Eleanor McEvoy - Gimme some wine

Gimme some wine

Eleanor McEvoy`s Musik hat viele Facetten, nur eine davon lässt sich mit dem oft benutzten Schlagwort „Irish Folk“ beschreiben. Immer aber geht es ihr um Wahrheit, Wahrhaftigkeit und echte Gefühle, oft zudem um Partnerschaft und Liebe. Da macht auch (und gerade!) „Gimme some Wine“ aus 2021 keine Ausnahme.

Auf dieser CD wird in klassischer Singer/Songwriter Manier eine schmerzhaft erlebte Trennung verarbeitet und das ungewohnte neue Leben als Single thematisiert.

McEvoy-Fans wird das Covergemälde an die charakteristischen Bilder erinnern, mit denen das Solo-Album „Naked Music“ aus 2016 geschmückt war. Und tatsächlich stammt auch dieses Cover von Chris Gollon, dem bereits 2017 mit 64 Jahren verstorbenen englischen Künstler.

Es lässt sich nachlesen, dass McEvoy und Gollon seit 2015 befreundet waren, dass die Malerei die Musik und die Musik die Malerei inspiriert hat. Gollon`s expressionistische Bilder stellen Gefühle ehrlich, ja sogar brutal deutlich dar. Hier eines seiner Statements:

“Music and painting are, in my view, as with all art genres, seeking the same truth.”

In den zwei Jahren von 2015-2017 sind aus der Zusammenarbeit mit McEvoy 23 Gemälde entstanden, die nach Gollon`s Tod in Ausstellungen gezeigt wurden, untermalt durch live vorgetragene Songs von „Gimme some Wine“.

2018 kam es nach 23jähriger Partnerschaft zur Trennung von Mick O`Gorman. „It was hell on earth. It was unbelievably bad“, sagt Eleanor im Interview über ihre beendete Beziehung. Man hört heraus, dass es ihr Partner war, der "gegangen" ist:

What's your game?
What makes you come alive?
Fresh new blood
Guess that's how you survive.

Es ist unüberhörbar, dass sie in ihrem Album „Gimme some Wine“ das alles verarbeitet. Einige Songs („Almost beautiful“, „Found out by fate“ [coproduziert von Paul Brady] und „The man who faked his life“) scheinen direkt an ihren Ex adressiert zu sein.

Wie singt Eleanor in "Found our by Fate":

How many tears does it take
For the truth to shine through?
How many years have I wasted
Living with you?

Die Songs sind aber keine „Abrechnung“, eher zeigen die Texte eine humorvolle, allenfalls spöttisch-überlegene Haltung, wohl geboren aus der selbstbewussten neuen Unabhängigkeit. Zynismus oder gar Sarkasmus sind der irischen Sängerin ohnehin unbekannt, das war eher die Sache ihrer Landsmänner Bernard Shaw und Oscar Wilde. Doch aus dem ehemaligen "fragment of a girl" (vgl. die Lyrics des Titelsongs) ist gerade auch wegen der Trennung eine Frau geworden, die genau weiß, was sie will.

In „The company of one“ und „Gimme some wine“ thematisiert sie das plötzliche Alleinsein und das dadurch vielleicht erstmals ins Bewusstsein dringende „Älterwerden“ (mit dem sie sich aber ganz offenbar arrangiert hat). Der Titelsong beschreibt zudem die Gefahr einer durch Einsamkeit beförderten Suchtentwicklung, aber nicht zuletzt auch die Hoffnung auf neues Glück:

If you really looked at me
You might see the sun
I might take you round the world
Like no-one else on earth has ever done
.

In „Scarlet Angels“ (dem ersten Titel der CD, der sich auf ihre in einem gemeinsamen Konzert scharlachrot gekleideten Kolleginnen bezieht), „Fragile wishes“ (für ihre Tochter) und vor allem „Survival“ (dem letzten Titel) singt sich Eleanor frei, dankt für Beistand ihrer Freundinnen und Kolleginnen und schaut in die Zukunft. Auch wenn es erst einmal nicht um ein „Wiederaufleben“, sondern schlicht ums „Überleben“ geht:

„I'm not even reaching for revival,
I'm just praying for survival“.

Im Song "Scarlet Angels“ gestattet sich Eleanor zudem einen Blick zurück auf ihren ersten Riesenerfolg „A woman`s heart“ aus 1992, quasi als sicheren Ankerpunkt für den Neustart:

“A Woman’s Heart was cast adrift,
scarlet angels rescued it
some say angels don't exist
but scarlet angels do!”

Der ergreifendste Song aber ist nach unserem Empfinden „South Anne Street“ mit einem Text voller Empathie und einer Melodie voller Sehnsucht. McEvoy beschreibt das zufällige Aufeinandertreffen mit einem Jugend- bzw. Studienfreund nach dem Split ihrer eigenen Partnerschaft; beide haben sich Jahrzehnte nicht gesehen, aber sporadisch voneinander gehört. Er ist verheiratet und lebt nicht mehr in Irland. Wohl eine Art seinerzeit verpasster Gelegenheit, was ihr aber erst jetzt bewusst wird.

Der Song ist auch als Singleauskopplung und Videoclip erschienen, Beweis genug, dass ihn die Interpretin besonders schätzt. Hier die letzten Zeilen des Songs:

"We embraced before we parted
To walk into the night
With a complicated sadness
At this complicated life
Oh, ships passing in the night
Occasionally meet
At the corner of South Anne and Grafton Street

And we drank to ancient love for hours an end
Raised our glasses to remember absent friends
Oh and sometimes if I'm lonely and I'm walking on my own
I'll detour down South Anne Street going home".

Die letzte Zeile hatte ich lange Zeit so begriffen, als mache sie zu bestimmten Zeiten bewusst einen Umweg um die South Anne Street, um schmerzliche Erinnerungen an das Treffen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Nun hat mich ein besser Englisch sprechender Freund darauf hingewiesen, dass "to detour" nicht nur "einen Umweg machen um" bedeuten kann, sondern auch "abzweigen zu". Diese Interpretation, also die Straße bewusst zu wählen, um die Emotionen des Treffens noch einmal nachzuempfinden und wachzuhalten, gefällt mir besser und scheint mir auch stimmiger.

McEvoy (die selbst zahlreiche Instrumente spielt) wird von einer klassischen Band mit Akustikgitarren, Bass, Piano/Orgel und Schlagzeug/Percussion begleitet, veredelt durch ein Flügelhorn und ein Akkordeon. Die Aufnahmequalität ist tadellos, mit perfekter räumlicher Abbildung und zum Glück dynamisch nicht überzogen - wie es leider bei so vielen heutigen Produktionen üblich geworden ist.

Eleanor McEvoy ist es immer auch um die technische Perfektion ihrer Produktionen gegangen, entsprechend sind viele frühere Alben als Hybrid CDs / SACDs erschienen, als 180 g-LPs, ein Album ("Forgotten dreams") sogar als Direktschnitt-LP.

Mit ihrer markanten, präzise prononcierenden Stimme und ihrem bezaubernden irischen Akzent besitzt Eleanor McEvoy ein Alleinstellungsmerkmal, sie ist aus tausenden anderer Stimmen immer sofort herauszuhören. Wir konnten sie vor einigen Jahren solo, sich nur mit Gitarre und Violine begleitend, live im Auditorium Hamm erleben. Mehr braucht es auch nicht, wenn man eine solch ausdrucksvolle Stimme besitzt.

Irgendwann wird eine CD kommen mit einer Soloperformance der Songs von "Gimme some wine", reduziert auf die "bare-bones", darauf möchten wir wetten und freuen uns schon.

Auf "Gimme some wine" beweist McEvoy wieder einmal, wie exzellent sie autobiographisch erfahrene Krisen allgemeingültig musikalisch umsetzen kann, getextet immer auch mit einer großen Portion Humor, wenn die Probleme nicht zu gewaltig sind. Sie bringt Gefühle wie Trauer und Sehnsucht, aber auch Freude und Zuversicht über. Ihre Songs sind selbst in den melancholisch gefärbten Stücken immer lebensbejahend. Ein Beispiel aus "Fragile Wishes":

And if you ever feel the blues
And blues turn into grey
My wish is for a gentle breeze
To blow them far away.

And don't forget the sweetest sound
That you will ever hear
The laughter of your closest friends
Whose friendship is sincere.

Ein großartiges Album, bei dem es sich lohnt, die Texte nach- und mitzulesen, falls man selbst nicht perfekt Englisch/Irisch spricht und ohnehin alles problemlos versteht. Das schöne Booklet mit weiteren Gemälden von Chris Gollon bringt übrigens alle Lyrics.

Die CD ist nicht im Handel zu bekommen. Falls Sie mit einem Streaming nicht zufrieden sind und das Album "physisch" in der Hand halten wollen, empfehlen wir Ihnen, nicht die überteuerten Wiederverkaufs-Angebote im Netz zu wählen, sondern über die Internetseite von Eleanor McEvoy zu bestellen. Dort werden Sie im "Store" zur Vertriebsfirma GoldenDiscs geführt. Der Bestell- und Bezahlprozess ist einfach und sicher, als Lieferzeit sollten Sie aber durchaus 1 bis 2 Woche ansetzen. Zollgebühren fallen nicht an.

Nach unseren Recherchen gibt es das Album bisher nicht als LP.

Wenn Ihnen die Songs auf "Gimme some Wine" gefallen, empfehlen wir auch folgende Veröffentlichungen:

  • Eleanor McEvoy (1993), bzw. das remasterte Eleanor McEvoy - Special Edition (2003)
  • Yola (2001)
  • I´d rather go blond (2010)
  • Alone (2011) und/oder Naked Music (2016)
  • The Thomas Moore Projekt (2017)
  • Forgotten Dreams (2019)

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