Herbie Hancock : River - The Joni Letters
Herbie Hancock, mittlerweile 67 Jahre alt und seit 50 Jahren als
Jazz-Pianist aktiv, davon ab 1963 auch 5 Jahre in der Band von Miles
Davis, widmet dieses Tribute-Album der legendären Joni Mitchell. Die
begnadete kanadische Singer/Songwriterin ist selbst bereits seit Jahren
eine absolute unverwechselbare Berühmtheit und Kultikone.
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Herbie Hancock: "River - The Joni Letters"
Joni Mitchel hat in ihren Kompositionen schon immer versucht, die
Grenzen von Folk, Blues und Jazz zu sprengen. Als sie 1978/79 das
Tribute-Album "Mingus" zu Ehren des Jazzers Charles Mingus (der
starb noch vor der Veröffentlichung) aufnahm, lernte sie im Studio
Herbie Hancock kennen. Seit dieser Zeit sind die beiden befreundet.
Hancock begleitete Joni Mitchell auf ihren Alben "Both sides
now" (2000) und "Travelogue" (2002).
Auf "River - The Joni Letters" präsentiert er nun - mal mit
Gesang, mal rein instrumental - eine Kollektion von Songs, die Joni
Mitchell entweder selbst komponiert hat oder die sie bei ihrer
kompositorischen Arbeit beeinflusst haben.
Hancock konnte als Produzenten Larry Klein, Joni Mitchells langjährigen
Partner gewinnen. Klein und er haben Songs ausgewählt, die sowohl der
Poetin, als auch der Komponistin Mitchell gerecht werden sollten. Dann
stellten sie aus einigen der besten Jazzmusiker der Welt eine
All-Star-Band zusammen. Der unvergleichliche Sopran- und
Tenorsaxophonist Wayne Shorter, der seit den Aufnahmen von
"Mingus" ständiger Gast auf Mitchells Alben gewesen ist, war
natürlich erste Wahl. So wie der Schlagzeuger Vinnie Colaiuta, der
ebenfalls ein langjähriger musikalischer Begleiter der Sängerin war und
- im Wechsel mit Terri Lyne Carrington - Mitglied von Hancocks aktueller
Band ist. Komplettiert wurde das absolut hochkarätige Quintett durch den
brillanten Bassisten Dave Holland, der einst mit Hancock und Shorter
Teil der Miles Davis Group war, und den aus dem Benin stammenden
Gitarristen Lionel Loueke, der momentan auch Hancocks Band angehört und
gerade einen Plattenvertrag von Blue Note erhielt.
Für die Vokalparts konnten hochkarätige Sänger/Sängerinnen gewonnen
werden: Joni Mitchell höchstpersönlich trägt ihre autobiographischen
Kindheitserfahrungen auf "The Tea Leaf Prophecy" vor, Tina
Turner schafft aus der wunderbaren Prosa von "Edith And The
Kingpin" einen zeitlosen, gar nicht rockröhrigen Song, Norah Jones
singt den wehmütigen Klassiker "Court And Spark", die junge
britische Soul-Hoffnung Corinne Bailey Rae verwandelt das traurige
Weihnachtslied "River" in ein unschuldiges und optimistisches
Stück von bittersüßer Romantik, die Brasilianerin Luciana Souza leiht
"Amelia" ihre an die junge Mitchell erinnernde Stimme und
Leonard Cohen rezitiert, nur vom improvisierenden Hancock am Flügel
begleitet, die brillanten und surrealistischen Lyrics von "The
Jungle Line".
8 der 10 Stücke sind von Joni Mitchell. Die beiden weiteren
Instrumentaltitel haben die Sängerin seit Jahren inspiriert: Wayne
Shorters Komposition "Nefertiti", ein Klassiker aus Hancocks
gemeinsamer Zeit mit dem Saxofonisten im Miles-Davis-Quintett der
sechziger Jahre und Duke Ellingtons melancholischer Standard
"Solitude".
Meine Bilanz fällt zwiespältig aus. Ich verkenne nicht die Genialität
der beteiligten Musiker, aber es darf die Frage erlaubt sein, ob das
Konzept aufgeht. Die Platte hat wunderbare Momente, ist sehr
zurückgenommen, angenehm balladenhaft langsam und stellenweise durchaus
reizvoll. Vielleicht aber fehlt etwas die Spannung, von der ein
"echtes" Joni Mitchel-Werk lebt? Vielleicht ist es auch ohnehin
undankbar, Joni Mitchell zu covern? Joni Mitchell hat ihre Songs erlebt
und gelebt. Da ist viel autobiografisches Material verarbeitet worden;
kann das jemand anderes überhaupt authentisch "rüberbringen"?
Oder bin ich nur zu wenig "jazzerfahren" und zu sehr auf Joni
Mitchells Originalsongs fixiert? Ich denke, Herbie Hancocks neueste
Produktion wird polarisieren. Wie dem auch sei, dem geneigten
Musikfreund wird empfohlen, die Platte vor dem Kauf anzuhören.
PS:Ich erfahre gerade, dass das vor einigen Wochen von mir oben
besprochene Werk von Herbie Hancock einen Grammy bekommen hat. Da muss
ich wohl ehrfürchtig und ganz still sein ...
Herbie Hancock im Internet: www.herbiehancock.com
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