Sex Pistols - Never Mind The Bollocks
Sicher kein audiophiles oder gar musikalisches Juwel - ist dieses
einzige Studioalbum der neben "The Clash" bekanntesten
englischen Punkband aber doch eine Auseinandersetzung wert. Wobei der
Senkrechtstart dieser Gruppe wie die Geburt der gesamten Punkbewegung
nur aus dem historischen Zusammenhang zu begreifen ist.
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Natürlich hatten auch die "Sex Pistols" Wurzeln und Vorbilder.
Ihr Gründer, Malcolm McLaren war zuvor Manager der US-Proto-Punker
"New York Dolls".
Die Band wollte provozieren, schockieren, ja nach eigenen Worten sogar
Chaos schaffen. Allerdings nicht als Selbstzweck, sondern um auf das von
ihr wahrgenommene hoffnungslose unsoziale Alltagschaos der damaligen
englischen Gesellschaft hinzuweisen. Am meisten Aufmerksamkeit konnte
man erregen, wenn man anarchische Schmähgesänge gegen die
"Royals" verbreitete, uns das taten die Pistols sogleich mit
einer ihrer ersten Singles: "God save the queen / her fascist
regime".
Zwar wurden ihre wütenden und rotzigen Songs von Radiostationen
unterdrückt, die ersten Tracks von den etablierten Labels wieder
eingestampft oder in den Läden nur unter der Theke verkauft,
Plattenverträge wurden gekündigt, aber verhaftet wurden Johnny Rotten
(alias Lydon), Steve Jones, Glen Matlock und Paul Cook nicht – anders
als die russischen Sängerinnen von "Pussy Riot". Nun ist Putin
ja auch mächtiger und vor allem eitler als Queen Elisabeth II. Und das
damalige England trotz allem demokratischer als das heutige Russland.
Musikalisch entzieht sich dieses Werk jeder Beurteilung, die Musik ist
nur Mittel zum Zweck. Ein Punker benötigte nur 3 Akkorde und eine
schrille Stimme. Mehr wäre schädlich. Wichtig waren die aggressiven
textlichen Angriffe auf das verhasste Establishment. Wobei aber auch
hinter der Gruppe ein institutionelles Management (Malcolm McLaren)
stand und die Fäden zog, vielleicht also waren auch die Pistols nur
"gemacht", nur Marionetten.
Wie dem auch sei und ob man Punk nun gut findet oder nicht, aber der
Einfluss auf nachfolgende Formationen, vor allem durch Einreißen von
Tabus war jedenfalls eklatant. Hier sind Türen mehr als nur einen Spalt
breit geöffnet worden. Eher könnte man davon sprechen, dass
Schleusentore aufgebrochen wurden. Vor allem brauchte es künftig
offensichtlich keinerlei Können mehr, um eine Platte zu produzieren.
Oft entlässt die Revolution ihre Kinder. Manchmal aber assimiliert die
Gesellschaft die Revolutionäre - auch eine Methode der
"Unschädlichmachung". So wurden die (nach einem Split 1996
wieder vereinigten) Sex Pistols 2006 gegen ihren ausdrücklichen Willen
und in demonstrativ boykottierender Abwesenheit offiziell in die Rock
and Roll Hall of Fame aufgenommen. Gegen Kritik kann man sich wehren.
Gegen Lob ist man machtlos.
Wer die Scheibe noch nicht hat und unbedingt kaufen will, steht vor
einem wirklichen Problem: Soll er die alte Produktion mit dem
Garagensound wählen oder das auf Hochglanz polierte Remastering. Die
Antwort der Pistols wüsste ich …
Anspieltips: Holidays in the sun, Bodies, God save the Queen, Anarchy in
the U.K.