Oscar Peterson: Meine Jazz-Odyssee

O.P. Autobiographie

Hannibal, ISBN: 3-85445-234-9

Die 2002 herausgegebene und erstmals 2003 in deutsch erschienene Autobiografie des Jazz- und Swingpianisten Oscar Peterson ist ein äußerst lesenswertes Buch. Man muß kein Jazz-Experte sein, um das Werk zu genießen, aber man sollte schon einige Grundbegriffe kennen. Denn interessanterweise spiegelt Oscar Peterson sein eigenes Leben in Geschichten, die sich um Freunde und vor allem Musikerkollegen ranken.

Die Namen der berühmten Musiker, mit denen er zusammengespielt hat, lesen sich wie ein ziemlich komplettes "Who is who" der amerikanischen Jazz-Szene: Billie Holiday, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Dizzy Gillespie, Roy Eldridge, Lester Young, Ben Webster, Lionel Hampton, Carmen McRae, Count Basie, Charlie Parker, Quincy Jones, Nat King Cole, Stan Getz, Coleman Hawkins, Clark Terry und Freddie Hubbard. Und hier sind die Mitglieder seiner eigenen verschiedenen Trios und Quartette noch gar nicht einmal mit genannt. Mit manch anderen Berühmtheiten hat Peterson zwar nicht zusammen musiziert, er hat sie aber getroffen und widmet ihnen eigene Kapitel. Hier sind z.B. zu nennen seine Vorbilder Art Tatum und Erroll Garner.

Zur westindischen Herkunft seiner Familie, zur Einwanderung in Kanada und zu seinen Jugendjahren in Montreal erfahren wir alles Wichtige kurz und knapp zu Beginn. Zu seinen 4 Ehen und seinen schweren Erkrankungen reichen ihm einige knappe Seiten am Schluss, bezeichnet als "Persönliche Notizen". Hier und auch an anderen Stellen im Buch wird deutlich, zu welcher fast unheimlichen Selbstdisziplin der Künstler fähig war.

Oscar Peterson stellt sich niemals in den Mittelpunkt, obwohl das bei einer "Autobiografie" ja nicht gerade unüblich oder gar verwerflich wäre. So handelt er den 1997 erhaltenen "Grammy für das Lebenswerk" fast nebenbei im Kapitel über seinen Freund und Manager Norman Granz ab und widmet diese Trophäe damit diesem für ihn (nach seinen Eltern) bedeutsamsten Menschen.

Die Verleihung des Ordens von Kanada 1972 bezeichnet er zwar als seine wichtigste Ehrung, macht aber darum und ebenso um die Verleihung des begehrten Glen-Gould-Preises 1993 keine großen Worte, sondern widmet die eine Auszeichnungen seinen Eltern und die andere seinem Klassik-Klavierlehrer Paul de Marky. Wenn man die Hintergründe der Glen-Gould-Preisverleihung mit dem sich zu diesem Zeitpunkt schon abzeichnenden und ihn bereits im Klavierspiel beeinträchtigenden Schlaganfall kennt, ist es schon erstaunlich, dass Peterson zur Beschreibung keine halbe Seite benötigt.

Das war`s dann auch schon mit den persönlichen autobiografischen Notizen. Der überwiegende Teil des Buches charakterisiert verschiedenste Menschen, darunter seinen Freund und Manager Norman Granz, diverse Konzertveranstalter, gute Bekannte, das Publikum und vor allem seine unzähligen Musikerkollegen, mit denen er zusammen gespielt oder die er getroffen hat. Man erfährt unheimlich viele Details aus dem Leben zahlreicher berühmter Jazzer der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei beschreibt Peterson seine Mitmenschen und Kollegen mit Zuneigung, aber auch mit viel Humor und Witz. Wunderbar die Insider-Stories aus dem Tournee-Bus, vor allem, wenn wieder einmal etwas schief gelaufen war.

Erschreckend, wie viele seiner Kollegen unter Alkohol- und Drogensucht litten und wie vielen von ihnen diese Sucht letztlich das Leben gekostet hat. Peterson liefert hier einige sehr beklemmende Details.

Natürlich geht es auch um Klaviere verschiedenster Hersteller, bis Peterson anlässlich eines Konzertes in Wien mit der Firma Bösendorfer in Kontakt kommt. Dort entscheidet er sich für den großen "Imperial" und bleibt diesem Instrument bis zu seinem Tode treu. Einst auf Anregung des Komponisten Ferruccio Busoni konstruiert, verfügt der Imperial über 97 Tasten, also über acht volle Oktaven! Damit hat er gegenüber herkömmlichen Flügeln 9 zusätzliche Tasten im Bassbereich und reicht somit bis zum Subkontra C hinunter.

Immer wieder berühren seine Schilderungen aber auch eines der finstersten Kapitel des Nordamerikanischen Kontinents, nämlich den Rassismus und insbesondere die Diskriminierung der Schwarzen. Das Problem war vielleicht in Kanada nicht ganz so extrem ausgeprägt wie in den USA, aber auch in seinem Heimatland weigert sich ein Friseur, ihm als Schwarzem die Haare zu schneiden, er wird zu Veranstaltungen in Hotels nicht eingelassen und seine Tochter wird bei der Einschulung von einem weißen Mädchen angespuckt.

Es ist bemerkenswert, dass Oscar Peterson dennoch nicht selbst mit Hass antwortet, sondern sich zeitlebens für ein friedliches Miteinander von Menschen verschiedener Hautfarben und Religionen ausspricht. So gibt es in seinem Buch ein Kapitel mit dem Titel "Gedanken zur Politik". Man spürt, dass ihm seine dort niedergeschriebenen Vorstellungen sehr wichtig sind. Peterson ist Humanist und Menschenfreund.

Natürlich nehmen auch seine verschiedenen Trio- und Quartettformationen einen großen Raum ein. Hier insbesondere die Trios mit dem Bassisten Ray Brown und den Gitarristen Barney Kessel sowie später Herb Ellis, das vielleicht berühmteste Trio mit Ray Brown und dem Schlagzeuger Ed Thigpen, das Trio mit Sam Jones und Bobby Durham und später die Quartettformation mit dem Bassisten Niels-Henning Orsted Pedersen, dem Schlagzeuger Martin Drew und dem Gitarristen Ulf Wakenius. Auch die Duokonzerte mit Joe Pass werden ausführlich beschrieben.

Das Buch ist nicht zuletzt auch sehr gut als Nachschlagwerk geeignet, alle wichtigen Ereignisse und fast alle seine Jazz-Kollegen sind im umfangreichen Inhaltsverzeichnis unter eigenen Unterkapiteln gelistet und damit schnell wiederzufinden. Auch gibt es gleich zwei recht praktische Register, eines davon beinhaltet ausschließlich Namen von Menschen, die in Oscar Petersons Leben eine Rolle gespielt haben. Einigen seiner Kollegen und Freunde widmet Peterson kleine, aber sehr anspruchsvolle Gedichte als Zeichen seines Respektes und seiner Zuneigung.

Als Oscar Peterson am 23. Dezember 2007 mit 82 Jahren stirbt, verliert die Welt den größten Swing-Pianisten aller Zeiten. Peterson steht auf einer Stufe mit Berühmtheiten wie Louis Armstrong und Ella Fitzgerald.

Wir können diese wunderbare Autobiografie nur wärmstens empfehlen. Und zwar eigentlich jedem Menschen, insbesondere aber Freunden des Jazz und speziell Freunden der Musik Oscar Petersons.

Eine sehr gute Ergänzung zu Oscar Petersons Autobiographie ist die Biografie von Gene Lees mit dem Titel: "Oscar Peterson - The will to swing", die wir weiter oben rezensiert haben.

Wollen Sie mehr über Oscar Peterson wissen? Vielleicht suchen Sie auch einen musikalischen Einstieg? Dann empfehlen wir Ihnen unseren Artikel über die "Exclusively for my friends"-Einspielungen. Mit einem Klick auf folgenden Link kommen Sie auf unsere diesbezügliche Seite: