282d. O..P. Header Text

_______________________________________________________________

Oscar Peterson - Solo

_______________________________________________________________

Oscar Peterson Solo - CD "Unmistakable"

Oscar Peterson Cover Unmistakable

Im Oktober 2011 ist eine neue CD von Oscar Peterson herausgekommen.

Die CD enthält Solo-Stücke, zusammengestellt aus Mitschnitten verschiedener Konzerte. Keiner der enthaltenen Titel wurde jemals zuvor auf LP oder CD veröffentlicht.

Die Aufnahmen entstammen der Zeit von 1972 (als Oscar mit seinen Solokonzerten begann) bis hinein in die 80er Jahre, umfassen also eine Periode höchster künstlerischer Schaffenskraft. Der Aufnahmeprozess der CD begann bereits 2007. Oscar Peterson selbst hat noch zwei der Titel ausgewählt.

_______________________________________________________________

Vorwort

Beinahe 4 Jahre nach Oscar Petersons Tod an Weihnachten 2007 werden wir jetzt von einem atemberaubend schönen "neuen" Album überrascht. Genau so, als wäre er weiterhin unter uns, dieser Pianist, der immer noch seinesgleichen sucht.

Ein in verschiedener Hinsicht ganz ungewöhnliches Album, und zwar sowohl technisch als auch musikalisch.

Technisch ungewöhnlich deshalb, weil es das insgesamt erst vierte im "Re-Performance"-Verfahren produzierte Album ist. "Re-Performance" stellt eine neue Aufnahmetechnik dar, die nur schwer zu erklären ist. Im Ergebnis kann man sie qualitativ am ehesten vergleichen mit Full-HD aktueller Fernsehgeräte und/oder Blue-Ray.

Zenph Aufnahmestudio

Foto: Tom Hurley aus Beiheft "Unmistakable"

Die Erfinder dieser Technik bei Zenph nutzen eine digitale "Wieder-Aufnahmetechnik".
Dabei wird die ursprüngliche Tonspur in einen "digitalen" Bösendorfer-Flügel eingegeben, und das Ergebnis stereophon mit aktuellstem Equipment neu aufgenommen (siehe den nebenstehenden Studioaufbau).
All das geschieht natürlich, um die ursprüngliche Tonqualität zu verbessern.

Bei Zenph nennt man das Ergebnis der zusätzlichen "binauralen" Kunstkopf-Spur "The Ultimate Headphone Experience".

_______________________________________________________________

Peterson Solo

Doch lassen Sie mich auf diesen Aspekt später zurückkommen, denn das Wichtigste ist natürlich die Musik. In diesem Fall Musik, die Oscar Peterson in den 70er und 80er Jahren solo eingespielt hat. Es gibt Kritiker, die Oscars lange und herausragende Karriere für "over-recorded" halten; ganz sicher aber ist er als Solo-Pianist eher "under-recorded".

O.P. Terry`s Tune

Oscar Peterson Solo-LP, Pablo, Japan (mit Obi)

Neben den beiden MPS-Alben "My Favorite Instrument" und "Tracks" gibt es noch eine "Solo" betitelte Aufnahme bei Pablo (aufgezeichnet im Jahre 1972 im Libanon und in Amsterdam), ein Bootleg "Solo Concert `72" (auf JazzMan), ein grandioses Konzert auf DVD mit dem Titel "Montreux `75" und eine japanische Pablo-LP namens "Terry`s Tune". All` diese Aufnahmen sind reine Solo-Alben. Andere Alben wie "In Russia", "Oscar Peterson et Joe Pass à Salle Pleyel" und einige weitere enthalten neben unterschiedlichen Gruppen-Besetzungen zusätzliche auch Solo-Stücke.

_______________________________________________________________

O.P. Solo (Pablo)

Oscar Peterson Solo, Pablo (Libanon, Amsterdam)

O.P. Solo Concert `72 JazzMan

Oscar Peterson Bootleg "Solo Concert `72" (auf JazzMan)

_______________________________________________________________

Peterson als Begleiter

Peterson ist der wahrscheinlich "meistaufgenommene" Pianist der Jazz-Geschichte. Dabei trat er in zahlreichen Einspielungen als Begleiter anderer Künstler auf. Seine Diskografie liest sich nicht zuletzt deshalb wie ein "Who is who in Jazz", hat er doch zusammen mit praktisch allen Jazzgrößen gespielt. Peterson hat sie alle begleitet, von Louis Armstrong bis zu Lester Young, von Benny Carter bis zu Sarah Vaughan - und das zudem auf eine vielbewunderte Art und Weise. Selbst Kritiker, die Stil und Musik dieses großen kanadischen Pianisten nicht mögen, räumen ein, dass er der wahrscheinlich beste Begleitpianist der Jazz-Geschichte war.

Jedem einzelnen dieser Jazz-Giganten gab er auf unterschiedlichste Weise den bestmöglichen Rückhalt. Schon vor einer Aufnahmesitzung kannte er die spezifischen Erfordernisse des Solisten oder Sängers. Er schuf für jeden einzelnen von ihnen ein individuelles Piano-Fundament, auf dem sich der jeweilige Künstler entfalten konnte.

So begleitete er Stan Getz anders als Ben Webster und Billie Holliday anders als Ella Fitzgerald.

Diskografie

Seine Diskografie umfasst derzeit mehr als 600 Aufnahme-Sessions, eingeschlossen die Einspielungen, in denen er andere Künstler begleitete. Nicht erfasst sind in dieser Zahl die Unmengen von "Zusammenstellungen", die unter Bezeichnungen wie "The best of …" veröffentlicht wurden.

Doch wie kann man differenzieren zwischen Alben, die unter Oscars eigenständiger Leitung entstanden sind und Alben, auf denen er ausschließlich begleitet hat?

Ein Jazz-Klassiker wie "Very Tall", in den 60ern von Milt Jackson und dem Oscar Peterson Trio aufgenommen, ist gleichermaßen das Werk des Vibraphonisten wie auch das des Pianisten (und letztlich sollten wir auch Ray Brown dabei nicht ganz vergessen).

Basierend auf den unter Oscars Beteiligung dokumentierten Aufnahme-Sessions müsste man die oft gestellte Frage nach der Zahl seiner eigenständigen Einspielungen wohl mit "geschätzt etwa 500" beantworten.

Natürlich entstanden die meisten unter seinem Namen veröffentlichten Aufnahmen als Einspielungen eines seiner berühmten Trios. An anderer Stelle dieser Web-Publikation werde ich Oscars Karriere und seine verschiedenen Trios noch ausführlich beschreiben.

Die Jahre in Kanada

Schon als Teenager mit erst 17 Jahren begann er 1942 seine Profilaufbahn als Pianist im "Johnny Holmes` Orchestra" in Kanada. Zu dieser Zeit studierte er noch Klassische Musik am Konservatorium in Montreal und bei Paul de Marky, einem seiner wichtigsten Lehrer.

Sowohl Holmes, als auch de Marky waren von großer Wichtigkeit für die Entwicklung des jungen Pianisten.

Schließlich gründete Oscar ein Jazz-Klaviertrio und trat abends in der "Alberta Lounge" in Montreal auf.

Seine ersten Aufnahmen auf den zerbrechlichen 78rpm Schellack-Scheiben stammen aus 1945 und wurden von RCA Kanada veröffentlicht. Es war übrigens dieses Label, das ihn zum damals sehr populären Boogie-Woogie drängte.

Die Vorbilder

Oscars musikalisches Vorbild wurde Art Tatum; seine Bewunderung dieses Klavier-Titanen aber führte zu Missverständnissen bei der Würdigung seiner eigenen musikalischen Entwicklung und seines persönlichen Pianostils.

Tatsächlich nämlich befasste er sich nicht nur mit Art Tatum, sondern auch mit allen anderen wichtigen Jazz-Pianisten und Jazz-Richtungen und zudem mit der gesamten Klassischer Musik und den großen Klassik-Pianisten.

Seine atemberaubende Klaviertechnik allerdings führte immer wieder zu Vergleichen mit Art Tatum, zumal Oscar mehrfach bemerkte, Tatum sei der beste Pianist auf der Welt, klassische Pianisten einbegriffen. Es war also vor allem Petersons phänomenale Technik, die ihn manchem als von Tatum beeinflusst erscheinen ließ.

Wenn man aber Petersons Entwicklung und Stil genau betrachtet, wird man große Unterschiede zum Klavierstil Tatums erkennen können.

Der ihn während der frühen USA-Jahre neben Art Tatum am meisten beeinflussende Pianist aber war Nat King Cole.

Die Trios

Seine Gitarren-Bass-Trios sind eindeutig eine Fortführung und Erweiterung dessen, was Nat King Cole mit seinem Trio geschaffen hatte.

Obschon ich eine Erstellung von Rangfolgen und Vergleichen verschiedener Musiker nicht besonders mag, gelang Peterson mit seinen Trios eine integrative Verschmelzung, die ihres Gleichen sucht. Das Peterson-Brown-Ellis Trio trieb diesen "alle für einen und einer für alle"-Stil unzweifelhaft auf einen Level, der im Jazz unübertroffen blieb.

Oscar bemerkte diesbezüglich: "Ich wollte nie, dass meine Trios wie Piano mit Begleitung klangen, vielmehr strebten wir ein Spiel gleichberechtigter Partner an und inspirierten uns gegenseitig auf dem Weg zu einem kollektiven Klangbild wie aus einem Guss."

Und bald swingte das Oscar Peterson Trio härter als die komplette Basie Band und ließ dabei doch jedem einzelnen Mitglied noch genügend Raum für phantastische Soli.

Genau diese musikalische Ausdrucksweise findet sich auch bei seinem "zweiten großen Trio", wiewohl sich der Gruppenklang infolge der anderen Besetzung geändert hatte. Denn in Oscars zweitem Trio trat der Drummer Ed Thigpen an die Stelle des Gitarristen Herb Ellis. Aber auch dieses Trio folgte dem literarischen Vorbild der unzertrennlichen Drei Musketiere, natürlich ausschließlich auf musikalischer Ebene.

Ich werde diese und alle folgenden Entwicklungen in Oscars Karriere aber noch ausführlich an anderer Stelle behandeln.

_______________________________________________________________

103. O.P. Efmf Vol. 4

Oscar Peterson Solo CD "My Favorite Instrument", MPS, 1968

83. O.P. Tracks

Oscar Peterson Solo CD "Tracks", MPS, 1970

_______________________________________________________________

Beginn der Solokarriere bei MPS

Peterson muß gespürt haben, dass er und seine Mitstreiter ihr Ziel erreicht hatten: sie waren das ultimative Jazz-Trio überhaupt. Nicht zuletzt diese Erkenntnis wird ihn bewegt haben, als Solist aufzutreten, zumal auch viele seiner Freunde, etwa Count Basie und Duke Ellington ihm dazu geraten hatten.

1968, also erst ziemlich spät im Laufe seiner Karriere, nahm er mit "My Favorite Instrument" sein Debut-Soloalbum auf. Es wurde produziert in der bestmöglichen, ihm jede Sicherheit gebenden Atmosphäre des Studios seines Freundes und bewunderten Aufnahmetechnikers Hans Georg Brunner-Schwer, der auch selbst hinter den Klangreglern saß.

Das Album wurde ein Riesenerfolg. Dennoch dauerte es zwei Jahre, bis Peterson in 1970 ein weiteres Soloalbum aufnahm: "Tracks". Nach meiner Meinung ist dieses zweite Album sogar noch besser gelungen als das erste. Beide Alben waren Studioproduktionen mit einem brillanten Klangbild.

Im Buch "Jazzin´ The Black Forrest" von Dr. Klaus-Gotthardt Fischer beschreibt Brunner-Schwer detailliert, welche Vorstellungen er von den geplanten Aufnahmen mit Oscar Peterson hatte und wie er seine Aufnahmetechnik weiterentwickelte, eine Aufnahmetechnik, die bald zum Gütezeichen der MPS-Produktionen wurde.

Das also - und nichts anderes - waren seine "Geheimnisse". Ich habe mich nicht zuletzt deshalb immer wieder gefragt, warum andere Aufnahmetechniker und Produzenten sowohl vor, als auch nach den MPS-Jahren nicht ebenfalls diese hohe Aufnahmequalität erreicht haben.

Der Schlaganfall

1991 interviewte ich Oscar und fragte ihn im Scherz: "Stimmt es, dass Sie und Mr. Granz heimlich an einer "Solo Masterpieces Series" arbeiten?" Ich bezog mich bei dieser Frage natürlich auf die 10-CD-Pablo Box von Art Tatum.

Doch zu meiner Überraschung und zugegebenermaßen auch Enttäuschung antwortete O.P.: "Nein, aber wir sind in der Planung eines neuen Soloalbum." Natürlich konnte damals niemand ahnen, dass die Zeit für dieses Vorhaben begrenzt sein sollte.

Denn bereits zwei Jahre später, am 7. Mai 1993 erlitt Oscar einen Schlaganfall, als er mit dem "Legendary Oscar Peterson Trio" und Jeff Hamilton im New Yorker "Blue Note" auftrat. Dieses tragische Ereignis nahm ihm fast völlig den Gebrauch seiner linken Hand.

Wenn ich mir den großen kommerziellen und auch musikalischen Erfolg der beiden MPS-Soloaufnahmen vor Augen halte, kann ich wirklich nicht verstehen, warum Norman Granz [der Manager von O. P.] nicht ein einziges Soloalbum von Peterson auf seinem Pablo-Label produziert hat.

Norman Granz und der Solist Oscar Peterson

O.Peterson Solo `75-Montreux

Die CD "Solo" (Pablo) wurde 2002 veröffentlicht, also erst nach dem Tod von Norman Granz im November 2001.
Und ähnlich lief es bei der nebenstehenden großartigen DVD "Montreux `75", die erst 2004 herauskam, während alle anderen Bildaufnahmen der herausragenden Konzerte dieses Festival-Wochenendes bereits knapp 30 Jahre früher veröffentlicht wurden.

Wirklich seltsam also, dass Oscars herrliches Montreux-Solokonzert von Granz nicht veröffentlicht worden ist.

Peterson war übrigens während dieser 1975er Festivaltage eingebunden in zahlreiche andere hochrangige Projekte, etwa in "Jackson" (bekannt auch als "The Jackson Big 4") und in das herausragende "Trumpet Kings", bei dem Peterson die treibende Kraft hinter Dizzy Gillespie, Clark Terry und Roy Eldridge ist (übrigens eines von Oscars Lieblingsalben).

Ganz augenscheinlich hat Granz Oscars Soloalben unterdrückt, aber warum? Bei Würdigung des äußerst hohen musikalischen Levels von Oscars Solokonzerten gibt es dafür keinen triftigen Grund, außer vielleicht Granz` ganz eigenen respektive eigenwilligen Geschmack.

Möglicherweise war Oscar Peterson aber auch selbst zögerlich, sich bei allem Respekt und aller Bewunderung für sein Idol in "Tatum-Konzert-Territorien" zu begeben. Als Oscar schließlich in 1972 (vier Jahre nach "My Favorite Instrument") begann, öffentlich Solokonzerte zu geben, war er sich seiner selbst immer noch nicht sicher und startete mit einer Reihe von Probekonzerten, dem ersten übrigens im Libanon.

Diesbezüglich hat er später einmal angemerkt: "Als ich das erste Mal ganz allein auf die Bühne musste, fühlte ich so etwas wie Panik. Denn genau vor mir trat eine bekannte Gruppe auf, ein Quintett, und ich sprach zu mir selbst: "Mein Gott, es gibt keinen Ausweg, ich brauche mein Trio." (Zitat aus "Oscar Peterson: The complete Pianist." Eine illustrierte Konversation, geführt von Peter Clayton und gesendet auf BBC Radio 3 am 12. April 1974).

_______________________________________________________________

O.P. Concertgebouw 1972

Oscar Peterson Solo, Concertgebouw, Amsterdam 1972, Photo by A. v. Kampen

Ausblick

Seit ich als Teenager begann, Oscar Peterson zu hören, war ich völlig überwältigt von seinem Tempo, seiner umwerfenden Technik, seinem Swing und seiner Power. Aber das sollte sich mit den Jahren ändern.

Immer noch bewahre ich seine großen Trio-Alben (und davon gibt es viele!) als Schatz in meinem Herzen, dennoch empfinde ich seine Solo-Alben als noch intimer, inniger und vertrauter. Auch scheinen mir seine Soloarbeiten am besten geeignet, Peterson als Musiker und gleichermaßen als Mensch kennenzulernen.

Natürlich weiß ich, dass es eine Menge privater Aufnahmen von berühmten Solokonzerten gibt. Deshalb bitte ich inständig, es möge endlich ein Projekt wie etwa "Die Oscar Peterson Solo-Meisterstücke" geben, vielleicht wirklich in Form einer 10-CD-Box und unter Einschluss bisher unveröffentlichter privater Mitschnitte. Eine solche Box wäre das quasi ultimative "Piano-Monument" der Jazz-Geschichte, aber auch der Musikgeschichte ganz allgemein.

Da Oscar Peterson zu seiner inspiriertesten und höchsten Form gerade in Solo-Live-Auftritten fand, würde ich mir wirklich eine Gesamtausgabe aller seiner weltweiten Solokonzerte wünschen. Solch eine Edition wäre dann zugleich das ultimative Denkmal für Oscar Peterson, der während der 70er Jahre auf dem Gipfel seiner Kraft und Fähigkeiten angekommen war.

Hören Sie diesbezüglich nur einmal herein in Aufnahmen von wirklich Olympischem Level, die er an wohlbekannten Orten eingespielt hat: Beispielsweise 1973 im "The London House" in Chicago mit seinem virtuosen Trio unter Mitwirkung von Joe Pass (g) und Orsted Pedersen (b), veröffentlicht auf Pablo unter den Titeln "The Trio" und "The Good Life".

Die Aufnahmen der CD „Unmistakable“

Wahrscheinlich ist "Unmistakable" die sonderbarste CD, die ich jemals besprochen habe; denn sie beinhaltet jede Aufnahme gleich zweimal. Die Tracks 1-8 wurden in "normalem" Stereoton aufgenommen, die identischen Tracks 9-16 aber "binaural re-recorded", oder wie Zenph es bezeichnet als "Binaural Stereo Version" oder "The Ultimate Headphone Experience".

Damit liegt uns jetzt also eine zweigeteilte CD vor. Die ersten 40 Minuten in Stereo und danach die gleichen Titel in "Binaural Stereo".

Versprochen, ich werde mich mit den verschiedenen Soundformen und deren akustischer Qualität später noch ausführlicher auseinandersetzen. Am wichtigsten aber erscheint mir die Musik selbst, wohl wissend, dass Menschen ein und dieselbe Musik ganz unterschiedlich wahrnehmen.

Da diese CD nicht nur Musik enthält, die zur Größten überhaupt gehört, sondern auch unter geschichtlicher Betrachtung von Bedeutung ist, habe ich mich entschlossen, alle Stücke einzeln zu besprechen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, wie sie mich ganz persönlich berührt haben.

Body and Soul

Wenn man bedenkt, wie oft Oscar dieses Stück aufgenommen und während seiner Konzerte gespielt hat, muss es eines seiner absoluten Lieblingsstücke gewesen sein.
Die erste Version von "Body and Soul" wurde bereits 1950 aufgenommen. Die jetzt vorgelegte Solo-Version aus dem Jahre 1976 wurde seinerzeit nicht veröffentlicht zu Gunsten einer 2 Jahre später entstandenen Vokal-Interpretation mit Sarah Vaughan auf dem herausragenden Album "How long has this been going on?" auf Pablo, (dem übrigens einzigen gemeinsamen Album beider Künstler).

Eine weitere Interpretation von "Body and Soul" findet sich auf dem allerersten Soloalbum "My Favorite Instrument" aus dem Jahre 1968. Dieses von Hans Georg Brunner-Schwer aufgenommene Album bezeichnete Peterson zeitlebens als sein "allerbestes".

In Anbetracht der herausragenden Klang-Qualität des Albums "Unmistakable" und der Schönheit der 1968er Version fällt es sehr schwer, Vergleiche anzustellen. Die jetzt erstmals vorgestellte Version ist einerseits länger, aber auch graduell "reifer". Peterson variiert immer wieder herrlich Tempi und Taktlängen.

Man hat irgendwie das Gefühl, er spielt hier leichter, ungezwungener und bezieht dabei Stücke wie "Prisoner of love" und "Someone to watch over me" in das Stück "Body and Soul" mit ein.

Beide Versionen weisen klare Unterschiede auf, ich persönlich aber würde keine missen wollen. Beide sind exzellent, aber eben auch verschieden.

Zwischen diesen beiden Versionen liegen zwei weitere Solo-Aufnahmen von "Body and Soul" aus dem Jahre 1972.

Die eine der beiden findet sich auf der Pablo-CD "Solo" und wurde im August 1972 live in Baalbek (Libanon) aufgenommen. Oscar berichtet von diesem "solo try-out" in seiner Autobiographie.

Wenn man dem Plattenhüllentext glauben darf, war das Piano in Baalbek wohl ein normales Klavier, jedenfalls kein Konzertflügel, zudem war es nicht korrekt gestimmt. Und obwohl wir auch hier einem Meister bei seiner Arbeit zuhören dürfen, reicht diese Interpretation nicht an die beiden anderen von mir genannten heran.

Übrigens klingt der im Concertgebouw Amsterdam aufgenommene Teil von "Solo" deutlich besser, und das schon deshalb, weil dort ziemlich sicher ein Steinway Konzertflügel auf der Bühne stand. Nebenbei bemerkt saß ich damals im Publikum.

Die zweite Version von "Body and Soul" aus 1972 ist von der CD "Solo Concert `72" des etwas obskuren Labels JazzMan, dabei handelt es sich wohl ziemlich sicher um ein Bootleg. Wie meist auf Bootlegs werden auch hier zwei Stücke falsch betitelt. Zudem ist die Klangqualität schlecht und weder Ort noch Datum der Aufnahmen werden genannt (wahrscheinlich stammt der Mitschnitt aus Italien).

"Body and Soul" ist hier Teil eines Medleys zusammen mit "Con Alma". Letzteres Stück befindet sich auch auf "Unmistakable" und wird später von mir noch besprochen. Das Medley dauert etwa 9 Minuten, wobei "Body and Soul" nach 5 Minuten beginnt.
Die schlechte Klangqualität zerstört viel von der Musik, zudem scheint sich Peterson unsicher zu fühlen. Diese wohl nur schwer erhältliche Bootleg-CD ist also ausschließlich etwas für fanatische "Petersonians".

Die Version von "Body and Soul" auf "Unmistakable" gleicht der auf "My Favorite Instrument" und schon das allein bedeutet: Peterson auf allerhöchstem Niveau.

(Back home in) Indiana

Wie "Body and Soul" gehört auch "Indiana" zu Oscars häufig gespielten und aufgenommenen Titeln. Die erste Aufnahme stammt von 1947, während die jetzt vorgelegte Version aus dem Jahre 1984 wohl seine letzte ist.

Das Stück beginnt wahnsinnig schnell. Oscar spielt nicht nur eine Menge Noten, er nutzt auch die komplette Klaviatur, so wie er es von Paul de Marky gelernt hat. Wenn auch diese Version mit 1:32 Minuten ultrakurz geraten ist, demonstriert sie doch, welch großatig beidhändiger Pianist er war.

Nicht einen einzigen Moment lang vermisst man eine Rhythmusgruppe. Und nach einer und einer halben Minute muß Oscar wohl gedacht haben: "Genauso und nicht anders empfinde ich dieses Stück – und deshalb jetzt Schluss damit!"

The man I love

Auch dieses Stück hatte Oscar lange Zeit in seinem Repertoire. Diesmal aber wechselt er ständig die Tempi und demonstriert uns ein weiteres Mal seine unnachahmliche Fähigkeit, beide Hände parallel als völlig gleichberechtigte Stimmführungen einzusetzen. Sagenhafte Läufe und ein atemberaubend erhabenes Dahinschreiten, aber immer voller Respekt vor dieser schönen Melodie.

Ein weiteres Mal erfreut uns Oscar mit verschiedenen Klavier-Stilrichtungen und demonstriert damit zugleich sein nahezu enzyklopädisches Wissen um das Jazz-Piano, beginnend mit der Zeit, als es noch im Rotlicht-Bezirk von New Orleans gespielt wurde.
Seine Klavierbeherrschung ist allumfassend und seine umwerfende Technik nichts weiter als eine notwendige Fortsetzung und Ergänzung seiner musikalischen Ideen.

Die Grundstimmung bleibt romantisch, in welchen Gang auch immer Peterson umschaltet und beweist seinen großen Respekt vor der Melodie. Nach einem letzten Lauf über das Klavier lässt Oscar das Stück in voller Schönheit leise ausklingen. Perfekt!

Who can I turn to?

Eine wunderschöne Melodie, die Oscar erst recht spät in seiner Karriere entdeckt hat, ab 1968 aber immer wieder spielte und auch aufnahm.

Das Stück findet sich auch auf dem MPS-Album "Mellow Mood" (mit Sam Jones und Bobby Durham) und auf "My Favorite Instrument", seinem ersten Solo-Album.

Mithin lässt sich diese Aufnahme von 1984 in verschiedener Hinsicht den anderen uns gleichermaßen erfreuenden Versionen gegenüberstellen. Denn alle Versionen und ganz sicher auch die beiden auf den MPS-Alben sind großartig.

Ganz offenbar liebte Oscar den Song und zeigt das auch in dieser Version. Er spielt das Stück introvertiert, gleichzeitig aber auch reif und macht es sich damit ganz zu Eigen. Trotzdem bleibt er immer nahe an der Melodie und der romantischen Grundstimmung.

Grundsätzlich hasse ich es, Musik zu vergleichen, und ganz speziell in diesem Fall, denn unter Petersons Händen sind alle Versionen von "Who can I turn to" großartig. So werde ich hier nicht verraten, welches die bessere oder gar beste Aufnahme ist.

Die Aufnahme auf "Unmistakable" jedenfalls ist ein Meisterstück und wunderschön obendrein. Alles, was ich Ihnen dazu sagen will, ist: Hören Sie einmal hinein.

When I fall in Love

Dieses Stück taucht nur selten in Petersons Diskografie auf. Bisher fand sich die einzige Einspielung auf dem MPS-Album "Reunion Blues" mit Milt Jackson.

Diese Aufnahme ist voller Schönheit. Peterson, der Romantiker trifft Peterson, den Meisterpianisten. Er lässt das Klavier singen und uns dadurch glauben, dass er wirklich verliebt ist. Nun, ich denke, das war er auch.

Oscar hatte gerade seine künftige Frau Kelly kennengelernt und ich hatte das Privileg, diese beiden wunderbaren Menschen zu treffen. Das war 1989 genau zum Zeitpunkt, als das Stück aufgenommen wurde.

Natürlich werde ich hier keine Details verraten, aber die beiden schauten mir schon recht glücklich aus. Deshalb glaube ich auch, dass dieser Song (übrigens ein weiteres Meisterstück!) wirklich Oscars Gefühle für Kelly ausdrückt. Welch eine wunderbare Art, seine Liebe zu zeigen!

Duke Ellington Medley

Eine der verblüffendsten Darbietungen Petersons bei seinem Soloauftritt während des Montreux Jazz Festivals 1975 (siehe DVD "Oscar Peterson – Solo `75) war die Interpretation eines Ellington-Medleys, das mit einem schier unglaublichen "Caravan" abschloss.

Seitdem hat O.P. immer wieder seine Konzerte mit einem Ellington-Medley beendet und dabei "Caravan" als eine Art Finale genutzt, so wie er es zuvor mit seiner Eigenkomposition "Blues Etude" gehalten hatte.

Der Duke und Oscar waren Freunde und nach meinem Wissen war es Ellington, der ihn letztlich zu Soloauftritten überredete.

Oscar hat mir einmal erzählt, dass er zu Hause immer und immer wieder Bach und Ellington spielte. In diesem Gespräch hat er mich übrigens auch scherzhaft gewarnt, eine Ellington-Sammlung zu beginnen; er selbst hatte nämlich zu dieser Zeit bereits 1.200 CDs des Duke.

Peterson hat also Ellington nicht nur als Mensch und Musiker bewundert, er war zudem auch ein Kenner "par excellence" seines riesigen Oeuvres.

Das zeigt sich auch in seinen "Ellington Medleys", die er immer wieder anders und mit oftmals unterschiedlichen Parts aufgenommen hat.

Meist wurden diese "Ellington Medleys" weitgehend solo eingespielt, aber es gibt auch Trioaufnahmen ("The London Concert" – Pablo) oder Aufnahmen zusammen mit einem Bassisten ("Digital at Montreux" mit dem großen Niels Henning Orsted Pedersen - Pablo).
Nachdem ich mir noch einmal verschiedene dieser Medleys angehört habe, sehe ich in Petersons Herangehensweise einen kontinuierlichen Reifungsprozess.

Auf "Unmistakable" hören wir eine herausragende Version aus 1976 mit einigen der schönsten Ellington-Stücke überhaupt: "Take The A Train", "In A Sentimental Mood", "Lady Of The Lavender Mist", und das selten aufgeführte "(All of the sudden) My Heart Sings".

Dieses Medley ist vornehmlich ein ergreifendes Tribut an seinen Freund und weniger ein Showfinale. Und es ist ganz sicher das wunderschönste Ellington-Medley, das ich jemals gehört habe.

Con Alma

"Con Alma" führt mich zurück in die 60er Jahre, als Oscar sein meines Erachtens bestes Trio hatte, das Trio mit Ray Brown und Ed Thigpen.

Die allererste Version findet sich auf dem tollen Album "The Jazz Soul" von 1959 und wird durch Thigpen`s Talent mit Besen und Stöcken unverkennbar zu einer höchst rhythmischen Interpretation.

"Con Alma" wurde in den 60ern immer wieder bei Konzerten dieses Ausnahmetrios gespielt und taucht erneut auf, als Oscar in den 70ern das ungewöhnliche Projekt Piano plus Trompete startete (alle auf Pablo).

Aufgrund der Tatsache, dass diese wunderschöne Melodie von Dizzy Gillespie geschrieben wurde, kam das Stück auf die wahrscheinlich beste CD dieser Serie: "Dizzy Gillespie and Oscar Peterson" (Pablo, 1974).

Peterson hat diesen Titel später quasi wiederentdeckt und ihm zu einem "Comeback" in seinem Solo-Repertoire verholfen.

Ganz anders als in der Interpretationen der 60er Jahre beginnt Oscar auf eine introvertierte, fast klassische Weise. Darauf wechselt er zu einer bluesigen Gangart, wobei seine rechte Hand nahezu unmöglich erscheinende Läufe beisteuert. Schließlich variieren die Tempi erneut und nach einem letzten schnellen Lauf kehrt er in vollendeter Schönheit zu dem nach innen gewandten klassischen Anfangsteil zurück.

Wiederum ein Meisterstück.

Goodbye

Peterson hatte "Goodbye" zuvor gleich zweimal im Jahre 1963 aufgenommen, einmal mit seinem Trio auf der allerersten Einspielung der "Exclusively For My Friends"-Serie und ein weiteres Mal mit dem Nelson Riddle Orchester.

Die bis heute aber atemberaubendste Version war die mit seinem "Virtuoso Trio" unter Mitwirkung von Joe Pass und Niels-Henning Orsted Pedersen während des Konzertes 1978 im Salle Pleyel: "The Paris Concert", 2-CD, Pablo. Dieses Doppel-Album ist einer meiner absoluten Favoriten.

Portrait aus "Unmistakable"

Foto: Tom Marcello; Rückseite von "Unmistakable"

Das wunderbar melodische Stück von Gordon Jenkins beginnt in einer traurigen, ja geradezu trauernden Gemütsverfassung; doch dann setzen Pass und Pedersen ein und die Grundstimmung wechselt zu der einer großartigen Ballade.
Die jetzt vorgelegte Soloversion aus 1980 ist kürzer und Peterson bleibt durchgehend bei der melancholischen Grundstimmung, auch während seiner wunderbaren Läufe.

Erst zum Ende hin wechselt er die Gangart und gibt uns dadurch neue Hoffnung. Er beschließt das Stück, indem er mit der Hand über die Klaviersaiten streicht.

"Unmistakable": Musik, Technik, Klang und Hörgewohnheiten

Viele Jahre lang dachte ich, jeder Mensch würde auf die gleiche Art und Weise eine LP oder CD anhören; erst nach und nach wurde mir dann klar, dass es ganz unterschiedliche Hörertypen und Hörgewohnheiten gibt. Das ist wichtig, wenn man über Klang und Bedeutung einer Einspielung diskutiert.

Der Akademiker

Dieser Typ, von mir auch "Notenhörer" genannt, achtet vornehmlich auf die gespielten Töne und versucht, ihnen während der gesamten Aufnahme zu folgen. Im Falle von Oscar Peterson kein leichter Job, hat er doch eine Menge Noten genutzt; und dies nicht etwa der Show wegen, sondern als Mittel des musikalischen Ausdruckes.

Der Notenhörer konzentriert sich nicht zuletzt auch auf den Schwierigkeitsgrad des Stückes - und da hat er bei O.P. eine Menge Arbeit vor sich.

In der Regel beherrscht er selbst das Klavierspiel oder ein anderes Instrument und hat zudem ein großes allgemeines Musikwissen. Nur selten aber lässt er sich von der Musik gefangen nehmen, er ist mehr ein theoretisierender musikanalytischer Techniker.

Der Klangfetischist

Dieser Zeitgenosse, von mir auch "Klanghörer" genannt, gehört ebenfalls zu den Technikern, aber auf eine andere Weise. Er besitzt eine teure Anlage aus dem High End-Sektor, bevorzugt Schallplatten, Plattenspieler und Röhrenverstärker und hat seine Lautsprecher durch Elektrostaten ersetzt (sofern das Geld reichte).

Allerdings hat er kaum mehr als eine Handvoll audiophiler Platten. Die aber legt er jedem Besucher immer wieder auf, um den phantastischen Klang seiner Anlage zu demonstrieren (was seinen Nachbarn nur selten zur Freude gereichen dürfte).

Der Konsument

Von mir auch als "Durchschnittshörer" bezeichnet hat dieser Typ nicht gerade viele CDs und eben einen Durchschnittsgeschmack. Das erkennt man auch daran, dass er alle Arten von Musik konsumiert: Pop, Rock, Comedy, Musicals und einige Dixieland- und Mainstream-Jazz-CDs, die sich auch als Hintergrundmusik eignen.

Seine CDs sind oft Zusammenstellungen, gekauft bei Abverkäufen zusammen mit James Last-Scheiben.

Seine Anlage ist nicht besonders teuer, zumal die Ehefrau keine größeren Lautsprecher erlaubt; hält sie doch die vorhandenen "Tetrapacks" für "laut genug".

Sein "Stereosound" ist oftmals verkabelt mit dem Surround-Set des Fernsehers. "Sie" mag Jazz überhaupt nicht und befindet sich zu Hause in einem Dauerstreit mit den Kids, die ganz offenbar mit ihrem krachenden "Heavy Metal" das Haus zum Einsturz bringen wollen.

Er spielt Jazz nur heimlich, wenn sie und die Kids fort sind. Und neben seinen "Best of …" und "The very best of …"Serien liebt er Ella und Louis, Dave Brubeck und den Bossa Nova.

Sollte er jemals "Unmistakable" besitzen, ist es das Geschenk eines Freundes. Aber er spielt die CD nicht, da sie ihm nicht fetzig genug erscheint und obendrein ganz einfach "zu kompliziert" ist.

Mit seiner Anlage kann er natürlich auch nicht den Unterschied zwischen "normalem" und "binauralem" Stereo hören, was ihn aber nicht weiter stört, solange der nächste Bruce Lee wieder in sattem Surround-Sound erklingt.

Und Kopfhörer? "Oh Mann, für solch ein altmodisches Teil gibt es in meiner Stereoanlage keinen Platz."

Der Genießer

Mitglieder dieser Spezies, auch "Musikhörer" oder "Musikenthusiasten" genannt, lieben Musik wegen der Stimmungen, der Gefühle, wegen des Ausdrucks und der Kommunikation. Ich persönlich gehöre wohl in diese Kategorie.

Ich schätze gute Musik, auch wenn sie schlecht aufgenommen wurde oder wenn etwa das Klavier einmal nicht richtig gestimmt war. Ein gutes Beispiel bilden "The London House Sessions" des Oscar Peterson Trios aus dem Jahre 1961. Wegen der Gesamtumstände schlecht aufgenommen, aber oh Mann, wie inspiriert diese Jungs damals waren und wie phantastisch sie gespielt haben!

Ich lasse mich völlig von der Musik einfangen. Schon nach wenigen Minuten habe ich mich an das Klangbild gewöhnt und es stört mich auch nicht, dass das Klavier verstimmt ist und dass einige der Club-Besucher mit ihrem Essgeschirr klappern.

Oscar, Ray und Ed wirken so wahnsinnig inspiriert, als Trio so völlig vereint und zudem so extrem hart swingend! Dazu liefert Oscar ständig neue musikalische Ideen oder übernimmt Ideen, die Ray in seinem letzten Solo eingebracht hat. Das ist für mich Kommunikation und Jazz auf allerhöchstem Niveau.

Hören Sie sich nur "Tricrotism" an, meinen absoluten Favoriten dieser Einspielungen. Dort liegt etwas in der Luft, das Trio hat unüberhörbar den Gipfel seiner Gestaltungskraft erreicht. Und obwohl dieser Titel den Bassisten Ray Brown herausstellen sollte, wird das Stück komplett von Oscar vereinnahmt.

Er erfindet und erfindet, schafft immer wieder neue Musik und währenddessen ist das Trio hart swingend in Bewegung und schreitet weiter fort, weiter fort, weiter fort …

Das ist Musik auf einem nur selten gehörten Level.

Ich kann dabei nicht still sitzen bleiben, ich swinge zusammen mit diesem großartigen Trio, dem wahrscheinlich besten aller Zeiten. Für mich ist genau das die Essenz des Jazz: fortwährendes Erschaffen, fortwährendes Erfinden, fortwährende Inspiration.

Die Jungs haben wirklich viel Spaß und genießen jede Minute, ja jede Sekunde, die sie zusammen spielen. Nicht nur Oscar brummelt mit als Zeichen, dass er vollständig inspiriert ist, nein, selbst Ray tut es ihm gleich.

Nach 11 Minuten erst ist dieser musikalische Triumph vorbei, aber es geht weiter und weiter: "Sometimes I`m happy" etwa spielt auf demselben Olympischen Level.

Diese Musik wird für immer Bestand haben, nach 40 Jahren klingt sie noch genau so gut wie 1961. Und wiewohl der Club [The London House] nicht mehr besteht und auch die "Jungs" nicht mehr unter uns sind, können wir umso glücklicher sein, dass ein gewisser Mr. Edison etwas erfunden hat, um diese wundervolle Musik für die Nachwelt zu erhalten.

Stellen Sie sich vor, wir könnten Bach spielen hören oder Mozart! Von diesen großen Komponisten und Interpreten haben wir nichts als Noten auf Papier.

Das Jazzschaffen eines Oscar Peterson bleibt uns dagegen glücklicherweise für immer erhalten. Wir sollten diese Musik als Schatz bewahren und sie an die nächsten Generationen als etwas Besonderes, als ein Kulturgut höchster Kategorie weitergeben.
Ich bin davon überzeugt, wenn all` der Müll vergessen ist, den viele aus der jungen Generation heute so sehr bewundern, wird man diese Art Jazz wiederentdecken und der allerbesten Klassischen Musik gleichwertig zur Seite stellen.

100 Jahre später werden Künstler wie "The Duke" und "The Count" den vielleicht gleichen Rang einnehmen wie heute Bach und Mozart. Und die Aufnahmen von Horowitz und Peterson könnten beide gleichermaßen als "klassische Musik" gelten.
Man wird dieses Kulturschaffen an Universitäten als integralen Bestandteil unseres künstlerischen Erbes weitergegeben. Denn dieses musikalische Vermächtnis ist ein Teil unserer Zivilisation. Es kann uns bereichern und zu kompletteren Menschen machen, sind doch Kunst und Musik nicht abtrennbare Bestandteile unseres Lebens.

Natürlich würde ich mir wünschen, diese famosen Einspielungen aus dem London House wären seinerzeit technisch besser konserviert worden, letztlich aber bin ich einfach nur glücklich, dass wir diese Musik heute überhaupt noch hören können.

Klang versus Musik

Ich habe eine Menge Musik in meiner Sammlung und besitze zwei - wie ich meine - recht gute Stereoanlagen (zumal ich auch Radioprogramme mache). Da ist zum einen das wunderbare Beosystem 7000 von Bang & Olufsen, das der Hersteller in dieser Klasse gar nicht mehr anbietet, vervollständigt durch ein Paar legendäre Lautsprecher: Die Beolab Pentas mit eigenem Verstärker.

Alle meine Gäste sind immer wieder überrascht vom Klang dieser Anlage. Und sollte ich die Regler einmal wirklich voll aufdrehen, würde wohl die Wand zu meinen Nachbarn einstürzen.

Mein zweites System setzt sich zusammen aus den besten jemals von Sony hergestellten Geräten der ES-Klasse, nämlich zwei Verstärkern, einem Ein-Bit CD-Player (als allerbester in Tests bewertet), einem direkt angetriebener Plattenspieler und den größten jemals in Holland hergestellten Lautsprechern. Letztere sind durch vergoldete Kabel mit dem System verbunden. Diese nicht ganz billige Lösung fand ich zusammen mit dem Vorschlag, die Lautsprechern auf Spikes zu stellen in einem HighEnd-Magazin.

Schon seit einigen Jahren sage ich mir immer wieder: genug ist genug. Ich habe mich umgehört und einige Experten befragt; alle haben mir geraten: "Bleib bei deinen Systemen, sie sind von einer Qualität, wie sie heute gar nicht mehr hergestellt wird." Ich höre genau, wann Oscar eines der Pedale benutzt, aber auch sehr differenziert die ganze Basie Band im vollsten Lauf.

Und schlussendlich: Ich konzentriere mich ja auf die Musik und nicht auf das Klangbild.
Es wäre ganz einfach, in dieser Besprechung über das neue "Re-Performance" als Methode des Re-Recording, über "Binaural-Stereo" oder über "The Ultimate Headphone Experience" folgendes zu schreiben: "Es klingt ganz einfach besser!"

Die Frage aber bleibt: besser als was?

Der erste Teil der CD ist in "normalem" Stereoton aufgenommen. Und obwohl ich erkenne, dass das Klangbild nicht dem von Hans Georg Brunner-Schwer in Villingen erzieltem gleichkommt, so nimmt mich doch Oscars Interpretationen völlig gefangen. Bei dieser großartigen Musik darf man sich schon einmal fragen: Wozu die gleichen Stücke im Anschluß ein weiteres Mal, was erneut 40 Minuten der CD-Kapazität verschlingt. Ist "Binaural Stereo" das Wert?

Ist das Ergebnis besser als jenes, das Brunner-Schwer in Villingen erreicht hat? Nachdem ich "Binaural" auf meinen beiden Anlagen eine Chance gegeben habe, kann ich sagen: Binaural klingt anders, aber auch besser? Mir fällt um die Musik herum eine etwas weitere Raumabbildung auf, zugleich aber klingt mir das Klavier etwas zu isoliert.

Nachdem ich herausgefunden hatte, wann und wo die Musik ursprünglich aufgenommen, oder besser gesagt von Oscar geschaffen worden ist, war klar: Die meisten Stücke entstammen Konzertaufführungen. Und ganz ehrlich: ich vermisse das Publikum, die Konzertatmosphäre und den wohl verdienten Applaus. Erscheint mir das Klavier vielleicht deshalb so "einsam" und isoliert, weil das Publikum ausgeblendet worden ist?

Mag sein, dass es technisch unmöglich war, den Applaus des Publikums mit einzufangen. Ich aber bin kein Techniker, ich bin Hörer und Musikliebhaber. Und wie ich so über all das nachdenke, nehme ich den Platz eines hingebungsvollen Hörers und eines Bewunderers der Musik Oscar Petersons ein. (Und eigentlich sitze ich da ja bereits schon lange.)

Was würde ich bei einer CD-Kapazität von 80 Minuten eher wählen: diese 40 Minuten "Bonus" als Wiederholung derselben Stücke in vielleicht etwas besserer Klangqualität, oder lieber 40 weitere "Bonusminuten" mit weiteren neuen Solostücken Petersons? Wohl wissend, dass es in den Ablageregalen noch viele Stunden herrlicher unveröffentlichter Musik dieses größten Pianisten aller Zeiten gibt.

Nun, ich denke, Sie kennen meine Antwort. Bin ich doch Musikliebhaber und nicht Klangfetischist. Pardon, Ihr geschätzten Techniker bei der Firma Zenph, aber gebt uns lieber mehr Musik. Falls möglich in der Qualität eines Hans Georg Brunner-Schwer des Jahres 1968.

Ich begrüße die Idee, den Klang zu verbessern. Aber zu einer völligen Neubearbeitung sage ich nein. Das musikalische Vermächtnis Petersons verdient es, von solchen Aufbereitungsmaßnahmen verschont zu werden.

Schlussendlich aber bin ich sehr glücklich über 40 "neue" Minuten grandioser Musik. Ein wirklich ganz und gar unverkennbarer Peterson. Eine dicke Kaufempfehlung also für "Unmistakable".

Die Tracks auf Unmistakable

  1. Body and Soul
  2. Indiana (back home in)
  3. The man I love
  4. Who can I turn to?
  5. When I fall in love
  6. Duke Ellington Medley: Take the A train – In a sentimental mood – C-Jam blues – Lady of the Lavender Mist – (all over the sudden) My heart sings – Satin Doll – Caravan
  7. Con Alma
  8. Goodbye


Diese 8 Tracks erscheinen doppelt auf der CD, einmal in "normalem” Stereo, und als Tracks 9-16 noch einmal in "Binaural-Stereo”.

Die Aufnahmedaten

  • Tracks 1,6+7: Eastman School of Music, NYC, 1976
  • Tracks 2+4: private Aufnahmen von Oscar Peterson, 1984
  • Tracks 3+5 Münchener Klaviersommer, Philharmonie am Casteig, 13.7.1989
  • Track 8: Toronto TV-Studio, aus der TV-Serie "Oscar Peterson and Friends", gesendet Oktober – Dezember 1980

Verlag Zenph / Sony

_________________________________________________________________

vorstehender Artikel: AvK, 25.9.2011
_________________________________________________________________

443. O.P. announcing 2

weiter
zum nächsten Artikel
"Peterson-Raritäten + Sammlerstücke"
mit einer kleinen Einführung

_________________________________________________________________

zurück zum Seitenanfang