeter Freund und Jazzer Joe Zawinul Bögen schlagend, keinem Streit aus dem Weg gehend, bewusst desillusionierend wie einst der Theatermensch B. Brecht. Wenn ich seine 1982er Mozart Sonaten höre, dann meine ich es zu ahnen: In der zum Schutz der eigenen Verletzlichkeit harten Schale steckt ein empfindsamer, weicher, gefühlvoller Kern. Ich habe Gulda mehrfach live gehört, aber so richtig verstehen kann ich ihn erst jetzt. Gulda hat sich in seinem Spiel wie in einem Spiegel gesehen und wusste, dass er dieses Spiegelbild auch seinem Publikum nicht verbergen konnte. Perfektionisten mit verletzlicher Seele haben es schwer.

Friedrich Gulda: „Zuerst möchte ich Beethoven spielen lernen, dann Bach und zum Schluss den Meister aller Meister, Mozart!“ Das hat es so verwirklicht, die Klavierkonzerte der 70er und 90er Jahre hat er uns zum Glück auf Tonträgern (jetzt z.T. neu remastert auf DG-"Original Source"-LP!) hinterlassen. Mit den Mozart Sonaten hatte für ihn das Revival 1980-1982 begonnen.

Wie man auch immer zu Gulda und seiner Mozart-Annäherung steht, zumindest eines machen die "Tapes" noch heute überdeutlich: Dieses ungeheure, ja fast verzweifelte Ringen um die eigene, dann aber auch gültige Interpretation, um Klangfarben, Agogik, Verzierungen, Artikulation, Phrasierungen, Tempi und Dynamik - und hier ringt mit Mozart und sich selbst immerhin einer der unwidersprochen größten Pianisten des 20. Jhd.

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Mozart Sonaten Ronald Brautigam

Ronald Brautigam

Ronald Brautigam hat 1996 Mozarts gesamte Werke für Solopiano auf 10 CDs aufgenommen. Säter wurden dann 6 CDs mit den 18 Sonaten und der c-moll Fantasie ausgekoppelt und separat in einer Box zusammengefasst. Brautigam gilt als einer der ganz wenigen herausragenden Pianisten, die sich auf das Hammerklavier spezialisiert haben und einen weltweiten exzellenten Ruf genießen. Haydn und Mozart bilden dabei deutliche Schwerpunkte.

Brautigam spielt auf einem Nachbau eines zeitgenössischen Hammerflügels von Anton Walter, gefertigt um das Jahr 1795. Das Instrument wurde 1992 (noch in Amsterdam) gebaut von Paul McNulty. Der Amerikaner McNulty, der heute in Tschechien fertigt, genießt einen legendären Ruf als Instrumentenbauer. Kein Wunder, dass auch Bezuidenhout (siehe nächster Artikel) seine Instrumente nutzt.

Dieser hier verwendete Nachbau klingt etwas voller als Mozart`s eigener Hammerflügel, den Robert Levin spielt. Das mag zum einen daran liegen, dass ja nicht gut 200 Jahre an ihm "genagt" haben, entscheidender aber ist wohl die damals rasante Entwicklung im Instrumentenbau. Zwischen dem Fertigungsdatum von Mozarts Flügel und dem Original, das diesem Nachbau zugrunde liegt hatte sich in diesen nur 15 Jahren viel an Fortentwicklung getan.

Fortepiano Brautigam

Das von Brautigam verwendete Fortepiano von Paul McNulty

Brautigam besitzt mehrere Hammerflügel, die er differenziert für seine Konzerte und Einspielungen einsetzt. Er achtet darauf, dass das Fertgungsdatum des dem Nachbau zugrunde liegenden Originalinstrumentes zur jeweiligen Komposition passt. Beethovens späte Werke etwa könne man allein wegen des 5 Oktaven überschreitenden Tonumfangs gar nicht auf einem frühen Hammerklavier der Mozartzeit spielen. Brautigam führt im Interview aus, dass sein Spiel auf Hammerklavieren seinen Anschlag verändert habe, auch wenn er einen modernen Steinway spiele. Er agiere mit weniger Kraft, aber mehr Sensibilität. Seine Lieblingsinstrumente bleiben aber Hammerflügel, die "rosige Wangen und zugleich anämische Lippen" hätten und von den Klangfarben her unvergleichlich seien. Das lässt sich vom Hörer gern bejahen.

Brautigam geht kraftvoll zur Sache, verwendet durchaus Tempovariationen, Rubati und spielt mit den dynamischen Möglichkeiten seines Instrumentes, verwendet auch Dämpfung und Moderatorzug. Insgesamt eine deutlich mehr um subjektive Interpretation bemühte Einspielung als die von Levin und Badura-Skoda - und immer noch ausgeschmückter als die von Bezuidenhout. Allein von der Anlage seiner Interpretation her lässt sich Brautigam mit Barenboim vergleichen.

Was mich nicht ganz zufrieden zurücklässt, ist der Gesamtklang. Der Hammerflügel ist für meinen Geschmack "zu weit weg", der Raumklang zu hallig. Allein von daher würde ich immer die Gesamteinspielung von Bezuidenhout vorziehen, oder die von Levin, falls es noch puristischer sein soll.

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Mozart Klaviersonaten Kristian Bezuidenhout

Kristian Bezuidenhout

Kristian Bezuidenhout hat 2009 für den englischen Zweig der französischen Harmonia Mundi die Mozart Sonaten KV 533/494 und KV 570 eingespielt, dazu die c-moll Fantasie KV 475 und den Variationszyklus KV 455. Als Instrument stand ihm ein 1987 gefertigter Nachbau (Derek Adlam) eines Anton Walter-Hammerflügels (gebaut um 1795) zur Verfügung.

Aufgenommen wurde in den für ihre Akustik berühmten „AIR Studios“ in der Lyndhurst Hall London, einer früheren Kirche. AIR steht übrigens nicht für "Luft", sondern für „Associated Independent Recording“. Die Geschichte des Studios ist (nebenbei bemerkt) eng mit Sir George Martin verbunden, dem legendären Produzenten der Beatles.

Zum Zeitpunkt der Aufnahmen bestand keineswegs der Plan, alle Mozart Sonaten und viele andere seiner Klavierwerke einzuspielen. Diese Idee reifte erst im Studio und wurde dann über die folgenden 7 Jahre Stück für Stück umgesetzt und mit dem Doppelalbum „Vols 8 & 9“ beendet. Diese Doppel-CD und die Volumina 1-7 der bis dahin als Einzel-CDs erhältlichen Einspielungen wurden 2021 als 9 CDs enthaltendes Box-Set zusammengefasst. Anders als bei Brautigam beinhaltet auf diese Weise die Box nicht nur die Sonaten, sondern Mozarts Gesamtwerk für Fortepiano solo. Natürlich ist diese Box dennoch die erste Wahl, wenn man alle Sonaten haben möchte. Man kann aber auch heute noch die Einzel-CDs beschaffen.

Die Aufteilung der Sonaten in der Box hat sich gegenüber den Einzel-CDs nicht verändert. Bezuidenhout hat bis zuletzt sein Konzept durchgezogen, die Sonaten mit anderen Werken für Piano solo zu koppeln. Die einzelnen Werke sind dabei nicht nach ihrer chronologischen Entstehung, sondern nach ihrem "inneren Zusammenhang" eingespielt worden.

Für die zweite CD hat Bezuidenhout wiederum einen Anton Walter Nachbau verwendet, diesmal eine 2008 entstandene Kopie von Paul McNutty nach einem Original, das ca. 1802 entstanden ist. Alle folgenden CDs wurden ebenfalls auf einem McNutty-Nachbau (2009) eingespielt, jetzt aber einem Anton Walter Original aus 1805 folgend. Diese McNutty-Nachbauten (weltweit für ihre historische Wahrhaftigkeit berühmt) sind speziell für Bezuidenhout gefertigt worden, der sich alte Originale in Wien angeschaut und inzwischen den Plan gefasst hatte, wirklich alle Sonaten und Solo Klavierstücke Mozarts einzuspielen. Sie standen bei den ersten Aufnahmen, die heute das „Vol. 1“ bilden, seinerzeit noch nicht zur Verfügung.

Diese Vorgeschichte zeigt die Ernsthaftigkeit, mit der Kristian Bezuidenhout zu Werke gegangen ist. Er war zu dieser Zeit bereits als Spezialist für Aufnahmen auf historischen Instrumenten bekannt, hat sich aber in den volle 7 Jahre dauernden Sessions dieses Großprojektes weiterentwickelt. In genau diesem Zusammenhang schauen Sie mal auf die immer anderen Porträts, die die Einzelvolumina 1-9 schmücken.

Eine kurze Beschreibung der Aufnahmequalität vor der ganz klar noch wichtigeren Würdigung der Interpretationsleistung: Man hört schon bei den ersten (noch nicht harmonisch begleiteten) Tönen der c-moll Fantasie, KV 475, mit welcher Akribie die Toningenieure gearbeitet haben. Der Hammerflügel steht ganz nahe zwischen den Boxen, die Akustik der zum Studio umgebauten Kirche ist völlig natürlich, sie vermittelt den Eindruck, als sei man bei einem Live-Konzert in der ersten Reihe sitzend dabei. Beim Hören oberhalb 80dB vernimmt man das typische Summen der Studioelektronik, das häufig audiophile Aufnahmen begleitet.

Zurück zur c-moll Fantasie: gerade dieser Satz hat ja alles in sich, was sich später im Verlauf der Sonaten noch ereignen wird, sehr leise und sehr laute Töne, Legato und Staccato, perlende Läufe, wuchtige Akkorde, zärtliche Momente und Kraftakte. Natürlich macht der Walter-Nachbau das alles brav mit, er schnarrt nicht (oder nur ganz selten), klingt auch bei Verwendung des Moderatorzuges kein bisschen kastriert, zeigt ein reiches Klangfarbenspektrum und kann Wärme, aber auch kristallene Klarheit überbringen. Dass er für die folgenden Einspielungen ausgetauscht wurde, ist wohl nur unter der bekannten Prämisse zu verstehen: „Das Bessere ist des Guten Feind“.

Der Hammerflügelnachbau, der auf CD 2 verwendet wurde, klingt m.E. noch etwas heller, voluminöser, im Ton „stabiler“, für meinen Geschmack manchmal aber etwas zu „scharf“. Die Unterschiede sind allerdings marginal. Der ab der 3. CD (Sonaten KV 332 und 333) zum Einsatz kommende Nachbau eines „moderneren“ Walter Instrumentes klingt in Summe etwas weicher, harmonischer, hat keinerlei „Schärfe“ mehr. Insgesamt ist der Klang „gezähmt“, soll vielleicht Konsumenten erreichen, die sich noch nicht in die Welt der Hammerklaviere eingearbeitet haben. Für mich, der auch gut mit Mozarts eigenem Hammerflügel (Robert Levin) klarkommt, hätte es keinen „Flügelwechsel“ gebraucht.

Alle drei verwendeten Hammerflügel zeigen vor allem eines auf: Mozart hat für den Hammerflügel komponiert. Hätte er einen Steinway zur Verfügung gehabt, wären Teile der Komposition anders ausgefallen. Auf einem Hammerflügel lässt sch nicht "zu laut" spielen, auf einem modernen Flügel schon. Es muss wahnsinnig schwer sein, die Mozart Sonaten auf einem modernen Instrument zu bändigen. Der Interpret muss jedenfalls die Dynamikanweisungen der Notenschrift seinem Konzertflügel anpassen.

Ich kann mir, entschuldigen Sie bitte, nicht ganz den Hinweis darauf verkneifen, dass auf CD Nr. 1 nach der c-moll Fantasie Bezuidenhout die Sonate Nr. 15, F-Dur, KV 533/494 spielt, also als erste von ihm überhaupt aufgenommene Mozart Sonate, und zwar ohne, dass damals weitere Einspielungen zur Diskussion standen. Warum dieser Hinweis? Nun, nach der Erinnerung von Paul Gulda habe Vater Friedrich in Weissenbach genau diese Sonate nicht berücksichtigt, weil er sie für „apokryph“ hielt.

Ich möchte wetten, dass Mancher, der das Gesamtwerk nicht genau kennt, beim ersten Hören der einen oder anderen von Bezuidenhout interpretierten Sonate gar nicht glauben würde, dass er gerade einem Stück von Mozart lauscht. „Das soll Mozart sein?“ Hat er z.B. zu Beginn des Allegretto gazioso aus KV 333 (CD 3) vielleicht noch diesen Verdacht, verwirft er ihn während der Durchführung. Das ist nicht mehr der irgendwie weichgespülte Mozart aus Interpretationen der 60er Jahren. Ich kenne in Mozart Verliebte, die mit Bezuidenhout`s Art, Mozart zu spielen, Probleme haben. Das wird sich auch bei den Ecksätzen aus KV 332 der CD 3 nicht ändern. Aber vielleicht lässt sich Annäherung erreichen im Andante cantabile (KV 333) und Adagio (KV 332)?

Bezuidenhout ist Mozart seit seiner Kindheit verbunden. Er liebte schon damals dessen „Frechheit und wahnsinnig große Arroganz“, wie er in einem Interview mit dem BR erzählt. Dort erklärt er auch, dass es ihm bei seinem Spiel auf “Agogik, Klangfarben und Tempi“ ankommt. Genau dies ist ihm absolut gelungen. Imponierend, wie durchsichtig er die linke und die rechte Hand auch bei den rasantes Presti führt, wobei ihm dabei das gewählte Instrument entgegenkommt.

Im Unterschied zu Gulda (dort z.T. der Bandqualität geschuldet) klingen die Sonaten auch im lautesten Fortissimo niemals „hart“, niemals übertrieben herausgestellt. Gerade in den Sonaten hat Mozart eben nicht den Virtuosen (wie in seinen Klavierkonzerten) herausgestellt, nicht den üppigen Opernkomponisten gemimt. Die Sonaten haben immer etwas Intimes, manchmal sogar Archaisches an sich.

Wenn inspirierte Pianisten am Werk sind, „singen“ die Sonaten, trotz aller dramatischer Kontraste. Ähnliches empfinde ich sonst nur noch bei Schubert. Bezuidenhout sieht Mozart nach seinen eigenen Worten nicht in „Pastell“, sondern in „kräftigsten Farben“, weiß aber genau, dass seine Interpretation ein Wagnis ist, eine kühne Herausforderung für den Mozartianer vergangener Jahrzehnte. Gleichzeitig spürt man seine Gewissheit, den richtigen Zugang zum Sonatenwerk gefunden zu haben.

Brautigam und Bezuidenhout wussten, dass sie die Balance zwischen „Zucker und Pfeffer“ finden mussten, was beiden zweifelsfrei gelungen ist. Bei Brautigam ist die Skala gering zu „Zucker“, bei Bezuidenhout gering zu „Pfeffer" verschoben.

Als Bezuidenhout`s erste CD des Zyklus herauskam, habe ich mir aus einer Rezension folgenden Satz notiert: „Vielleicht sollte auf dem Cover das der Interpretation innewohnende Suchtpotential vermerkt werden“.

So oder so: Wer sich unvoreingenommen mit Bezuidenhout und seinen Hammerflügeln auf diese spannende, von ihm als „Guide“ genau vorbereitete Mozartreise begibt, wird sich am Ende reich belohnt fühlen. Wie schrieb das Fono Forum: "Eine Interpretation voller Wollust, Witz und Wehmut". Und weiter: "Hier ist ein Pianist am Werke, der tief eingetaucht ist in den Klangkosmos von Mozarts Klaviermusik, und der auch dort zu Höchstform aufläuft, wo die interpretatorische Herausforderung etwas geringer ausfällt, nämlich z.B. in der D-Dur-Sonate, KV 284 ..." Die Musikzeitschrift Audio schreibt: "Glanzvolle Virtuosität, Empfindsamkeit und Tiefgründigkeit machen diese berückend klingende Aufnahme zu einer weiteren Referenz in Sachen Mozart auf dem Fortepiano".

2012 hat Bezuidenhout für die Gesamteinspielung den "Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik" erhalten. Hier die Laudatio: "Diese Einspielung des Mozart’schen Gesamtwerks für Soloklavier ist schon jetzt ein Meilenstein in der Interpretationsgeschichte dieses Repertoires. Zugleich setzt Kristian Bezuidenhout damit neue Standards in der Spielweise historischer Fortepianos. Er erkundet die Mozart’sche Musik mit äußerst feinsinniger Artikulation und einem unerschöpflichen Klangfarbenreichtum, wozu insbesondere sein facettenreicher Pedalgebrauch beiträgt. Sonaten, Variationen und Fantasien werden auf intelligente Weise gemixt und in Beziehung gesetzt, was dem faszinierenden Ansatz Bezuidenhouts entspricht, die Musik stets auch vor dem Hintergrund der lebendigen Improvisationskultur des 18. Jahrhunderts zu betrachten: Es gilt, den komponierenden Pianisten Mozart neu zu entdecken".

Auch für uns die Referenzaufnahme der auf einem zeitgenössischen Instrument gespielten Mozart Sonaten, zumindest in Hinblick auf „Gesamteinspielungen“. Dass ich dennoch immer wieder zum Vergleich Robert Levin auf Mozarts eigenem Hammerflügel heranziehe, bestätigt auch dessen kaum schlagbare Bedeutung als Vor- und Wegbereiter historisch informierter Mozart-Interpretationen. Und natürlich fasziniert es, dem Klang zu folgen, den Mozart bei seinen Kompositionen und seinem Spiel ziemlich genau so im Ohr hatte.

Falls Sie Gefallen am Klang eines Hammerflügels gefunden haben, empfehle ich Ihnen aus meiner subjektiven Sicht die Gesamteinspielung von Kristian Bezuidenhout. Sie ist neben einer anderen Interpretation (s.u.) für uns die unübertroffene Referenz einer Aufnahme auf dem Hammerklavier.

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Mozart Sonaten Fazil Say

Fazil Say

Nach einer recht positiven Rezension im "fono forum" neugierig geworden landet diese Box 2016 auf meinem CD-Player. Eingespielt hat Fazil Say alle Piano Sonaten von W. A. Mozart 2014 auf einem modernen Flügel im großen Saal des Mozarteums Salzburg. Hingewiesen wurde noch darauf, dass Say zu jeder Sonate einen eigenen Text geschrieben habe, um das Stück aus seiner Sicht zu charakterisieren, er hat sich auch jeweils eine mit seiner eigenen Biografie verbundene Überschrift, also einen "Titel" ausgedacht. Die a-moll Sonate KV 310 heißt z.B. "Schubert", die F-Dur Sonate KV 533 "Above the clouds", die D-Dur Sonate KV 576 "Forest" etc. Das klang spannend.

Say schreibt im booklet: "Mozarts Musik wird einfache Artikulation nicht gerecht. Man muss sie mit dem Körper und dem ganzen Wesen verinnerlichen, um sie zu spielen. Man muss sie leben und atmen.Ich habe mein Bestes gegeben, diesen Zustand zu erreichen und der Musik die nötige Ehre zu erweisen. Diese Aufnahme stellt für mich die vielseitigste und bedeutenste Arbeit dar, der ich mich bisher in meiner Interpretenlaufbahn gewidmet habe. Die Gefühle, die ich während dieser Aufnahme erlebte, habe ich in dieser besonderen Form ebenso zum ersten Mal in meinem Leben empfunden".

Herausgekommen ist eine extrem subjektive Mozart-Deutung, überladen, teils nahezu übertrieben expressiv und mehr dem eigenen Empfinden als Mozarts Notentext folgend. Das alles ist so noch völlig in Ordnung, was aber wirklich stört (besonders beim Kopfhörergebrauch), ist, dass Say immer wieder wie einst ein Glenn Gould "mitsingt", teils leise brummend, teils ziemlich laut. Diese ihm schon länger anhängende "Gewohnheit" wollte er hier eigentlich abstellen, wie er selbstkritisch in einem Interview ausgeführt hat. Es hat aber nur zu einer Reduzierung gereicht. Dagegen empfinde ich den Klang des Flügels in Zusammenhang mit dem Raumklang sehr natürlich, obschon in mancher Besprechung eine mangelnde "Brillanz" beklagt wird.

Wenn das "fono forum" schreibt, "man kann mit dieser Mozart-Kassette Facil Says als Grundausstattung gut leben", so möchte ich vehement widersprechen. Zur "Grundausstattung" taugt sie meines Erachtens gar nicht, aber sie zeigt, wie Mozart auch heute noch zur eigenen Katharsis beitragen kann, und sei es auch nur zur Katharsis des interpretierenden Pianisten. Wer "seinen" Mozart gut kennt, darf sich sehr gern bewusstseinserweiternd mit Fazil Says subjektiver Sicht befassen. Erlaubt ist, was gefällt (und was hilft).

Wir verstehen übrigens, dass vielen unserer Zeitgenossen die Deutungen von Say gefallen, geht die Musikrezeption doch leider neuerdings in eine sehr subjektive, mehr den Interpreten als den Komponisten in den Vordergrund stellende Richtung. Wir stehen mit dieser Entwicklung auf Kriegsfuß.

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Mozart Klaviersonaten Badura Skoda

Paul Badura Skoda

Paul Badura Skoda hat 1978-1981 eine Gesamtaufnahme aller Mozart Sonaten auf einem modernen Flügel (für Eurodisc) vorgelegt. Zum "Mozartjahr" 1990/1991 wurde die Box ohne jedes Remastering neu aufgelegt, erhielt aber ein anderes Cover. Beide Kassetten umfassen jeweils 5 CDs. Die Interpretation setzt immer noch Maßstäbe, wenn auch die meisten Fans des 2019 verstorbenen Altmeisters wohl eher zu seiner Einspielungen der Jahre 1984-90 (für Naïve) auf einem Hammerflügel von Johann Schantz (1790) zurückgreifen werden (siehe unten).

Mozart-Paul-Badura-Skoda-1991_Web

Der Klang der 1778/81er Aufnahme ist naturgemäß nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Eine neues Mastering der Originalbänder wäre wünschenswert gewesen. M.E. kann aber kaum ein Musikfreund an den Einspielungen Badura-Skoda`s vorbei.

Während Levin seine Gefühle zu Gunsten einer authentischen Darstellung zügelt, Say in seiner Katharsis vor Gefühlen trieft, einem Barenboim und der späten Leonskaja das Gefühl einfach ganz natürlich, jedenfalls ganz und gar ungekünstelt zu Eigen ist, Haebler und Pires ihre Gefühle aus eigener Lebens- und Vortragserfahrung heraus genau dosieren, Gulda in seinem Alterswerk Gefühle allenfalls intellektuell einstreut, so überlässt Badura-Skoda die Gefühlswelt ganz den Noten, nimmt nichts weg und fügt nichts hinzu. Je nach eigener "Mozartsicht" mag Manchem diese Deutung etwas zu nüchtern sein, die Auslegung der Noten zu karg, ich aber empfinde Badura-Skoda`s schnörkelloses Spiel als eine Art "Reset", um auf die "Werkeinstellung" zurückzusetzen.

Mozart Klaviersonaten Badura Skoda

Paul Badura-Skoda ist eine Autorität der Interpretation von Werken der Wiener Klassik auf zeitgenössischen Instrumenten. So hat er nicht ganz unerwartet nach seiner Gesamtaufnahme 1978/1981 aller Mozart Sonaten auf einem modernen Flügel (für Eurodisc) das Gesamtwerk in den Jahren 1984-90 (für Naïve) erneut auf einem Hammerflügel von Johann Schantz (1790) eingespielt, links das Originalcover einer französischen Gesamtausgabe.

Paul Badura-Skoda hat nicht zuletzt mit seinen Einspielungen der Schubert- und Beethoven Sonaten auf diversen zeitgenössischen Hammerflügeln Maßstäbe gesetzt. Kaum ein anderer Pianist kennt oder kannte sich derart gut mit diesen Instrumenten (von denen er eine ganze Sammlung besaß) aus - und auch nicht mit den Autographen. Das Instrument von Johann Schanz (ca. 1790) klingt etwas voller als Mozart`s Flügel von Anton Walter, der ca. 10 Jahre älter ist, hat aber deutlich weniger Volumen als der 1987er Nachbau eines Walter-Instrumentes aus 1795, das Kristian Bezuidenhout spielt.

Badura-Skoda 3 Sonaten

Und dann hat der inzwischen 85jährige in 2013 die Sonaten KV 330, KV 331 und KV 545 ein weiteres Mal aufgenommen, diesmal auf einem Walter Hammerflügel von ca. 1790. Hier nun ist der Klang zeitnah, sehr direkt und hell, manchmal leider wohl unvermeidlich etwas "schnarrend". Mozart hat übrigens in seinen Briefen an den Vater den teils "scheppernden" Klang einiger zeitgenössischer Hammerflügel beklagt.

Der im Vergleich zu seinen Voreinspielungen jetzt bessere Gesamtklang liegt natürlich an der modernen Aufnahmetechnik, aber auch an dem gewählten Hammerflügel. Ob die Einspielung der Beginn einer neuen Gesamtaufnahme werden sollte, ist mir nicht bekannt.

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Sonaten Christoph Eschenbach

Christoph Eschenbach

Christoph Eschenbach hat Mozarts komplette Klaviersonaten in den Jahren 1967-1970 an verschiedenen Orten auf Analogband eingespielt. Die Veröffentlichung erfolgte 1971 in Form einer 7-LP-Box. Als Besonderheit sind den 18 Sonaten mit KV 46d und 46e zwei "Jugendwerke" vorangestellt. Ansonsten hält sich die Reihenfolge der später als CD-Box zusammengefassten Aufnahmen an die übliche Reihenfolge, wobei allein die Bezeichnungen des KV und die Tonarten zur Identifizierung dienen, auf eine Nummerierung wurde verzichtet. Die Box ist jetzt in der Reihe "Collectors Edition" der Deutschen Grammophon erhältlich. Man kann (zumindest antiquarisch) auch noch die Sonaten KV 545, 457 und 331 als Einzel-CD bekommen, in Verbindung mit den bereits 1965 aufgenommenen 12 Variationen KV 265.

Eschenbach hat jahrelang eine Art Bogen um Mozarts Klaviersonaten gemacht, zumindest was Tonaufnahmen angeht, darin ähnelt er Friedrich Gulda. Vielleicht braucht es wirklich eine Portion Lebens- und Musikerfahrung, um hinter die "Geheimnisse" der Sonaten zu kommen.

Jüngere Zeitgenossen werden Eschenbach gar nicht mehr als Pianisten auf dem Schirm haben, sondern als Dirigenten und Talentförderer. Tatsächlich hat er bereits 1972 mit seiner Dirigententätigkeit begonnen und sich nur noch selten ans Klavier gesetzt. Insofern sind die Mozartsonaten schon so etwas wie sein pianistisches Vermächtnis.

Eschenbach ist sich der Spannungen bewusst, in die sich eine Pianist begibt, wenn er Mozart interpretieren will. Er geht das Gesamtwerk eher ruhig und gelassen an, sucht gemäßigte Tempi, widersteht einer "Sturm und Drang"-Deutung, spürt dafür den der Musik innewohnenden Empfindungen nach, ohne dass sein Spiel zu viel an "Empfindsamkeit" zulässt. Manch einer wird vielleicht etwas "Feuer", vielleicht auch Vituosentum vermissen. Ich denke allerdings, Eschenbach hat hier eine keiner "Mode" unterliegende für immer gültige Version geschaffen, zumindest aber eine dieser wirklich wahrhaften Versionen.

Empfindungen darf man in Mozarts Musik niemals nur mit Harmonie, Empathie und Humor gleichsetzen, da gibt es auch reichlich Dissonantes, Schroffes, Nachdenkliches, ja auch Trauriges. Das alles herauszuarbeiten, ohne sich in Einzeldeutungen zu verlieren, gelingt Eschenbach mühelos. Die Sonaten klingen vor allem diesseitig lebensbejahend. Dass einige Mittelsätze vom Himmel zu kommen scheinen, hat nicht Eschenbach zu verantworten, sondern Wofgang Amadeus Mozart.

Das verwendete Instrument wird nicht genannt, es klingt sehr hell und nicht zu opulent. Es ist weder zu nahe, noch zu fern aufgenommen worden. Die Resonanzen des Raumklangs sind nachvollziehbar, aber differieren schon deutlich je nach Aufnahmeort. Die Gesamtdynamik der CDs ist angenehm zurückhaltend. Heutige Einspielungen sind klangtechnisch sicher noch etwas klarer, aber die mehr als 50 Jahre, die die Aufnahmen auf dem Buckel haben, hört man ihnen nicht an. Klangtechnisch am besten schneiden m. E. die in der Jesus-Christus-Kirche Berlin mitgeschnittenen Sonaten ab. Warum bei den weiteren Einspielungen auf diese Lokation verzichtet wurde, gibt Rätsel auf.

Insgesamt eine sehr schöne lebendige Einspielung, die sich erkennbar aller Gefahren einer Interpretation bewusst ist und in keine der möglichen Fallen tappt.

15 Jahre später wird Mitsuko Uchida eine sehr ähnlich inspirierte Einspielung vorlegen, nur dass sie in einzelnen Sätzen schärfer akzentuiert, dass sie einen voller und etwas wärmer klingenden Flügel verwendet und dass die Aufnahmetechnik inzwischen vorangeschritten ist.

Das Booklet sollten Sie - wenn überhaupt - nur als Persiflage eines Plattenhüllentextes der Nachkriegsjahre wahrnehmen. Unter der Überschrift "Wer war Mozart?" nichts als schwülstige Worthülsen. Das war so sicher nicht mit Christoph Eschenbach abgesprochen, der uns mit seinem Spiel die Frage ohnehin längst beantwortet hat.

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Mozart Mitsuko Uchida

Mitsuko Uchida

Wer ohne Vorinformationen in die Einspielungen von Mitsuko Uchida hineinhört, könnte vom Klang her als erstes an eine soeben ganz neu erschienene Produktion denken. Tatsächlich aber datieren die für Philips eingespielten Aufnahmen aus den Jahren 1983-1987, waren Teil ihrer 1991er Mozartedition und wurden 2000 von der zur gleichen Konzernmutter gehörenden Decca zu einer 5-CD-Sonatenbox zusammengefasst.

Das zweite, was zusätzlich zum angenehm hellen und räumlichen Klavierklang auffällt, ist der ganz ungewöhnlich differenzierte, ja kultivierte Anschlag, der alle Schattierungen vom leisesten Pianissimo bis zum lautesten Fortissimo umfasst.

Als dritte Besonderheit der Interpretation erweist sich schon nach wenigen Sonatensätzen eine (im besten Sinne des Wortes) neutrale Herangehensweise, will sagen, dass hier keine singuläre oder gar voreingenommene Sicht auf Mozart stattfindet, sondern dass alle denkbaren Emotionen je nach Notentext mitschwingen, wenn auch dezent. Wir hören Heiterkeit, Witz, Melancholie, ja Todtraurigkeit, zu Beginn sogar ein Stürmen und Drängen und zum Schluss das reife unaufgeregte Wissen um alles Menschliche (vgl. das Adagio der B-Dur-Sonate KV 570, für das sich Ushida mehr als 9 Minuten Zeit nimmt).

Alle Sonaten wurden in der Londoner „Henry Wood Hall“ eingespielt, einer aufgelassenen und zum Konzertsaal umgerüsteten Kirche. Die Akustik des großen Saals ist derart ausgewogen, dass dort auch die Londoner Symphoniker und Londoner Philharmoniker proben. Die Mikrophone standen weder zu nahe (wie z.B. bei Gulda), noch zu entfernt (wie z.B. bei Brautigam), so dass der Gesamtklangeindruck angenehm und völlig stimmig ist. Welcher Flügel verwendet wurde, wird im Booklet nicht angegeben.

Auf immer wieder geäußerte Vorbehalte gegenüber asiatischen Interpret:innen gehen wir hier aus gutem Grund nicht ein. Nur so viel: Mitsuko Ushida ist in Wien aufgewachsen, hat dort mit 21 Jahren den 1. Preis beim Beethoven-Wettbewerb erhalten und lebt seit ihrem 24. Lebensjahr in London. Mozart ist einer ihrer Schwerpunkte geworden, sie hat aber auch unter anderem Werke von Schubert, Chopin und Schönberg im Repertoire, ist also breit gefächert.

Die Box bringt die Sonaten in üblicher chronologischer Reihenfolge - bis auf KV 533/494, das die Reihe beschließt. Die Edition verzichtet übrigens auf eine Durchnummerierung, man muss sich allein an den Angaben zum KV und zu den Tonarten orientieren.

Neben dem einzigartig federleichten, aber ausdrucksvollen und klaren Anschlag (an Perahia erinnernd) ist es frappierend, wie Ushida mit beiden Händen so völlig unterschiedlich artikulieren kann, was zur feinen Ausbalancierung paralleler Stimmen und breiter Klangfülle führt, wovon vor allem der Bass profitiert. Das so klangsinnliche Adagio der F-Dur Sonate KV 280 und die reichen Variationssätze der Sonaten D-Dur KV 284 und A-Dur KV 331 mögen als Beispiele dienen.

Ushida, die fast (aber eben nicht zwanghaft) alle Wiederholungen ausspielt, findet nach unserer Überzeugung bei jedem Satz das „richtige“ Tempo, falls es das überhaupt geben sollte. Jedenfalls ist bei ihr ein Allegro „assai“ deutlich bewegter als ein Allegro und ein Presto perlt nur so dahin. Wenn ein Satz die Zusatzbezeichnung „cantabile“ trägt, dann singt das Klavier, wenn „con espressione“, „con spirito“, „amoroso“ oder „grazioso“ angegeben ist, wird das Instrument unter Ushidas Händen zum lyrischen Charakterdarsteller, zu reiner Poesie.

Wer sonst gibt so intime Einblicke in die dunklen Momente der c-moll Fantasie und der beiden moll-Sonaten! Dramatische Ausbrüche darf man von ihr nicht erwarten, auch keine Zuspitzungen oder gar Ausuferungen, dafür stehen andere Interpreten. Nein, Ushidas Spiel ist bei aller Expressivität immer akurat, durchdacht, delikat und subtil, vielleicht könnte man auch sagen "diszipliniert". Disziplien versus künstlerische Freiheit, ein "weites Feld".

Uns erinnert Ushidas Interpretation ein wenig an die ebenso grundehrliche und respektvolle Herangehensweise eines Christoph Eschenbach, auch was die Tempowahl und die (sparsamen!) Phrasierungen angeht. Wem beide Pianisten zu „kopfert“, zu durchdacht, zu wenig spontan erscheinen mögen, dem bieten sich reichlich Alternativen (etwa Claudio Arrau, Alfred Brendel, Andras Schiff, Christian Zacharias). Für uns war lange Jahre Ushidas Einspielung neben der von Daniel Barenboim und der von Maria Pires maßstabssetzend, was Aufnahmen auf einem modernen Konzertflügel angeht. Seit wenigen Jahren favorisieren wir allerdings die zweite Gesamteinspielung von Ingrid Haebler (auf Denon) und die relativ neue Einspielung von Siegfried Mauser (siehe unten).

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Glenn Gould Mozart Piano Sonatas

Glenn Gould

Der Kanadier hat von 1965 bis 1974 alle Mozart-Klaviersonaten einschließlich der beiden Fantasien d-moll und c-moll eingespielt. 2021 sind die Aufnahmen technisch herausragend remastert als 4-CD Box wiederveröffentlicht worden. Allerdings variiert der Klangeindruck; entweder wurden verschiedene Flügel gewählt, verschiedene Studios, oder es liegt an einer im Laufe der Jahre veränderten Tontechnik. Sehr störend ist das aber nicht.

Gould

Neben der oben abgebildeten 4-CD Box gibt es eine 5-CD-Box (Cover nebenstehnd), die als zusätzliche 5. CD das Klavierkonzert Nr. 24 c-moll KV 491 umfasst sowie eine frühe Alternativaufnahme der Sonate C Dur KV 330 und die Fantasia + Fuge C-Dur KV 394. Beide Boxen kosten bei JPC mit 18,99 € gleich viel. Die 5-CD Box kommt mit einem Booklet, das neben einigen Fotos des Interpreten eine fiktives Gespräch im Himmel zwischen Gould und Mozart bringt. Mozart hört Gould den ersten Satz aus KV 331 spielen, worauf sich ein neckischer Dialog entspannt, in dem alles angesprochen wird, was Gould zu der bekannten exzentrischen Reizfigur gemacht hat. Eine Gould von Mozart angetragene Sitzung bei Dr. Freud auf der Wolke nebenan wird von ersterem brüsk abgelehnt. Autor dieses herrlich-komischen Kabinettstückes ist der renommierte Musikjournalist, Komponist, Hochschulprofessor und Buchautor Michael Stegemann, der u. a. auch eine Monografie über Gould herausgegeben hat: Glenn Gould. Leben und Werk Pieper. 1992, ISBN 978-3-492-03584-2.

Ich habe nie ganz verstanden, warum Gould eine Gesamtaufnahme der Pianosonaten vorgelegt hat. Es ist bekannt, dass er mit Mozart gefremdelt, ihn gar als „mittelmäßigen, völlig überschätzten Komponisten“ bezeichnet hat. Nach seiner Meinung sei er auch nicht zu früh, sondern zu spät gestorben, womit er Mozarts Jugendwerk gegenüber dem Spätwerk hervorheben bzw. letzteres abqualifizieren wollte. Zum Gesamtbild gehört aber nicht zuletzt die Tatsache, dass Gould auch Komponisten wie Schubert, Schumann, Chopin und Liszt nicht „mochte“, den "mittleren" Beethoven für allenfalls mittelmäßig hielt und auch Teile des Brahms`schen Oeuvres ablehnte. Vor allem Schubert mit dessen verletzlicher Seele hat er ganz außen vorgelassen. Gut so, ein solcher "irgendwie" gestalteter Versuch wäre ihm ganz sicher völlig missglückt. Mozart ist da robuster und kann auch einen Gould aushalten.

Sag` mir, welchen Komponisten, welche Musik Du magst, bei welcher Musik Deine Augen feucht werden, und ich sage Dir, wer Du bist (Franz von Seboca).

War Goulds Haltung ein Protest, eine Reaktion auf die in den 60er Jahren noch vielfach (vor allem in Salzburg, das er übrigens auch nicht mochte) vorherrschende Verklärung des Komponisten? Hildesheimers antithetischer Essay „Mozart“ (1977) war noch nicht erschienen, am Komponisten klebte trotz aller biografischer Tragik reichlich Zuckerguss, pianistische Mozartpuristen gab es kaum (vielleicht mit Ausnahme des ziemlich spröden Walter Gieseking). Mozart, der von Gott geschickte Heilsbringer, oder doch zumindest der apotheotisch zu Gottesgleichen aufgestiegene Genius, wie ihn mancher Musiker und auch Laie sah: war das der Nimbus, den es zu zerstören galt?

Originalton Glenn Gould: "Die posierenden Triller und Arpeggios, sämtlich mit ihrem Gezwitscher überflüssig für die thematische Grundaussage. All das hat dazu beigetragen, eine Konzerttradition aufzubauen, die einige der peinlichsten musikalischen Beispiele für das menschliche Bedürfniss nach Zurschaustellung geliefert hat."

War Goulds Mozart-Aversion ein bloße Reaktion auf die sich ihm bietende Aufführungspraxis, oder war es wirklich, wie man oft liest, das Fehlen der kontrapunktischen Kompositionstechnik in manchen Mozartwerken und bei den Komponisten der Romantik? Hatte Gould keine Ader, kein Gefühl für Melodiebögen und deren Variationen? Kann es sein, dass ein an Bach geschultes Hirn nur noch kontrapunktisch funktioniert? Gut, dass Herz und Bauch nicht nach Kontrapunktik verlangen.

Fehlte Gould vielleicht in oder besser neben seinem Pianistenleben der läuternde "Kontrapunkt" einer langanhaltenden Beziehung oder gar der einer Familie mit Frau und Kindern? Schluss jetzt, genug mit diesen feuilletonistisch-abartigen Spekulationen...

Aber noch einmal: Warum (trotz alledem) diese Mozart-Gesamteinspielung? War es eine Art Hassliebe, die ihn (vielleicht unbewusst, jedenfalls ungewollt) emotional nicht losgelassen hat? Oder musste er einen Vertrag mit seinem Verleger erfüllen? Doch wäre ein Gould vorstellbar, der von ihm verachtete Musik einspielt, nur um vertragstreu zu sein?

Fühlte Gould sich zu einer Provokation, einer Attacke, gar einem „Angriffskrieg“ berufen, wollte er den von ihm als glatt, ja hohl empfunden Mozart exemplarisch persiflieren, lächerlich machen, zerlegen, gar zerstören? Hat er denn nicht gewusst, dass Mozart dem erfahrenen Interpreten seiner melodiösen Sonaten - dem „Kenner“ also - bewusst jede Möglichkeit der kontrapunktischen und anderweitigen Ausschmückung überlassen hat? Und dass die von ihm kritisierten vorgeschriebenen "sforzandis" auf einem zeitgenössischen Hammerklavier einen ganz anderen Effekt hatten als auf Goulds Steinway?

Oder waren seine Mozart-Interpretationen gar der Versuch eines Feldzuges gegen sich selbst? Denn wen erreicht eine Pianist mit einer von der Mehrheit der Musikliebhaber abgelehnten Deutung eigentlich sonst! Einen „Kaufzwang“ gibt es ja nicht. Also vielleicht letztendlich doch eine Art der Katharsis?

Das als (warnender) Hinweis, falls Sie sich mit Gould`s Mozart befassen wollen. Machen Sie sich darauf gefasst, dass Gould die Noten zerstückelt, neu zusammensetzt, ganz und gar ungewöhnliche Tempi wählt, jedenfalls selbst Mozarts eigene spärliche Spielanweisungen außer Acht lässt. Sein Ansatz, sein Credo war wohl, man müsse Mozart anders interpretieren als alle Pianisten vor ihm. Ein Legato erscheint ihm eher strafbar, Gefühle gehören getilgt, vorgeschriebene Reprisen erachtet er als unnütz. Ein Andante schreitet bei ihm nicht, sondern hoppst. Begleitstimmen werden über die Hauptstimme gelegt oder ganz neu komponiert. Akkorde werden zu Arpeggien aufgelöst, vgl. den Schlussatz der A Dur Sonate KV331. Ein Allegro wird zum Presto, selbst in der von Gould „begnadigten“ Dürnitz-Sonate KV 284, in der er sogar die Reprisen beachtet.

Was hätte wohl Mozart zu Goulds Vortrag gesagt, also real, und nicht fiktiv, wie bei Stegemann (s.o.)? Vielleicht dasselbe, was er nach einem Wettstreit vor Kaiser Joseph II. an seinen Vater schrieb: „Der Clementi spielt gut, wenn es auf execution der rechten hand ankömmt. […] - übrigens hat er um keinen kreutzer gefühl oder geschmack. Mit einem Wort ein blosser Mechanicus.“

Nun soll nicht verschwiegen werden, dass bei aller augenscheinlich gewollten „Exekution“ auch immer wieder wunderbare Momente in Goulds Mozart-Spiel aufblitzen. Mit der Dürnitz-Sonate kann man irgendwann seinen Frieden machen. Und auch mit der a-moll Sonate KV 310, deren Eingangssatz (Allegro maestoso) von Gould als Prestissimo dargeboten wird und nur so vorüberrauscht. Keine Trauer über den Tod der Mutter, eher eine Befreiung? Wer will und wer Hildesheimer`s „Mozart“ gelesen hat, darf es getrost so sehen. Mozarts empathische Gefühle seiner Familie und seinen Zeitgenossen gegenüber hielten sich ja bekanntermaßen in Grenzen, als wären sie allesamt schon in seiner Musik verbraucht worden. Aber offenbart uns das anschließende „Andante cantabile con espressione“ (6:18) doch noch etwas vom Innersten des Menschen Glenn Gould - bevor das abschließende Presto alles in Grund und Boden jagt? Fordert vielleicht Mozart selbst manchen nachschöpferisch tätigen Interpreten zu blankem Wahnsinn heraus?

Oder nehmen wir die B-Dur Sonate KV 333; der erste Satz "Allegro" wird als Prestissimo misshandelt und fliegt Gould und seinem Turbo-TGV bereits nach 3:42 Minuten aus der Kurve. Nur mal zum Vergleich: der alles andere als romantisierende Gulda braucht hierfür 9:56 Minuten. Dann aber spielt Gould ein Andante cantabile, was diesen Namen verdient und ein Allegretto grazioso, das bei allem Drive noch genug Luft zum Atmen hat; zwei Sätze, die versöhnen können. Wie nahe liegen hier mal wieder Genie und Wahnsinn beieinander. Hat bereits Shakespeare einen Glenn Gould kommen sehen: "Und ist`s Wahnsinn auch, so hat es doch Methode".

Für uns ist das Highlight der Box die Interpretation der Fantasia c-moll KV 475. Gould spielt sie nicht – wie allgemein üblich – direkt vor der (durchaus akzeptabel interpretierten) c-moll-Sonate KV 457, sondern stellt sie als letztes Stück singulär ans Ende der Gesamteinspielung. Hier reduziert er auch sein (durch das Remastering noch betontes) in anderen Sätzen ganz schlimmes Mitsingen, Brummen oder Stöhnen und lässt sogar etwas Agogik, Dynamik und Tempomodulationen zu. Eine beachtenswerte Interpretation, erst zum Ende der Serie in 1974 aufgenommen. Ein versöhnlicher Schluss?

Vielleicht, unseres Erachtens aber bleiben bei der Gesamtschau eher Misstöne. Goulds Verdienst, verkrustete Strukturen aufzubrechen, wie es ihm schon bei seiner Ersteinspielung von Bach`s Goldberg Variationen gelungen ist, sollen nicht bestritten werden. In unserem kleinen Klassik-Musikkreis gibt es aber mit einer einzigen Ausnahme keinen, der sich mit Goulds Mozart anfreunden kann. Es setzt sich - zugespitzt ausgedrückt - letztendlich der Eindruck eines technisch unübertroffenen Tastengenies fest, das bar jeglicher Emotion ist, bzw. diese einzig in seinen Gesang legt. Denn wenn Gould bei seinen Interpretationen nichts „gefühlt“ hätte, wie könnte dann sein Stimmorgan diese Ausbrüche von sich gegeben haben. Was aber, wenn er alle Gefühle seinem Klavier anvertraut hätte….

Ich kenne ihn nur vom Hörensagen, den Film „Glenn Gould - The Alchemist“ von Bruno Monsaingeon mit den oft zitierten Dialogen. Finden wir dort in den Gesprächen mit dem Autor Antworten auf unsere Fragen? Was ist ein Alchemist? Historisch gesehen unter anderem jemand, der nicht nur Gold, sondern vor allem Schießpulver herstellen wollte? Letzteres jedenfalls ist Gould bei seinen Mozartinterpretationen gelungen.

Was bleibt? Wie schrieb mir kürzlich ein Klassikfreund: „Selbst ein Glenn Gould konnte die Mozart-Sonaten nicht kaputt machen“. Also, wenn Sie es durchaus wagen wollen, dann machen Sie sich selbst ein Bild. Aber fragen Sie vorher Ihren Arzt oder Apotheker.

Was uns schlussendlich wichtig ist: Lassen wir bitte auch für Gould das Motto der Wiener Secession gelten: "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit". Und einen anderen bekannten Spruch sehr bewusst abändern: "Erlaubt sein muss gerade das, was nicht gefällt".

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Malcolm Bilson

Malcolm Bilson

Malcolm Bilson hat für Hungaroton ab 1987 alle Mozart Piano Sonaten auf dem Hammerklavier (auch „Hammerflügel“ oder Fortepiano genannt) eingespielt und 1989, 1990 und 1991 als Volumina I-III auf Doppel-LP und Doppel-CD veröffentlicht.

Das Vol. I beinhaltet die Sonaten Nr. 8 (heute 9), 5, 3, 11, 2 und 10, verwendet wird die Replik eines Anton Walter Hammerklaviers um ca. 1780, nachgebaut 1977 von Philip Bell. Vol. II enthält die Sonaten Nr. 6, 9 (heute 8), 12, 17, 18 und 13, gespielt auf dem Nachbau eines Hammerklaviers von Louis Duicken (München) des Jahres 1790, gefertigt 1979 von Thomas und Barbara Wolf. Vol. III umfasst die Sonaten Nr. 1, 4, 7, 14 (incl. der c-moll Fantasia), 15 und 16, gespielt auf dem Nachbau eines Anton Walter Hammerklaviers um ca. 1790, hergestellt von Paul McNutty 1989.

Was der Grund für diese spezielle Wahl war, kann ich nicht erkennen, da teils auch „frühe“ Sonaten auf einem erst später konstruierten Instrument gespielt werden. Wer Bilson aber kennt, weiß, dass ganz sicher genaue Überlegungen dahinterstecken.

Malcolm Bilson ist ein 1935 geborener amerikanischer Pianist, der sich als einer der ersten mit der historisch-informierten Aufführungspraxis auseinandergesetzt hat. Sein Lieblingsinstrument ist das Fortepiano, auf dem er herausragende Einspielungen aller Schubert Pianosonaten und zahlreicher Sonaten von Beethoven und Haydn vorgelegt hat, zudem im Duett Beethovens Cellosonaten zusammen mit Anner Bylsma und Schuberts Musik zu vier Händen zusammen mit Robert Levin.

Bilson hat zahlreiche jüngere Pianisten ausgebildet, eine große Zahl wissenschaftlicher Arbeiten publiziert, Meisterkurse abgehalten und Wettbewerbe als Juror begleitet. Seine in den hier besprochenen Mozartaufnahmen verwendeten Hammerklavier-Nachbauten klingen schon recht modern, sie zeigen die in wenigen Jahren erfolgte Entwicklung im Instrumentenbau gegenüber dem noch von Mozart selbst gespielten Klavier.

Der Gesamtklang der Aufnahmen ist außerordentlich gut, als wäre die Musik gerade erst eingespielt worden. Instrument und Raum bilden eine harmonische Einheit. Es musste auch später kein aufwändiges Remastering erfolgen, da es sich um DDD-Produktionen handelt.

Alle Sonaten lassen sich mittlerweile streamen, machen Sie sich also ganz einfach selbst ein Bild anhand der von uns oben für ein Probehören oder einen Vergleich empfohlenen Stücke. Nach unserem Empfinden handelt es sich um eine grundsolide Interpretation mit eher gemäßigten Tempi und durchaus reichen Empfindungen, letztere unterstützt vor allem durch gezielt eingesetzte Agogik, weniger durch dynamische Abstufungen und kaum durch Verzierungen. Den Moderatorzug verwendt Bilson sehr selten, ein Beispiel bilden die letzten Takte der 7. Sonate C Dur, KV 309 ("Cannabich"). Insgesamt in Summe alles andere als eine nüchterne Einspielung, jedenfalls weit weg von der von Uchida, eher vergleichbar mit der von Barenboim oder gar Say und auch deutlich „empfindsamer“ als die von Bezuidenhout.

Malcolm „interpretiert“ sehr bewusst und folgt dabei seinem eigenen analytischen Weg, den er sich in seinen Mozart-Studien erarbeitet hat. Dass das Sentiment nicht zu sehr durchbricht, liegt wohl am „historischen“ Instrument, das (vor allem) dynamische Übertreibungen gar nicht gestattet und an der soliden akademischen Basis des Interpreten, (man muss wohl nicht gesondert betonen, dass er nicht „mitsingt“).

Malcolm Bilsons Mozart-Sonaten erweitern das Interpretationsspektrum entscheidend, dazu kommt der individuelle Ton seiner Instrumente, die sich untereinander, aber auch von den Hammerklavieren anderer Pianisten unterscheiden. Um das nachzuempfinden, können Sie gleich bei der ersten Sonate KV 311 auf CD Nr. 1 bleiben und sich in den 3. Satz (Rondeau. Allegro) vertiefen. Oder Sie nehmen sich den Schlusssatz der Dürnitz-Sonate KV 284 (Thema mit 12 Variationen) auf CD Nr. 3 vor. Dermaßen reiche Klangfarben hat kein moderner Flügel, selbst dann nicht, wenn er von einer Ingrid Haebler gespielt wird.

Insgesamt eine grundsolide, in sich geschlossene Einspielung mit vielen Feinheiten. Ob letztere gefallen oder irritieren und ob überhaupt ein Hammerklavier „angenommen“ werden kann, ist und bleibt allein der u. U. einem speziellen Mozartbild verpflichteten Einschätzung des Hörers vorbehalten. Wir lieben Bilson`s Mozart (wie auch seinen Schubert), und würden die Einspielung zur Referenz einer historisch-informierten Aufnahme neben der von Bezuidenhout küren. Robert Levins Interpretation bleibt nach unserer Einschätzung etwas für "Fortgeschrittene".

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Klára Würtz Mozart Piano Sonatas

Unser Plattenschrank bietet noch die Gesamteinspielungen von Christian Zacharias (1985) und Klára Würtz (1998), die wir im einzelnen nicht besprechen werden. Wenn Sie eine der beiden Boxen für kleines Geld antiquarisch erwerben können, greifen Sie zu.

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Christian Zacharias Mozart Piano Sonatas

Zacharias und Würtz haben international konzertiert, sind vielleicht dennoch keine „Weltstars“ im engeren Sinne, aber "ihr" Mozartspiel ist blitzsauber, ohne in irgendeine zugespitzte Richtung abzudriften. Wir legen einzelne Sonaten aus beiden Boxen immer wieder auf, nicht zuletzt, um im Vergleich der Interpretationen zu "resetten". Was vor allem nach Glenn Gould von Nöten ist.

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Mozart Alfred Brendel

Alfred Brendel

Brendel hat während seiner gesamten Pianistenlaufbahn immer auch Mozarts Pianosonaten gespielt, nie aber eine „Gesamteinspielung“ vorgelegt, das war wohl auch nicht geplant.

Zu seinem 85. Geburtstag sind dann von Decca/Philips innerhalb deren „Eloquence-Serie“ die auf verschiedensten CDs und LPs versammelten Sonaten unter dem Titel „Brendel spielt Mozart“ als 7-CD-Box herausgebracht worden. Dabei sind frühere Veröffentlichungen (siehe Cover-Galerie) ohne ein Remastering übernommen, teils unverändert als Gesamtes auf eine neue CD gebrannt, teils aber auch um eine Sonate oder ein anderes Solowerk erweitert worden. Wer schon frühere Aufnahmen von Brendel besitzt, sollte also einmal einen genauen Vergleich anstellen, ob sich der Kauf der Box für ihn lohnt. Zumal der Schuber schmucklos und ohne jedes Booklet daherkommt.

Die Aufnahmen wurden in den Jahren 1975 bis 2008 eingespielt. Enthalten sind die Sonaten 3, 4, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 18 und weitere kleine Klavier-Solostücke wie etwa das Adagio in h-moll K. 540, die Fantasie in c-moll K. 475, die Duport Variationen K.573 und das Rondo in a-moll K.511.

Da neben Studioproduktionen auch Live-Mitschnitte eingebunden worden sind, finden sich einige Sonaten in unterschiedlicher Interpretation, was durchaus reizvoll ist.

So wurde die Sonate N. 4 eingespielt 1991 und 2004; die Sonate Nr. 8 (neu:9) a moll 1982 und 2002; die Sonate Nr. 11 1975 und 1999; die Sonate Nr. 13 1975 und 2000; die Sonate Nr. 14 1984, 1990 (live) und 2001; die Sonate Nr. 15 (KV 533/494) 1991, 2002 und 2018 (live); die Fantasia c moll 1990 (live) und 1991.

Die frühen Sonaten Nr. 1, 2, 5, 6, 7 und die späte Sonata facile Nr. 16 sind in der Box nicht enthalten.

Apropos „Sonata facile“, Zitat Alfred Brendel: „Ist es immer noch notwendig darauf hinzuweisen, dass Mozart nicht leichter zu spielen ist, weil weniger Noten, Akkorde und Bravourpassagen dastehen? Mozart ist so anspruchsvoll, weil jede Note, jede Nuance zählt und alles bloßliegt, besonders in der äußersten Reduktion der Klaviersonaten. Vielleicht muss hier die Erfahrung des Spielers, wie in Kleists ‚Über das Marionettentheater‘ erst durch ein Unendliches gegangen sein, bevor die Grazie sich wieder einstellt.“

Notiert habe ich mir vor vielen Jahren die Bemerkung eines Kritikers: „Wenn dem Musikfreund an Mozart überhaupt etwas leicht erscheint, dann ist es seine unbedingte Tanzbereitschaft, seine Melodik, seine natürliche Gabe, den Rhythmus und Puls von Musik spürbar werden zu lassen und die Zuhörer mitzureißen. Aber genau das ist schwer. Deshalb ist Alfred Brendel nie müde geworden, die Größe von Mozarts Kompositionskunst herauszustellen, und er meint damit sowohl deren tänzerische als auch poetische Qualität“.

Brendels Ziel war es immer, die emotionale Tiefe, die melodiöse Grazie, die schönen Harmonien und die humorvolle Ausgelassenheit Mozarts herauszustellen. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, auch nicht innerhalb der heitersten Passagen, die Würde und die Ernsthaftigkeit der Musik in Frage zu stellen. Brendel hatte tiefen Respekt vor Mozart. Ein revolutionärer Erneuerer ist er nicht, wollte es auch nicht sein. Da mag manchem Hörer, der Gould, Mauser, Gulda oder Say im Ohr hat, durchaus einiges an eklatanten äußeren Effekten fehlen. Lässt man sich aber auf Brendels subtiles Spiel ein, so entdeckt man zauberhafte Klangelemente.

Eine Gesamtwertung von Brendels Einspielungen der Box wollen wir hier nicht vornehmen, zu unterschiedlich sind die einzelnen Stücke geraten. Nehmen wir nur den Kopfsatz der a moll Sonate KV 310, Allegro maestoso, für den sich Brendel 1985 9:37 Minuten Zeit lässt, 2003 dann aber nur noch 6:14 Minuten braucht. Dazu kommen die technischen Klangunterschiede, die frühen Aufnahmen wurden noch auf analogem Tape, die späteren digital als DDD konserviert.

Brendels Lieblingssonaten lassen sich wohl daran erkennen, dass er sie zweimal oder sogar dreimal auf Tonträgern verewigt hat, siehe die Darstellung weiter oben. Uns gefallen daraus sehr gut die späten Aufnahmen der a moll Sonate, KV 310 (2003) und der c moll Sonate, KV 457 (2001) sowie der Fantasia c moll, KV 475 (1992). Vielleicht ist er in diesen Stücken seinem Lieblingskomponisten Franz Schubert am nächsten? Aber das ist reine Spekulation. Eine Sternstunde scheint uns auch der 2008 in Hannover erfolgte Mitschnitt der F Dur Sonate Nr. 15, KV 533/494 zu sein. Brendel hat in seinem Mozartspiel eine Entwicklung vollzogen, hin zu schnelleren Tempi, weniger emotionaler Emphase, weniger agogischer Verzierung, einfach zu mehr Nüchternheit. Verloren gegangen ist dabei nichts.

Nachfolgend 6 Cover bekannter früherer Einspielungen mit Querverweisen auf die 7 CD Box "Brendel spielt Mozart".

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Brendel-Decca-1

Identisch mit CD Nr. 5 der Box "Brendel spielt Mozart" 2001

Brendel-Philips1

Identisch mit CD Nr. 4 der Box "Brendel spielt Mozart" 2000

Brendel-Philips-2

Enthalten in der CD Nr, 1 der Box "Brendel spielt Mozart" 1975

Brendel-Philips-4

Enthalten in CD Nr. 2 der Box "Brendel spielt Mozart"

Brendel-Philips-5

Identisch mit CD Nr 6 der Box "Brendel spielt Mozart"

Brendel-Philips-3

Enthalten in der CD Nr. 7 der Box "Brendel spielt Mozart"

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Mozart Andras Schiff

András Schiff

András Schiff hat 1980 mit 26 Jahren alle Mozart-Sonaten eingespielt und 1981 als 6-LP-Box bei Decca veröffentlicht. Aus dieser Sammlung sind später zahlreiche Sonaten ausgekoppelt und einzeln auf CD veröffentlicht worden (siehe die Cover und Verweise unten). 1991 sind die Aufnahmen von Decca als 5-CD-Box zusammengefasst worden. 1992 hat Schiff die beiden Sonaten KV 545, KV 570 und die Fantasia c moll KV 475 zusammen mit einigen kleinen Stücken auf Hammerklavier eingespielt (Cover ganz unten rechts). Eine Serie ist daraus (leider) nicht entstanden. Heute spielt Schiff in Konzerten weltweit gern die späten Sonaten der 4 Wiener Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert auf dem modernen Flügel. Ich kenne aber keine Live-Mitschnitte eines dieser Konzerte.

Als Schiff 1980 die Sonaten aufgenommen hat, waren von den vielen oben erwähnten „modernen“ Mozart-Gesamteinspielungen nur die ersten Serien von Haebler und Pires auf dem Markt. Die frühen Denon-Aufnahmen von Pires (1974) kennen wir nicht. Im Vergleich zu Haebler (1963-68) spielt Schiff frischer, unbekümmerter, wählt schnellere Tempi und verziert, ja „interpretiert“ fast gar nicht – ist er doch noch in seiner eigenen Sturm- und Drang-Phase und lange noch kein „Sir“. Die Sonatensätze fließen in großen Bögen ohne herausgehobene Phrasierungen, betont wird dadurch vor allem die Form.

Eine Einspielung ohne Fehl und Tadel, ohne jegliches Aufgesetzte, die Melodiebögen perlen wunderbar (nur manchmal verschwimmen sie etwas, wohl dem nicht gut aufgenommenen Raumklang geschuldet), dynamische Akzente werden gesetzt, aber nie übertrieben. Die langsamen Sätze haben Schmelz, aber schmelzen nicht dahin, behalten immer noch einen Rest Herbheit. Eine gelungene schöne Einspielung (bar jeder Romantik) eines noch jungen Pianisten. Vielleicht die im besten Sinne des Wortes "schmuckloseste" aller Mozart-Einspielungen ab Anfang der 60er Jahre.

Wenn einzelne Sonaten das Gesagte alles in allem deutlich machen sollten, dann sind es die mittlere B Dur Sonate KV 333 (Nr. 13) und die späte B Dur Sonate KV 570 (Nr. 17), die Schiff vielleicht bezeichnenderweise an den Anfang und an das Ende seiner Einzelveröffentlichungen bzw. der Box setzt. Allerdings klingt die gesamte Einspielung wie aus einem Guss, ist sie doch auch im Unterschied zu Aufnahmen anderer Pianisten in einem engen zeitlichen Rahmen (und nicht in größeren Abständen) entstanden.

Die Klangqualität ist (trotz selten auftretender verschwimmender Tonläufe) immer noch recht gut, obwohl nach meinem Wissen kein Remastering erfolgt ist, und das auch nicht bei der später erschienenen zusammenfassenden CD-Box. Dass die Tontechnik inzwischen fortgeschritten ist, beweist Schiff selbst mit seiner Hammerflügel-Einspielung aus 1992, der leider keine weiteren Aufnahme-Sessions gefolgt sind.

Die 5-CD-Box wird heute sehr preiswert angeboten, wer sie zur Erweiterung des dargebotenen Interpretationsspektrums erwirbt, macht keinen Fehler. Wer sich aber erstmals mit einer "modernen“, als "nüchtern" verstandenen Gesamtaufnahme auf dem Konzertflügel befassen will, dem rate ich doch eher zu Ushida, Eschenbach, Zacharias und/oder den späten Zyklen von Pires und Haebler, die zum einen klangtechnisch punkten können (Ushida, Eschenbach, Zacharias), zum anderen aber zusätzlich auch etwas mehr Klangfarbe ins Spiel bringen (Zacharias, Pires, Haebler). Und was das "elementar Zupackende" angeht, punktet ganz klar Siegfried Mauser (s.u.).

Von András Schiff wünschte ich mir eine „Altersaufnahme“ aller (oder zumindest) vieler Mozart-Sonaten, egal, ob auf Hammerklavier oder auf Konzertflügel. Revolutionär wäre es wohl, wenn ein Pianist beides parallel vorlegen würde. Nach meinem Wissen gibt es so etwas ähnliches nur von Badura-Skoda, aber eben auch nicht „parallel“.

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Nachfolgend die 5 Cover der Einzelveröffentlichungen, deren Inhalt identisch zu den 5 CDs der Box ist. Es gibt zudem weitere Einzelveröffentlichungen mit anderem Inhalt und anderem Cover, alle kommen aber aus der Aufnahmesitzung 1980. Das 6. Cover zeigt die oben beschriebene singulär gebliebene Hammerklavier-Einspielung der Sonaten KV 545, KV 570 und der Fantasia 575, angehängt sind zwei kleinere Rondos.

Schiff-1

Auskoppelung (1980) KV 284, KV 283, KV 330

Schiff-2

Auskoppelung (1980) KV 333, KV 545, KV 457, KV 475

Schiff-3

Auskoppelung (1980) KV 331, KV 310, KV 576

Schiff-6

Auskoppelung (1980) KV 533, KV 281, KV 311, KV 309

Schiff-7

Auskoppelung (1980) KV 279, KV 282, KV 332, KV 570

Schiff-Hammerklavier

Originalaufnahmen 1991 KV 545, KV 570, KV 475 et al.

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Mozart-Sonatas-Mauser

Siegfried Mauser

Ein Radio-Podcast nannte Mausers Mozart-Einspielung eine "Wucht", und das ist nicht übertrieben. Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 1995-2013. Sie wurden gezielt nach der Zeit ihrer Komposition auf 2 verschieden klingenden Steinway D und einem Bösendorfer interpretiert.

Mozart-Mauser-Buch

Mauser hat umfangreich musikwissenschaftlich gearbeitet und publiziert, hat an mehreren Musikhochschulen und Akademien gelehrt und war zuletzt Rektor des Mozarteums Salzburg. Mozart war einer seiner Schwerpunkte. Begleitend zur Vorstellung der von ihm eingespielten Klaviersonaten hat er einen "musikalischen Werkführer" verfasst, der manch wichtige Hintergrundinformation liefert. Aber schon das Booklet der Box erklärt detailliert den Wandel der Interpretationspraxis in den letzten 2 Jahrhunderten und macht uns mit Mausers eigener Herangehensweise vertraut.

Ob nun die wuchtige, fast an eine beethovengemäße Herangehensweise erinnernde Interpretation den persönlichen Geschmack trifft, vielleicht zumindest Neugier erweckt, oder auch nicht, der Herr und wir müssen ihm nicht verzeihen, Mauser weiß genau, was er tut. Er bringt seine wohlbegründete wissenschaftliche Expertise zu Dynamik, Agogik, Paraphrasen, Artikulation und Verzierungen ein, zudem seine Persönlichkeit voller Kraft, Lust und Leidenschaft - das Ergebnis ist phänomenal, einzigartig zumindest. Uns gefällt Mausers Mozart, etwas ähnliches haben wir zuvor noch nie gehört.

Wir wissen nicht, ob es Ihnen manchmal gelingt, beim Hören z. B. einer Mozartsonate etwas Anderes "nebenbei" zu tun? Wenn dem so ist, werden Sie sich bei Mausers Mozart umstellen müssen. Die Sonaten werden Besitz von Ihnen nehmen und Sie nicht loslassen. Es liegt wohl an der Kraft der Einspielung, an den so enorm eindrücklichen und eindringlichen Phrasierungen, dass Sie nur noch der Musik lauschen können.

Dabei setzt Mauser niemals irgendwelche vordergründige Effekte ein. Sein Spiel klingt stimmig und ausgewogen, hier scheinen seine jahrelangen Forschungsergebnisse Gestalt anzunehmen. Das leise emotional-lyrische Moment steht in seiner Zartheit völlig gleichberechtigt neben den virtuosen Läufen und kraftvollen Akkorden. Mauser hebt sich von der "Wiener Schule", wie er sie nennt, bewusst ab, ohne sie herabzusetzen, wollte aber mit seiner Interpretation wohl ein "Statement" abgeben, eine Art Gegenposition beziehen. Die Denon-Aufnahmen von Ingrid Haebler (die er der "Wiener Schule" zurechnet) hat er aber möglicherweise noch nicht gekannt. Wir empfinden seine wuchtig-kraftstrotzende Mozartdeutung als ideale Ergänzung zur Zweiteinspielung von Ingrid Haebler und umgekehrt. Sie werden (zusammengenommen) neben diesen beiden keine anderen Einspielungen finden, die Mozarts Gefühls- und Klangwelt in ihrer vollen Breite so umfassend abbilden.

Hören sie nur mal rein in die "mittlere" B-Dur Sonate KV 333 und erleben Sie, wie dieser Mozart-Mauser quasi in Sie hineinkriecht, Widerstand zwecklos. Ich denke, Mauser hat genau das gefunden, was Gulda immer suchte und was Gould von vornherein verstellt war. Eine Referenzeinspielung!

Wenn Sie vergleichen wollen, hier noch einmal die dafür zu Beginn dieser Übersicht empfohlenen Sonaten: Sonaten Nr. 6 (D-Dur), Nr. 9 (a-moll), Nr. 14 (c-moll incl. der Fantasia KV 475) und Nr. 18 (D-Dur). Ergänzend aber empfehlen wir in diesem Fall zum Vergleich noch die Sonate B-Dur KV 333.

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Die Referenzen

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Haebler_klein
Mauser_klein

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Bezuidenhout_klein
Bilson_klein

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Unsere Favoriten - Referenzeinspielungen

Unsere Favoriten auf dem modernen Konzertflügel sind die zweite Einspielung von Ingrid Haebler (auf Denon) und die Einspielung von Siegfried Mauser (auf Celestial harmonies).

Als Favoriten einer Interpretation auf dem Hammerklavier haben sich für uns die Gesamtaufnahmen von Kristian Bezuidenhout (auf harmonia mundi) und Malcolm Bilson (auf Hungaroton) etabliert.

Diese 4 Gesamtaufnahmen stellen für uns die derzeitigen Referenzen dar. Eine zugegeben subjektive Wahl. Hören Sie hinein in den Mozart-Kosmos und treffen Sie gern für sich eine andere Entscheidung.

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"Je mehr man Mozart liebt, je mehr man sich mit ihm beschäftigt, desto rätselhafter wird seine Persönlichkeit". (Hermann Hesse)