Reinhard Mey: Was ich noch zu sagen hätte
Verlag Lübbe,
ISBN 13 978-3-404-61610-7
Eine Autobiographie in Interviewform? Zunächst habe ich mich gefragt,
warum ein solch wortgewandter Mensch wie Reinhard Mey sein Leben nicht
ganz eigenständig selbst aufschreibt, sondern sich stattdessen zu den
einzelnen Stationen von Bernd Schröder, einem Schriftsteller befragen
lässt.
Nach der Lektüre des Buches, das übrigens während eines Sabbat-Jahres,
also eines Jahres ohne Tournee- und Auftritts-Verpflichtungen entstanden
ist, ahne ich die Antwort. Aber lesen Sie selbst:
Reinhard Mey hätte von sich aus wohl überhaupt keine Autobiographie
geschrieben, dafür ist er nicht eitel genug, nimmt sich selbst zu wenig
wichtig und hätte wohl auch die Zeit für solch ein Projekt nicht opfern
wollen. Und vielleicht hätte er auch das Gefühl gehabt, in seinen
Liedern schon alles über sich gesagt zu haben. Die vorliegende
Autobiographie zitiert folgerichtig zahlreiche Liedtexte, welche die
dargestellten Lebensphasen wahrscheinlich besser als irgendein Kommentar
beleuchten.
Meys Interview-Partner, Bernd Schröder, versteht es aber trotzdem
meisterhaft, zusätzlich ergänzende Details heraus zu fragen, Details,
die Reinhard Mey vielleicht selbst nie niedergeschrieben hätte. Wir
erfahren, welche ihm zugedachten Preise er nicht angenommen hat, welche
Hilfsorganisationen er unterstützt, warum er keine Werbung macht, welche
Gründe ihn als religiösen Menschen zum Kirchenaustritt bewogen haben,
wie er zum Geld steht und warum er Vegetarier ist. An diesen und vielen
anderen durch Nachfragen herausgearbeiteten Wesenszügen wird die feste
innere Haltung des Menschen Mey deutlich.
Natürlich wird auch die großartige Karriere in Frankreich und Holland
beleuchtet, die Anfänge in den Berliner Szenekneipen, die ersten großen
Erfolge auf der Burg Waldeck und die Freundschaften zu den alten
Weggefährten der Liedermacherbewegung (manche leben schon gar nicht
mehr). Auch der Flieger und Skipper Mey wird ausführlich vorgestellt.
Zeitgeschichtlich interessant, wie Reinhard Mey 1989 bei den Proben zu
einem Konzert in Dresden ("ich würde gern einmal in Dresden
singen", 1982) vom Mauerfall überrascht wurde und dann schließlich
auch entgegen der ursprünglichen Zensur Lieder singen konnte, in denen
das Wort "Freiheit" vorkommt.
Das Stilmittel der "interviewgestützten" Autobiographie
gestattet es, auch Freunde, z.B. Klaus Hoffmann, aber auch Bernd
Schröder selbst, Meys Ehefrau Hella und zwei seiner drei Kinder zu Wort
kommen zu lassen (der älteste Sohn war als Zimmermannsgeselle gerade auf
Wanderschaft). Wir erhalten so wichtige zusätzliche Einblicke in den
Menschen Reinhard Mey, für den Familie und Freundschaft seit jeher ein
zentrales Anliegen sind.
Insgesamt ein unbedingt lesenswertes Buch, das auch dem eingefleischten
(pardon, Reinhard, für diesen Ausdruck!) Mey-Liebhaber noch viel Neues
bringt und dem großartigen Liedermacher (schon zu Lebzeiten!) ein
weiteres Denkmal setzt. Obschon das nicht wirklich nötig gewesen wäre,
die unsterblichen Lieder werden auch in Generationen noch für sich
selbst sprechen und uns alle locker überleben.