Patti Smith - Horses
Ein energiegeladenes Werk der aufkommenden Punk-Szene New Yorks, voller
persönlicher Statements – auch wenn es mit Van Morrisons
"Gloria" aus der "Them"-Zeit beginnt. Sie kennen doch
die Eingangszeile: "Jesus died for somebody`s sins, but not
mine"? Ein für das damalige Amerika (1975) schockierendes Statement,
eine Antipredigt.
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Und dieses Cover, allein schon ein Kunstwerk! Ehrlich und ungeschminkt.
Es wurde ja schließlich auch von Robert Mapplethorpe, dem mit ihr
befreundeten späteren Starfotografen aufgenommen. Aber Vorsicht: So
zerbrechlich, so ätherisch, wie sie da aussieht, ist die junge Dame
nicht. Die junge Dame erinnert Sie ohnehin mehr an einen jungen Herrn?
Ja, stimmt, wobei das an bestimmten (Zu)Neigungen des Fotografen liegen
mag.
Patti Smith kommt über die Lyrics, die Texte. Sie hat eine Botschaft.
Das, was sie ausdrücken will, existiert zunächst als Wort und wird erst
danach in Töne gekleidet. Insofern darf man so unterschiedliche
Künstler wie Bob Dylan und Jim Morrison zu ihren Inspirationsquellen
rechnen und natürlich auch den Velvet Underground-Mann John Cage, der
"Horses" produzierte. Tatsächlich hat Patti künstlerisch
angefangen mit poetischen Texten, die sie unter Lenny Kaye`s
Gitarrenbegleitung vortrug. Horses ist nichts grundsätzlich anderes, nur
die musikalische Begleitung ist etwas umfangreicher.
So erhebt die Musik auch nicht den Anspruch auf Genialität oder gar
Kunst. Sie ist Mittel zum Zweck, kompromisslos, roh, hart, repetitiv,
perkussiv, denn Patti will uns durchaus etwas einhämmern. Und letztlich
versetzt sie den Hörer wirklich in eine Art Trance, jedenfalls dann,
wenn er sich darauf einlassen will.
Es ist nicht Charisma, das Patti Smith umgibt, eher eine spröde, kühle
und manchmal fremd anmutende Ästhetik. Und auch der Gesang nimmt nicht
etwa wegen der Stimme selbst gefangen, eher wegen der Artikulation mit
schrillen, aber auch düsteren Akzenten.
Thematisch beschäftigt sich das Werk mit Heteo- und Homosexualität,
Suizid, Verlust, Hoffnung, Schizophrenie und dem Tod.
Die Mitmusiker unterstellen sich dem vorgegebenen Ausdrucksziel, obwohl
sie mehr "draufhätten": am Klavier Richard Sohl, am Bass Ivan
Kral, am Schlagzeug Jay Dee Daugherty, an der Gitarre Lenny Kaye, der
Patti ein Leben lang begleitet hat. Zusätzlich an der Gitarre Tom
Verlaine von "Television" (auf "Break it up") und Allen
Lanier von Blue Oyster Cult (auf "Elegie").
Klar, "Horses" ist heute eine Punk-Ikone, ein bahnbrechendes
Werk, das – nebenbei bemerkt – gerade auch Sängerinnen wie z.B. Chrissie
Hynde ein Sprungbrett bot. Patti Smith ruhte sich nicht auf diesen
Lorbeeren aus. Sie gründete zunächst eine Familie, hatte Kinder und
brachte später noch das eine oder andere hörenswerte Album ("Radio
Ethiopia", "Easter", "Twelve") heraus. 2012 ist
"Banga" erschienen, ein höchst empfehlenswertes stark an
"Horses" erinnerndes, wenn auch melodischeres Werk. Hier
schließt sich für mich der Kreis.
Heute gibt es "Horses" in verschiedenen Varianten. So kam zum
30. Geburtstag des Albums 2005 eine Doppel-CD heraus, bestehend aus der
remasterten Original-CD und einer zusätzlichen Liveversion. Es gibt auch
eine Ausgabe in einer wertigen Metallkassette. Und es gibt einen
kompletten Schuber mit den frühen Werken.
Diesen Schuber (siehe oben) gibt es zum Preis von nicht einmal 2
normalen CDs, wobei aber 8 CDs aus den Arista-Jahren enthalten sind:
- Horses
- Radio Ethiopia
- Easter
- Wave
- Dream of life
- Gone again
- Peace and noise
- Gung ho
Sollten Sie also zwischenzeitig zum "Patti Smith-Fan" mutiert
sein und unbedingt "Horses" kaufen wollen, so dürften Sie sicher
den Erweb dieses Schubers in Erwägung ziehen. Die einzelnen CD-Hüllen
ziert das originale LP-Cover. Leider aber ist kein zusammenfassendes
Booklet beigegeben worden. Dennoch ein lohnender Kauf, allein schon
wegen "Easter" und "Wave", aber auch "Dream of
Life" ist sehr schön und nur wenig "punkig".
Wer am zeitgeschichtlichen Hintergrund der damaligen Jahre bis zum
Erscheinen des Debutalbum "Horses" interessiert ist und zudem an
der Person Robert Mapplethorpes, dem sei das folgende Buch empfohlen:
SMITH, PATTI: Just Kids. Geschichte einer Freundschaft. Verlag
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 336 S., 19,95 €.