Keith Jarrett: Köln Konzert

Köln Konzert Web

Es gibt keine Jazz-Platte, die ich häufiger gehört habe als Jarretts 1975 in Köln eingespielte Improvisationen. Erst sehr spät habe ich hinterfragt, was mich an dieser Aufnahme emotional so stark berührt. Heute weiß ich: es ist eine große und tiefe Spiritualität, vielleicht sogar erzeugt durch die gar nicht so inspirierende Vorgeschichte.
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Das Konzert war nämlich praktisch bereits abgeschrieben, als Jarrett bei den Proben einen verstimmten Flügel vorfand und ein Ersatzinstrument nicht mehr früh genug eintraf. Was genau Jarrett dann dennoch zu seinem Auftritt bewegte, wird man wohl niemals sicher herausfinden. Aber genau dieser bereits aufgebaute Spannungsbogen muss es sein, der das Konzert so besonders macht. Jarrett hat seine Solokonzerte einmal als enthüllende psychologische Selbstanalysen bezeichnet. Wenn das so ist, hat er in Köln (vielleicht im Sinne einer Katharsis?) seine weichen, harmonischen und menschlichen Seiten gezeigt.

Jarrett hat einmal geäußert, das "Köln Konzert" sei ein Fluch und solle am besten eingestampft werden. Er ist Perfektionist und kritisiert einige ihm unterlaufene "Fehler". Aber vielleicht liegt gerade in dieser einmal ausnahmsweise nicht absolut stromlinienförmige Perfektion das Geheimnis der Wirkung. Man kann nachlesen, das "Köln Konzert" sei die meistverkaufte Jazz-Soloplatte und zudem die meistverkaufte Klavier-Soloplatte aller Zeiten. Sie wurde fast 4 Millionen mal verkauft und nähert sich damit "Kind Of Blue" von Miles Davis.

Aufgezeichnet wurde das Konzert ursprünglich nur für "interne Zwecke". Dennoch ist die Klangqualität ausgezeichnet. Dafür bürgt auch der Name des Produzenten Manfred Eicher. Jarrett aber stand bei seinem Auftritt nun nicht mehr unter dem Zwang, eine veröffentlichungsreife Vorstellung abliefern zu müssen. Und genau das scheint mir eines der "Geheimnisse" dieser Produktion zu sein.

Jarrett hat versucht, die klemmenden Tasten und verstimmten Saiten zu umgehen. Vielleicht resultiert daraus die den Stücken innewohnende nicht gerade Jarrett-typische Ruhe, ja Langsamkeit. "Himmlische Längen" aber stören die durchgehend erhaltene innere Spannung überhaupt nicht, ganz im Gegenteil!

Und auch die Harmonien sind für Jarrett-Verhältnisse ungewöhnlich wohlklingend. Man kann nachlesen, dass Jarrett in den ersten Akkorden neckisch den Pausengong der Kölner Oper zitiert. Er muss nach all den unbefriedigenden Vorab-Umständen dieses Konzertes letztlich völlig relaxt gewesen sein, irgendwie nach dem Motto: "Also spiele ich an diesem Abend etwas für mein Kölner Publikum und eben einmal nicht für die Ewigkeit". Dass gerade dadurch dieses Konzert unsterblich wurde, konnte 1975 noch niemand ahnen.

Heute ist das Konzert legendär und darf in keiner Plattensammlung fehlen, auch nicht in den Sammlungen von Klassik- und Rock-Blues-Liebhabern. Mir gibt diese Musik immer wieder Kraft und Zuversicht, hebt mich auf eine nicht mehr allein dem Diesseits verpflichtete Ebene und erzeugt Energie und Leidenschaft.

Das Köln-Konzert - heute ein "Kultstück" - ist wie etwa auch Oscar Petersons "Night Train" ausgezeichnet geeignet, Novizen den Zugang zur Jazz-Pianomusik zu ebnen.

Friedrich Gulda hat in seinem unnachahmlichen Schmäh das Werk Jarretts weit über das Werk eines Vladimir Horowitz gestellt. Wer will, kann gerne widersprechen ...

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