Max Jacob - Mein Kasper und ich

Max Jakob Nachdruck

ISBN 978-928859-08-0
Edition Zebra 3. erw. Aufl. 2011
Max Jacobs Lebenserinnerungen sind nach wie vor lesenswert - und das aus unterschiedlichen Gründen. So erfährt der Leser zunächst einmal Wissenswertes über das künstlerische Handpuppenspiel, das sich klar vom Jahrmarkt-Kasperletheater abgrenzt und trotzdem immer wieder Vorurteile ausräumen muss. Es wurde von Jacob zu einer später kaum mehr erreichten Vollkommenheit geführt.

Von Hartenstein im Erzgebirge kommend (wo er erstmals 1921 als Puppenspieler auftrat) war ab 1928 für Max Jacob (*1888,†1967) und seine Mitarbeiter die Burg Hohnstein das neue Zuhause, gelegen oberhalb der gleichnamigen Stadt in der sächischen Schweiz. Man kann dort noch heute auf Kaspers Spuren wandeln.

1933 wurde die Gruppe von der Burg vertrieben, das Regime errichtete auf der weitläufigen Anlage eines der ersten deutschen KZs. Jacob und seine Mitarbeiter zogen um in ein von der Kommune neu errichtetes Heim. Später kam noch eine richtige Puppenspielbühne hinzu, die im Dresdner Großen Garten abgebaut und nach Hohnstein verbracht wurde. Nun besaßen die "Hohnsteiner", wie man sie in Kleinkunstkreisen nannte, als Basis der deutschlandweiten Gastsauftritte endlich ihre ureigene Stammspielstätte. Die erhaltenen Bauten werden heute vom "Traditionsverein Hohnsteiner Kasper e.V." betreut und u.a. für Gastspielauftritte genutzt.

Während der Naziherrschaft und vor allem während des Zweiten Weltkriegs war der Spielbetrieb stark eingeschränkt, Gastspiele waren nahezu unmöglich, zumal die Gruppe um Max Jacob immer wieder zur Unterhaltung (wohl aber eher zur "Ablenkung") der Soldaten an alle denkbaren Stützpunkte und Fronten abkommandiert wurde. Jacob deswegen eine Nähe zum NS-Regime zu unterstellen, ist absurd; er hat sich nie untergeordnet und hat sich Eingriffe in sein Spiel und die teils überhaupt nicht „arischen“ Gesichter seiner Puppen, insbesondere seines Kaspers immer verbeten. Wegen seines couragierten Auftretens kassierte er sogar eine Abmahnung von Göbbels, die ihn aber kalt gelassen hat.

Nach dem 2. Weltkrieg waren Auftritte erst einmal nur noch stationär möglich, die Freizügigkeit innerhalb der Zonen und damit Gastspieltätigkeiten waren stark eingeschränkt. Viele Mitspieler waren gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft. Als Standort eines Wiederbeginns war nur eine Großstadt denkbar. So ist es, nachdem Jacob bei Kriegsende in der englischen Zone festsaß, zu einem neuen und dann auch dauerhaftem Hamburger Zuhause für ihn und den Rest seiner Truppe gekommen. Die Verbindungen nach Hohnstein aber sind nie abgerissen.

Besondere Verdienste um die Völkerverständigung hat sich Jacob erworben, als er zu Beginn der 50er Jahre wieder in Frankreich und erstmals auch in Schweden auftreten durfte. Man kann sich denken, welche Vorurteile unserer Nachbarn dabei zu überwinden waren. Jacob und seine Gruppe haben das als Botschafter eines "Neuen Deutschland" bravourös gemeistert.

1953 hat Jacob seine aktive Puppenspielerkarriere beendet, war aber noch administrativ tätig und von 1957 bis zu seinem Tode 1967 Präsident der UNIMA, einer internationalen Vereinigung der Puppenspieler.

Diese Karriere ist allein schon atemberaubend und nachlesenswert. Dazu kommen die vielen kleinen Begebenheiten in den Dorfgemeinschaften, Künstlergruppen und Jugendbünden („Wandervogel“), die liebevoll beschrieben werden und dem heutigen Leser eine Welt zeigen, wie es sie schon lange nicht mehr gibt. Es scheint, dass damals der Zusammenhalt unter den Menschen gefestigter war und dass schon kleine Dinge Freude bereiten konnten, Dinge, die heute wohl gar nicht mehr wahrgenommen würden. Auch war die Natur noch weitgehend intakt und wurde intensiv zur Erholung und Gestaltung der knappen Freizeit genutzt.

Das Leben zu Beginn des 20. Jhd. verwöhnte die Menschen allerdings nicht. Jacob musste schon mit 14 Jahren, also noch nicht ausgewachsen, in die Schreinerlehre, Kameraden ergriffen andere schwere Handwerksberufe. Die Vergütung tendierte gegen Null. Alles heute unvorstellbar. Jacob beschreibt das so eindringlich, dass dem Leser unwillkürlich plastische Bilder mit viel Zeitkolorit vor Augen treten. Auch seinem halb zivilen, halb militärischen Einsatz während des Ersten Weltkriegs im Baltikum wird in den Erinnerungen breiter Raum gegeben.

Max Jacob ist in seinem Leben zu einer großen Persönlichkeit gereift, was von deutschen, französischen, englischen und tschechischen Zeitgenossen bestätigt wird. Er hat in hunderten von Seminaren und Fortbildungen sein Wissen uneigennützig weitergegeben. Zu den Bühnen, die mit Stockpuppen oder Marionetten arbeiteten, bestanden freundschaftliche Beziehungen.

Jacobs Leben war, bedingt durch die Zeitläufte, mehr als abenteuerlich, voller Entbehrung, aber auch voller Erfolg und Anerkennung seiner Zeitgenossen, die er durch sein Spiel und seine ausgleichende Art beeindruckt, beglückt und bereichert hat. Der Kasper konnte (fast) zu allen Zeiten Dinge ansprechen, die einem Menschen Probleme bereitet hätten. Max Jacob hat das bis zur Perfektion weiterentwickelt. Vor allem, wenn er nicht vor Kindern, sondern vor Erwachsenen spielte. Kinder wollte er niemals belehren, sondern stets nur erfreuen und zu einem befreienden Lachen bringen. Den berühmten "erhobenen Zeigefinger" lehnte Jacob als kontraproduktiv kategorisch ab.

Noch heute kann man Schallplatten und Filme über Jacob`s Kasper und seine Kameraden bekommen, auch erste Fernsehaufnahmen aus den 50er Jahren gibt es in den Archiven.

Die Erstausgabe der Erinnerungen (Greifenverlag Rudolstadt 1964) und der Zweitdruck (Ogham Verlag Stuttgart 1981) lassen sich antiquarisch beschaffen. Preiswerter und vor allem einfacher ist es, die "3. erweiterte Auflage 2011" beim „Traditionsverein Hohnsteiner Kasper e.V.“ zu bestellen. Der Nachdruck ist kartoniert, also nicht gebunden und hat einige Textumbruchfehler, was den geneigten Leser aber kaum stören wird. Zahlreiche Schwarz-Weißfotos aus der damaligen Zeit runden diese so liebenswert geschrieben, zudem aber auch sehr nachdenklich machenden Lebenserinnerungen ab.

Eine klare Leseempfehlung!