Ulrich Roski: In vollen Zügen

Roski Autobiografie

Untertitel: Vom Leben auf Rädern

Verlag Eichborn
ISBN 3-8218-3921-X

Ulrich Roski – wer war das eigentlich? So werden vor allem die Jüngeren fragen. Die 68er aber kennen ihn noch gut und werden diesen sanft-ironischen Liedermacher nie vergessen. In seiner erst 2002 erschienenen Autobiographie erzählt uns Roski in eleganter Sprache und gespickt mit hintergründigem Wortwitz sein Leben.

Geboren 1944 und seit dem 6. Lebensmonat im Wedding wohnend sind die ersten Erinnerungen Roskis geprägt von Not und Elend des Nachkriegsdeutschlands, speziell Westberlins. Die Insellage, verschlimmert noch durch die russische Blockadepolitik, die Rosinenbomber, erster wirtschaftlicher Aufschwung ("Nierentisch"), das etwas spießbürgerliche Elternhaus, Klavierunterricht, deutsche Schlager ("Caprifischer"), amerikanische Musik im Soldatensender AFN, das Glen Gould-Konzert 1957 ("Sternstunde"), das französische Gymnasium, die erste Band, die Theatertruppe – Roski berichtet von all` diesen Etappen mit Ironie und Selbstironie, ja manchmal mit Selbstsarkasmus. Niemals auch nur die geringste Selbstbeweihräucherung, niemals zynisch, niemals beschönigend. Kaum eine Seite in dieser Autobiografie, die den Leser nicht schmunzeln lässt. Eine der Stärken Roskis ist sicher seine Gabe zur genauen Beobachtung der Tücken des Alltages. Und genau die beschreibt er prägnant, manchmal kabarettistisch, aber nie verbissen und immer humorvoll in geschliffener Sprache.

Dann das Abitur, Beginn eines Germanistik-Studiums, Studiensemester an der Sorbonne, frustranes Jobben in den Semesterferien, Abweisung als unangemeldeter Künstler auf der Burg Waldeck, Beeinflussung durch Georg Kreissler, erste Lieder, Auftritte in Clubs und Kneipen, erste Platten- und Filmaufnahmen, Auftritte in Fernsehsendungen, Kompositionen und Texte für Kollegen, Tourneen – die Karriere nimmt ihren Lauf.

Großartig beschrieben das Zusammentreffen mit den Wegbegleitern, Hannes Wader (der Hammel mit Bohnen für alle kocht), Reinhard Mey (der mit ihm auf der französischen Schule war und bereits seit seiner ersten Skiffle-Gruppe "größere Erfolge" als er hatte), Schobert und Black, Hofmann, Hüsch und vielen anderen.

Dann die großen Erfolge in den 70er Jahren mit unvergessenen Liedern wie "Des Pudels Kern" und "Der kleine Mann von der Straße", Fernsehauftritte, bescheidener Wohlstand (der immerhin zum Kauf eines wirklich fantastischen Flügels befähigte), Auftritte in der Hamburger Musikhalle und der Berliner Philharmonie, Aufkommen eines gewissen Ruhmes, der dann ab den 80er Jahren abflacht.

Man mag sich fragen, warum sein Bekanntheitsgrad nicht noch größer war und sein Nachruhm so bescheiden ist. Richard David Precht nennt ihn den "Helge Schneider der siebziger Jahre". Er hält den Sänger schlichtweg für zu begabt, zu klug und zu originell, als dass er seinen kurzen, an den damaligen Zeitgeist gebunden Ruhm künstlich hätte in die Länge ziehen wollen. "Roskis gelassene Heiterkeit" ist von der Art, "wie sie wohl nur Melancholiker hervorbringen" und zieht sich als roter Faden durch diese Autobiografie, schreibt Precht. Ich meine, Precht hat Recht; vielleicht hätte er noch hinzufügen können, dass Roski viel zu ehrlich war, als dass er sich hätte verbiegen lassen.

Lange Jahre der Nichtsesshaftigkeit, also unterwegs in vollen Zügen auf Rädern (natürlich ist der Titel der Autobiografie Roskitypisch mehrdeutig), Erkenntnisse, dass Männer und Frauen nicht zusammen passen, schließlich doch die Ehe und die Geburt der Tochter Sandra.

Und damit endet diese Autobiografie, lange Jahre vor ihrer Veröffentlichung 2002. Die Jahre nach der Geburt seiner Tochter hat Roski wohl sehr bewusst nicht mehr beschrieben. Er wollte seine wilden unabhängigen Jahre schildern, nicht seine gesetzteren. Man darf annehmen, dass Roski seine Erinnerungen nicht zuletzt deshalb aufgeschrieben hat, weil er wusste, dass er an einem Krebsleiden mit unsicherem Ausgang erkrankt war. Wahrscheinlich wollte er unbedingt noch seine persönliche Sicht der Dinge notieren, für seine Familie, für seine Bewunderer, bevor es zu verfälschenden Legendenbildungen kommt.

Ulrich Roski verstirbt am 20.2.2003 in Berlin. Wenn es stimmt, dass er an den Folgen eines Zungenkrebses verstorben ist, so entbehrt das bei solch einem scharfzüngigen Künstler nicht einer gewissen Tragikomik (ich erlaube mir diese Bemerkung, weil ich mir ziemlich sicher bin, er hat es mit seinem Humor und vor allem mit seinem Galgenhumor genau so gesehen).

Ein Buch voller Wehmut, das ich kurz nacheinander gleich zweimal gelesen habe.

PS: Roskis Autobiografie war 2008 bereits vergriffen, als wir auf sie durch einen Hinweis in Reinhard Meys Erinnerungen aufmerksam wurden. Wir konnten aber ein gebrauchtes Buch ersteigern. Vorn steht folgende handschriftliche Widmung:

Lieber Roman,

gerne denke ich an unsere gemeinsamen Unternehmungen auf Rädern zurück, wohl auch aus Sehnsucht nach einem Alter, in dem Du jetzt stehst.
…Krebse suchen, mit der Bierdosen-Laterne und dem Brennglas von Dir …
Wirst Du einmal über Deine Abenteuer in der Fremde erzählen können?!

Dein Vati, Weihnachten 2002

Über diese Widmung haben wir schon häufig nachgedacht. Wie kommt solch ein 2002 verschenktes Buch mit solch einer Widmung 2008 in eine Auktion? Ob da vielleicht jemand "unter die Räder" gekommen ist …?