"Grounded" - Biber Herrmann in Schöppingen
Mittlerweile haben die Wohnzimmer-Konzerte bei den Wulffs in Schöppingen
ja schon Tradition. 2012 und 2013 hat David Munyon gespielt und auch
2014 zusammen mit Biber Herrmann. 2015 und 2016 war Biber im Rahmen
seiner "Grounded"-Tour hier. Ich sehe Sie die Stirn runzeln: Ein
Wohnzimmer-Konzert? Wie soll das denn gehen? Da kommt einer der
bekanntesten deutschen Bluesgitarristen und spielt daheim zwischen Sofa
und Vertiko?
Und wie das geht! Ein Solo-Akustikabend mit Biber Herrmann ist immer,
zumal aber im Wohnzimmer ein unvergleichlich berührendes Erlebnis. Und
da stocke ich schon. Solo? Höre ich da nicht neben Gitarre und
Gesangsstimme eine zweite Rhythmusgitarre heraus? Zudem eine
Slide-Gitarre? Und einen Bass, eine Harmonika, ein Schlagzeug? So könnte
man meinen, wenn man die Augen schließt. Nur dass Biber diesen ganzen
Klangkosmos wirklich selbst erzeugt.
Zum Ende des Konzertes demonstriert er uns denn auch, wie er seiner
Gitarre den Bass, die Solostimme, die Slides und die Rhythmusbegleitung
entlockt und zudem durch Schlagen auf den Korpus und stampfen auf den
Boden eine Percussion-Begleitung. Und besonders bei den alten
Bluestiteln und frühen Dylanstücken spielt er zwischen den
Gesangsstrophen Harmonika.
Ich stocke schon wieder. Habe ich den Singular nutzend "seine
Gitarre" gesagt? Biber hat um sich vier Gitarren aufgebaut, manchmal
auch fünf. Die haben schon von Natur aus eine unterschiedliche
Klangfarbe, sind zudem aber noch jeweils individuell gestimmt. Biber hat
mir erzählt, dass diese unterschiedlichen Stimmungen sehr wohl im
Gesamtklang herauszuhören sind. Ich glaube ihm.
Da die Gitarren schon entsprechend vorbereitet sind, entfällt das
zwischenzeitige komplette Neustimmen. Obwohl, eigentlich wird es auch
zwischen den Songs nie langweilig, wenn Biber beim Nachstimmen launig
Geschichten zum Besten gibt. Z.B. wie es zu seinem Spitznamen Biber kam.
Oder über seine genau einen halben Tag währende Erfahrung als Arbeiter
in einer Holzfabrik. Ich könnte ihm stundenlang zuhören.
Besonders liebe ich den Klang einer sehr alten Gitarre, geziert von
einem Lorbeerkranz, in die nachträglich ein Blechboden eingearbeitet
worden ist. Wenn Biber dieses gute Stück ganz vorsichtig in die Hand
nimmt, das Bottleneck auf den linken Kleinfinger steckt und den
Mundharmonika-Halter aufsetzt, dann weiß ich schon, dass wieder so ein
wundervoller alter Bluestitel ansteht. Ein Titel voller Gefühl, auch
voller Wehmut und dennoch eben auch voller Kraft, ein Titel, wie ihn die
Sklaven der Südstaaten beim Baumwollpflücken im Mississippi-Delta
gesungen haben, ein Titel, wie er von Mississippi John Hurt, Skip James,
Jesse Fuller oder Blind Willie Johnson gespielt worden ist.
Biber hat tatsächlich eine Winzerausbildung gemacht, wie es für einen in
Rüdesheim, also im "Rhein-Main-Delta" (Urton Biber!) geborenen
Jungen nicht ganz untypisch ist. Die Arbeit auf den Weinbergen des
Rheingaus steht dem Baumwollpicking in und um New Orleans in Bezug auf
Einsatz, Schweiß, aber auch Monotonie sicher nicht nach. Und wenn es
auch in dem uralten Song "Hard Times Come Again No More" anders
beschrien wird, die harten Zeiten mit ihren Brüchen, aber auch ihren
Träumen, Sehnsüchten und dem unbedingten Willen zum Neubeginn kommen
doch immer wieder - oder sind zumeist sogar schon da, wenn wir ins
Leben treten. Da ist es dann zum Blues nicht weit.
Tatsächlich aber hat Biber in den ersten Jahren eher Rock gespielt,
zusammen mit verschiedenen Bands und Formationen, zumeist an der
Leadgitarre.
Erst relativ spät ist er dann zum Blueser, zum Singer/Songwriter und
damit zum Solisten mutiert. Was nicht heißt, dass er sich nicht auch
heute noch manchmal begleiten lässt, z.B. von Werner Lämmerhirt und
Peter Finger an der Gitarre oder von Anja Sachs mit der Zweitstimme.
Oder im Duo mit Peter Reimer und Christian Rannenberg spielt.
Oder die Begleitung eines anderen Künstlers übernimmt, wie z.B. bei der
Munyon-Tour 2014, die David und Biber auch ins Schöppinger Wohnzimmer
führte.
Legendär auch die langjährige Zusammenarbeit mit Fritz Rau, den er bis
zu dessen Tod 2013 bei seinen Lesungen musikalisch begleitet hat.
So habe ich ihn kennengelernt, 2014 im Schöppinger Wohnzimmer von Marion
und Hans-Werner Wulf als Begleiter von David Munyon, dem amerikanischen
Singer/Songwriter.
Biber hat an diesem Abend auch einige Solostücke gespielt und uns damit
begeistert. Ich erinnere noch das grandiose Instrumental "Sweet
Prayer to the Moon". Da war es für die wie immer vollendeten und
großzügigen Gastgeber Marion und Hans-Werner Wulff nur folgerichtig, ihn
für 2015 und gleich auch 2016 wieder nach Schöppingen einzuladen, zumal
er ohnehin im Rahmen seiner "Grounded"-Tour unterwegs war.
Das waren wieder einmal zwei Abende, wie man sie niemals mehr im Leben
vergisst. Marion hatte für selbstzubereitete köstliche Speisen gesorgt,
Hans-Werner hatte einen Großeinkauf im Getränkemarkt getätigt. (Wie das
wohl alles in seinen Mini hineingepasst hat!?) Das Wohnzimmer war
konzerttauglich vorbereitet, die handverlesenen Gäste hatten es sich auf
zwei Etagen gemütlich gemacht, das Spektakel konnte beginnen.
Neben Eigenkompositionen, zu deren Entstehung Biber zwischendurch
Amüsantes berichtet, hören wir die alten und ganz alten Klassiker eines
Muddy Waters, Leadbelly, Robert Johnson und Chuck Berry, aber auch Titel
des jungen Dylan oder einen Stück von John Hiatt. Und Biber
"vergreift" sich auch einmal an einem "Heiligtum",
nämlich dem "Satisfaction" der Stones. Alle Songs der Kollegen
werden eigenständig interpretiert und erstrahlen dadurch in neuem, so
niemals zuvor gehörtem akustischen Gewand.
Inzwischen liegt auch eine DVD der "Grounded"-Tour vor. Meine
Mutter (92) meinte nach 90-minütigem andächtigem Zuschauen und Zuhören:
"Was hat dieser Mann für eine Seele". Das trifft ziemlich genau
den Kern und macht jedes Konzert von Biber Herrmann so besonders. Fritz
Rau - der selbst im Besitz einer großen Seele war - hat ihn einmal
zutreffend als "real soul brother" bezeichnet.
Sowohl auf der DVD als auch bei seinen Konzerten gibt uns Biber zwischen
den Stücken einen Einblick in seine Spielweise, etwa am Beispiel des
Blues-Klassikers "Going Up the Country". Die Arbeit mit der
rechten Hand geht zumeist derart rasant vonstatten, dass nur eine stark
verlangsamte Demonstration einen Einblick in seine atemberaubende
"Fingerstyle"-Technik geben kann. Allein Begabung und
jahrelanges Üben führt zu einem solchen überragenden Könnertum.
Kein Zweifel, Biber Herrmann hat seinen ganz eigenen Bluesstil gefunden,
genährt von (oder "grounded" auf) der 100 und mehr Jahre alten
amerikanischen "Rootsmusic", mittlerweile aber weiterentwickelt
zu einer auch uns "Sklaven" des 21. Jahrhunderts ansprechenden
Kunstform mit "eigener Sprache, Färbung und Tiefgang", um noch
einmal Fritz Rau zu bemühen.
Seine poetischen Singer/Songwriter-Texte berühren aktuelle politische
Themen wie Krieg, Terror und Umweltzerstörung und damit unmittelbar auch
uns. Natürlich singt er auch Liebeslieder. Oft (z.B. vor dem Stück
"Sweet Nun") erzählt er uns einstimmend humorvoll, wie es zu den
Texten kam. Einen großen Beitrag zum Gesamterlebnis leistet neben der
Harp natürlich das warme Timbre seiner Stimme im Dialog mit seinem
virtuosen Gitarrenspiel.
Biber erzählt, dass er ohne festes Programm auf die Bühne geht. Der
tiefere Sinn scheint mir darin zu liegen, dass er sich so umgehend an
sein jeweiliges Publikum anpassen kann. Schließlich spielt er weit über
100 Konzerte pro Jahr vor immer ganz unterschiedlichen Menschen. In
Schöppingen waren die Zuhörer derart tief ergriffen, dass man während
der Songs im Auditorium die berühmte auf den Boden fallende Nadel hätte
hören können. Und auch das Ausklingen des Gitarrentons wurde bis zur
letzten Schwingung ausgekostet, bevor der warme Beifall anhob. Bibers
Hauskonzert bei den Wulffs in Schöppingen war ganz offenbar in
mehrfacher Hinsicht ein "Heimspiel".
Das aktuelle CD-Album "Grounded" und die gleichnamige DVD gibt
es jeweils separat, aber auch zusammen in einem schönen Schuber. Ich
zeige Ihnen nachfolgend dessen Backcover, auf dem auch die eingespielten
Titel gelstet sind.
Des weiteren finden Sie dort Bibers Kontaktinformationen und einen
schnellen Überblick zu den bisher von ihm veröffentlichten Alben:
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Beschließen möchte ich diesen kleinen (übrigens nur für mich selbst
geschriebenen!) Artikel mit einem Zitat von Biber Herrmann:
"Bleibt Euren Träumen und Visionen treu, sie sind das Herzblut
unseres Lebens".
Dem ist von mir aus nichts mehr hinzuzufügen.
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