Patientenmaut, Apothekerstrafzoll und andere Raubrittermethoden
Ich weiß nicht, welche Gefühle in Ihnen hochkommen, wenn Sie Begriffe
wie "Dosenpfand", "Lkw-Maut" oder "Praxisgebühr"
lesen. Wahrscheinlich aber geht es Ihnen nicht anders als mir: Es packt
einen die blanke Wut! Hochbezahlte Politiker und Ministerialbeamte
schaffen es nicht, alltagstaugliche Gesetze zu erlassen. Offenbar hilft
es auch nicht, aus Unkenntnis oder Angst vor eigenen Entscheidungen
millionenschwere Beraterverträge zu vergeben. Bei aller Sympathie für
die Ziele der Gesetzgebung: die Ausgestaltung ist unprofessionell, ja
dilettantisch und belastet uns alle.
Einen traurigen einstweiligen Höhepunkt bilden hier die seit dem
1.1.2004 halbjährlich neu aufgelegten Gesundheitsgesetze, auch
"Reformen" genannt.. Diese sind so schlecht gemacht, dass es oft
nicht einmal 14 Tage dauert, bis die ersten Abänderungen vorgenommen
werden müssen. Nur Dank der Schlagzeilen in der Morgenzeitung erfahren
wir, welche Bestimmungen heute noch gelten und welche nicht.
Nun will ich keineswegs bezweifeln, dass eine Gesundheitsreform dringend
erforderlich ist. Aber ich bezweifele sehr wohl, dass die ab dem
1.1.2004 regelmäßig über uns hereinbrechenden Gesundheitsgesetze den
Namen "Reform" verdienen. Ich kann nicht erkennen, dass es eine
Reform sein soll, wenn man dem Kranken zusätzlich zu vielen anderen
Belastungen und zusätzlich zu seinen ja oft bereits seit Jahrzehnten
gezahlten Krankenkassenbeiträgen eine sogenannte Praxisgebühr von 10
Euro abnimmt.
Aber selbst wenn ich diese Zuzahlung zum Wohle der jeweiligen
Krankenkasse als zumutbare Belastung akzeptieren könnte: Wie
dilettantisch, wie mittelalterlich, wie unprofessionell ist die
gesetzliche Ausgestaltung! Die Erhebung dieser Gebühr als Barzahlung in
der Anmeldung einer Arztpraxis bringt eine Verdoppelung bis
Verdreifachung des bislang betriebenen Verwaltungsaufwandes.
An der FH Köln hat eine Studiengruppe gerade berechnet, dass die
Kassierung, Quittierung, Mahnung und Verwaltung der 10 Euro die
betroffene Arztpraxis bis zu 2,59 Euro pro Fall und Quartal kostet. Die
kassenärztliche Bundesvereinigung rechnet mit einem Verwaltungsaufwand
von zusätzlichen 80 Millionen Euro pro Jahr für die Arztpraxen. Die
Kosten für die Notfall- und Krankenhausambulanzen sind hier noch nicht
mit eingerechnet.
Überhaupt nicht berechnet sind auch die Zeitverluste für die Patienten:
Zu Beginn des Quartals haben sich Patientenschlangen von der Anmeldung
bis auf die Straße gestaut. Ein Bild, wie wir es nur aus alten DDR-Tagen
kennen, jetzt aber wohl jedes Quartal von neuem erleben dürfen. Da
verwundert es schon, dass das uns allen übergestülpte Gesundheitsgesetz
(GMG) die Bezeichnung "Modernisierungsgesetz" erhalten hat.
Doch die jeweiligen Gesundheitspolitiker können sich auf uns deutsche
Ärzte verlassen: Wir wurden zwar bei den Reformberatungen auch diesmal
wieder nicht angehört, haben aber bisher noch jeden gesetzlich
verordneten Schwachsinn halbwegs praktikabel umgesetzt. Wir Ärzte sind
Meister des vorauseilenden Gehorsams, schließlich war unser Beruf nach
dem bisherigen Selbstverständnis vieler meiner Kollegen Berufung, Hobby
und Familienersatz in einem.
Jedes der immer neuen Gesundheitsgesetze aber hat die ärztliche
Tätigkeit zunehmend erschwert und zu unproduktiver Mehrarbeit der
Assistentinnen geführt; doch Widerstand, gar Streik gab es nie. Nur: was
bleibt nicht alles auf der Strecke durch immer schlimmere bürokratische
Auflagen! Zunehmender Frust von Ärzten und Praxispersonal wird die
Flucht aus der Kassenmedizin beschleunigen (Stichwort: IGeL =
Individuelle Gesundheits-Leistungen = Selbstzahlerleistungen).
Zuwendung, Idealismus und Ethos werden abgewürgt. Der Patient wird zum
Kunden. Die Arztpraxis wird zum Betrieb. Die Gesundheit wird zur Ware.
Diese Ware Gesundheit wird dann an der Krankenkasse vorbei nach
betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten privat verkauft - wie jede
andere Ware auch. Aber davon vielleicht demnächst an dieser Stelle
mehr...
Nun halte ich es für unabdingbar, dass der, der kritisiert auch
Verbesserungsvorschläge parat hat. Also hier meine Vorschläge für eine
dringend erforderliche Gesetzesänderung, für eine wirkliche
Gesundheitsreform:
Der bislang beschrittene Weg, die Finanzierung unseres
Gesundheitssystemes durch immer neue Belastungen der Kranken
sicherzustellen wird wegen Untauglichkeit endgültig aufgegeben. Selbst
die Krankenkassen glauben nicht mehr an niedrigere Versicherungsbeiträge
durch Patientenmaut, Apothekenstrafzoll und andere Raubrittermethoden.
Stattdessen muß der Verwaltungsapparat der viel zu vielen Krankenkassen
heruntergefahren werden. Besondere Risiken (Sport, Reisen etc.) müssen
extra versichert werden. Gesundheitsschäden durch Nikotin und Alkohol
müssen durch Preisaufschläge auf diese Produkte komplett gegenfinanziert
werden. Eigeninitiativen zur Gesundheitsvorsorge müssen belohnt werden.
Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen müssen ausgebaut werden.
Gesundheitserziehung muß ein Schulfach werden. Ambulante und stationäre
Behandlungen müssen besser miteinander verzahnt werden. Vielleicht
müssen letztlich auch noch bestimmte Leistungen aus dem Katalog der
Krankenkassen gestrichen werden. Nicht alles, was mit einem kranken
Menschen medizinisch angestellt werden kann ist auch notwendig und
vernünftig. Hier wäre einmal eine interdisziplinär besetzte
Ethikkommission gefragt. Insgesamt ließen sich jedenfalls Milliarden
einsparen.
Dafür wird das primitive quartalsweise Abkassieren der 10 Euro durch den
Arzt abgeschafft. Stattdessen werden alle Behandlungen eines Patienten
von der Krankenkasse jährlich einmal elektronisch zusammengefasst. Dies
wäre ein Vorgang, der computerautomatisiert und damit nahezu
kostenneutral ablaufen könnte, zumal die Ärzte den Kassen alle Daten
bereits heute elektronisch aufbereitet liefern. Das Programm kann dann
sinnvolle Zuzahlungen gegen vom Versicherten erbrachte Bonuspunkte und
Eigenleistungen verrechnen. Bonuspunkte gäbe es z.B. bei Teilnahme an
Hausarztmodellen, Kursen, Vorsorgen, Schulungen etc. Die Krankenkasse
schickt jedem Mitglied letztlich jährlich einmal (wie das E-Werk oder
Wasserwerk) eine Jahresabrechnung samt einer genauen Auflistung aller
von Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken, Physiotherapeuten etc.
abgerechneter Leistungen. Das wäre Transparenz pur, einfach
nachvollziehbar, nachkontrollierbar, eigeninitiativenfördernd und
verwaltungskostenschonend. Und die Arztpraxen könnten sich endlich
wieder mit Gesundheit und Medizin befassen und wären nicht mehr gegen
ihren Willen gesetzlich zum Inkassounternehmen der Krankenkassen
verurteilt.
Ein Wunschtraum? Vielleicht?! Vielleicht bin ich auch zu sehr Idealist
und zu wenig Realist? Entscheiden Sie selbst! Wenn Sie aber meinen, es
solle sich etwas ändern, dann treten Sie an Ihre Bundestagsabgeordneten
und an die Ministerin Ulla Schmidt heran und äußern Ihre Vorschläge und
Wünsche. Schließlich leben wir in einer Demokratie. Oder?
Dr. med. Franz von Seboca