Beethoven: Sämtliche Klaviersonaten
Friedrich Gulda, 1967
Friedrich Gulda war unbequem, und das sowohl als Mensch wie auch als
Pianist: oft exzentrisch, extrovertiert und querdenkend. Mancher wird
noch seine Konzerte im legeren Outfit mit Wollmütze kennen, die nach
einem klassischen Anfangsteil mit Jazztönen zu Ende gingen. Konventionen
waren ihm zuwider. Gulda war "anders".
Gulda hat den Zyklus der 32 Beethoven-Klaviersonaten insgesamt viermal
eingespielt. Diese 1967 en bloc erfolgte Aufnahme war seine letzte.
Seine früheren Interpretationen waren ihm inzwischen zu brav, zu
musterschülerhaft. Erst die für Amadeo eingespielte vierte Serie hat ihn
zufrieden gestellt, jetzt sei er "fertig" mit den Beethovens
Sonaten, hat er einmal gesagt.
Die 1967er Einspielungen haben polarisiert, zum einen haben sie den
Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhalten und zudem viel
überschwänglich-positive Kritik, zum anderen aber haben manche eine
gewisse technische Kälte und seelenlose Intellektualität kritisiert.
Gewiss, die Darstellung ist schnörkellos, Rubati fehlen, die Dynamik ist
gewaltig, die Tempi sind durchgehend ungewohnt schnell. So braucht er
für die Appassionata, die Pastorale und die Waldsteinsonate jeweils ca.
4 Minuten weniger als Brendel, für die Hammerklaviersonate sogar fast 8
Minuten weniger. Die schnellen Tempi aber geben den Sonaten etwas
Herbes, etwas Kraftvolles, eine klare Struktur und Zusammenhalt. Fast
scheut man es sich zu sagen, denn der Begriff ist so mißverständlich, so
plakativ: Dies ist eine sehr "moderne" Interpretation, befreit
vom Staub vergangener Jahre.
Für mich ist Guldas 1967er Einspielung ein "Jahrhundertereignis"
und die Referenzaufnahme schlechthin. Wer sich damit
auseinandersetzt, wird Beethoven pur erfahren und die Musik für sich
allein sprechen, besser klingen hören. Beethovens Sonaten brauchen keine
Deutung, keine aufgesetzte Interpretation, keinen Pathos.
Auf der Basis dieses Guldaschen Beethoven-Vermächtnisses macht es dann
Spaß, in die Einspielungen von Backhaus, Kempf, Brendel, Barenboim,
Buchbinder und anderen hineinzuhören, um zu erspüren, was individuelle
Interpretationen bringen, aber auch nehmen können.
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