Elke Heidenreich - Altern

Elke Heidenreich Altern

„Altern“? Was soll denn daran besonders sein, gar ein ganzes Buch rechtfertigen? Altern wir denn nicht alle (!) gleich (!) und unabwendbar (!) vom Tage unserer Geburt an? Was Elke Heidenreich aber in ihrem ironisch-sarkastischen, zudem nach wie vor liebevoll-aufmüpfigen Essay thematisiert, ist (wie Sie richtig vermuten) das individuell gestaltbare Umgehen mit den im späteren Lebensverlauf auftretenden Fähigkeitsverlusten, die zwar „altersgerecht“ sein mögen, aber lästig sind. Das Klarkommen also mit den zunächst schleichend und fast unbemerkt beginnenden, doch dann scheinbar plötzlich und unübersehbar in Serie auftretenden Defiziten, gekennzeichnet dadurch, dass sich das Können immer mehr dem Wollen widersetzt. Es geht also ums „Altern“ als dynamischen Prozess und um unsere die Lebensfreude trotz alledem bewahrende Reaktionen, nicht etwa um das Alter selbst.

Schon immer haben sich Menschen mit dem Altwerden auseinandergesetzt, Heidenreichs Essay strotzt - bei einer Literatin wenig verwunderlich - vor Zitaten, etwa aus „La Vieillesse“ von Simone de Beauvoir oder „Cato major de senectute" von Marcus Tullius Cicero, um nur die bekanntesten Werke zu nennen. Erfreut haben mich mehrere Hinweise auf „Altern wie ein Gentleman“ (2011) von Sven Kuntze, dessen schönes Buch hier auch schon besprochen wurde.

Erfährt der Leser dabei revolutionär Neues? Ich möchte antworten: „Darum geht`s nicht“. Allgemeingültige Regeln, gar Patentrezepte gegen das Altern und dessen unangenehme Begleitumstände kann es nicht geben, zu verschieden sind Wollen und Können im letzten Lebensdrittel, zu unterschiedlich die persönlichen Lebenslagen, das jeweilige soziale Netz, die vorhandenen finanziellen Mittel. Aber eines wird überdeutlich: Bewusste Ernährung, Bewegung und geistige Aktivitäten sind wichtig, doch ohne begleitende Lebensfreude und ohne einen aktiv erworbenen Seelenfrieden können sie (zumindest als sich selbst mehr oder weniger zwanghaft auferlegte Vorgaben) sogar kontraproduktiv sein.

Elke Heidenreich lässt uns beispielhaft teilhaben an ihrem Umgang mit den Beschwernissen, aber auch Freuden einer 80jährigen. Ein Vergleich mit der eigenen Situation kann nachdenklich machen, selbst wenn man weit weniger privilegiert ist als die Autorin, weniger kompensatorische Möglichkeiten besitzt. Hat sich Heidenreich doch einen jugendlichen Optimismus bewahrt, der ansteckend ist.

Irritieren mag die unbestreitbare Tatsache, dass die Gesellschaft eine „alte Frau“ anders wahrnimmt als einen „alten Mann“. Frauen an der Seite wesentlich jüngerer Partner werden argwöhnisch beäugt, während ein 80jähriger Mann wie selbstverständlich eine nur halb so alte Frau haben darf. Hier machen Falten und Haarausfall interessant, dort werden solche Attribute als Makel empfunden.

Der Umgang mit dem Altern ist nicht zuletzt durch die zunehmende Lebenserwartung und das fast völlige Verschwinden generationsübergreifender Familienverbände eine immer größere Herausforderung. Nach Elke Heidenreichs Ansicht ist es um so wichtiger, zwischen fatalistischem Nichtstun und (den Betroffenen zur Karikatur machenden) sogenannten Antiaging-Maßnahmen zu unterscheiden, um einen gesunden Mittelweg zu finden (obwohl Mittelwege bislang gar nicht ihr Ding waren). Ganz schön schwer, sich nicht von unseriöser Werbung und unseligem Influencer-Unwesen verführen zu lassen.

Und was tun mit den angesammelten Briefen, Erinnerungsstücken, Büchern, Platten etc., die für uns „Alte“ einen unschätzbaren Wert besitzen, für die Nachrücker aber ziemlich sicher nichts als Ballast bedeuten. Glücklich der, dem das (anders als Heidenreich) völlig egal ist.

So sensible Themen wie Sexualität im höheren Alter oder das Recht auf einen selbstbestimmten Tod werden eher dezent angesprochen, jedenfalls nicht ausgereizt, zu unterschiedlich ist die jeweilige individuelle Gemengelage und die derzeitige gesellschaftspolitische Wertung. Natürlich hat Elke Heidenreich auch dazu eine eigene Meinung, muss aber inzwischen nicht mehr dafür kämpfen.

Es geht ihr allerdings weiterhin ganz wesentlich um den Erhalt der Würde eines alten Menschen. Wir wissen, die Würde des Menschen ist unantastbar, doch wird diese Maxime auch in jedem Altenheim, bei jeder häuslichen Pflege umgesetzt? Klaffen zwischen den in schönen Worten gemalten Leitbildern und dem ganz normalen Alltag nicht oft Welten?!

Klar, alles lässt sich nicht gestalten; ob sich eine in vielen Kulturen hoch geschätzte Altersweisheit einstellt oder aber eine Altersdemenz das Leben für den Betroffenen und die Umgebung zur Qual macht, unterliegt weitgehend schicksalhafter Fügung. Und niemand weiß mit 18, ob er sich mit 80 Jahren im Ältestenrat oder nur noch dahinvegetierend in der Seniorenresidenz wiederfinden wird.

Die Autorin zitiert den Song „Forever young“ (1984) von Alphaville („It`s so hard to get old without a cause, youth`s like diamonds in the sun“), eine Beschwörung der ewigen Jugend. Beeindruckender noch ist aber vielleicht der gleichnamige Song von Bob Dylan (1974), der konkrete Handlungsempfehlungen („joyful heart“) gegen ein vorzeitiges Altern enthält: „May your hands always be busy, may your feet always be swift“ und „May your heart always be joyful, may your song always be sung, may you stay forever young“. Leider ist der in der bildenden Kunst oft dargestellte Jungbrunnen so ganz ohne aktives Handeln (bis auf das Baden) eben nur eine Fiktion.

Wer Elke Heidenreichs Essay gelesen hat, mag stärker als bisher versuchen (und zwar nicht nur im höheren Alter), zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Einschränkungen zu unterscheiden. Er wird sein Leben danach ausrichten, also akzeptieren oder aufbegehren, zudem rechtzeitig Vollmachten und Verfügungen aufsetzen ("es ist alles gesagt"). Und keine Sorge, einer Melancholie oder gar Traurigkeit wird kein Platz eingeräumt. Obwohl manch einen Gottfried Benn`s Gedicht "Abschied" zum Schluss vielleicht doch etwas wehmütig zurücklässt...

Ich habe das Büchlein mit großem Vergnügen und wie immer mit dem Bleistift in der Hand in einem Rutsch durchflogen. Zum Schluss war ich erstaunt, wie viele Sätze, Gedanken, Buchempfehlungen und Zitate ich angestrichen hatte. Ist man doch mit der eigenen Einstellung zum Altern nie wirklich fertig, muss bei neuen Herausforderungen stets nachjustieren. Genau dazu möchte uns Elke Heidenreich anstiften. Nebenbei hat sie beim Schreiben (wie Cicero 44 v. Chr.) auch ihren eigenen Weg neu reflektiert, vielleicht sogar im Sinne einer Katharsis.

Nicht zuletzt ist es die jugendliche, inzwischen aber ganz undogmatische Frische der Formulierungen, die das Buch so lesenswert macht. Nein, das ist kein Alterswerk, eine Elke Heidenreich altert nicht, zumindest nicht in dem, was sie ein Leben lang ausgemacht hat.

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