Sven Kuntze - Altern wie eine Gentleman
Zwischen Müßiggang und Engagement; Bertelsmann
ISBN 978-3-570-10091-2
Ein Buch über das Altern! Ist das originell? Haben nicht schon die
Griechen und Römer dieses Thema abschließend behandelt? Und wollen wir
uns überhaupt mit diesem heiklen Sujet beschäftigen? Nun, das ist wohl
nicht so sehr eine Frage des "Wollens", sondern des
"Müssens". Sven Kuntze öffnet uns undogmatisch die Augen, ein
"Wegschauen" ist nach dieser Lektüre jedenfalls nicht mehr drin.
Dass er nicht der erste ist, der über das Problem des Älterwerdens
schreibt, ist Sven Kuntze durchaus bewusst. Aber er hat gute Gründe, das
Thema aus den Augen seiner Generation, die er die "Vierziger"
nennt, neu zu betrachten. Immerhin sind das zugleich auch die
"68er"! Eine Generation, die ohne Krieg im Wohlstand groß
geworden ist, gesellschaftliche Veränderungen und ein kritisches
Selbstbewusstsein auf ihre Fahnen geschrieben hat und dank dieser und
anderer Vorbedingungen gute Chancen besitzt, 100 Jahre alt zu werden.
Das heißt aber auch, dass nach der Eremitierung noch locker 30-40 Jahre
gestaltet werden müssen. Gestaltet von uns - noch gesunden - Alten
selbst, nachdem wir aus dem Beruf und damit einer gewissen
Fremdbestimmung ausgeschieden sind.
Auch ist unsere Generation die erste mit einem gelebten
Beziehungsmosaik, voller Scheidungen, LAPs, pillenbedingten
Kleinstfamilien, homosexueller Gemeinschaften und Singles. Wo bleibt da
im Alter der Familienrückhalt!
Das alles hat es "früher" so nicht gegeben und verlangt eine
neue Auseinandersetzung mit dem kommenden, manchmal drohenden,
hoffentlich aber auch gnadenvollen Seniorendasein. Einen Weg retour gibt
es jedenfalls nicht, der Rentner wird selbst von seinen Kollegen ganz
schnell vergessen. Sven Kuntze zitiert in diesem Zusammenhang eine wohl
sehr wahre Erkenntnis seiner Mutter: "Kehre nicht zurück: Du
störst".
Kuntze hat genau hingeschaut und der Verdrängung den Kampf angesagt. Er
hat sich bei seinesgleichen umgesehen, Altenheime besucht und sich
selbst dort probeweise einquartiert. Ohne das ja durchaus ernste Thema
zu unterschätzen, schreibt er mit einem ironischen, vor allem aber auch
selbstironischen Unterton. Der Leser schwankt zwischen Erbauung und
Entsetzen. Es ist lange her, dass ich mir aus einem Buch so viele
Bonmots herausgeschrieben habe.
Auch der Tod und damit der Übergang in irgendein Jenseits wird
thematisch nicht ausgespart. Sterbehilfe als letzter Akt der
Selbstbestimmung eines 68ers wird diskutiert. Und natürlich: Hilft
Religiosität? Das Angebot auf dem "Glaubensmarkt" ist
schließlich riesig. Antworten liefert Sven Kuntze nicht, aber er
versteckt auch nicht seine Selbstzweifel, die uns grübeln und weiter
denken lassen.
Zuvor gilt es allerdings ganz reale, ganz greifbare Aspekte des Alterns
anzupacken: Wie bleiben wir fit? Was ist mit Sex? Wie vermeiden wir eine
soziale Isolierung und Einsamkeit? Hilft ein Ehrenamt? Wie begegnen wir
dem ja unvermeidlichen körperlichen Verfall? Wie sichern wir nachhaltige
Kontakte zu Kindern und Enkeln. Schließlich brauchen wir sehr
wahrscheinlich eines Tages Hilfe beim Handling neuer
Kommunikations-Medien.
Ich empfehle Ihnen dieses Werk, falls Ihr Geburtsdatum inerhalb der
1940er Jahre liegt. Warum aber spricht mich das Buch eigentlich derart
an. Vielleicht, weil auch ich ein "Vierziger" und "68er"
bin? Oder sind Kuntzes Einsichten allgemeingültig? Lesen Sie doch
einfach selbst. Aber fragen Sie vor der Lektüre lieber Ihren Arzt oder
Apotheker …