Han Shan: Wer loslässt hat zwei Hände frei
Mein Weg vom Manager zum Mönch
Bastei Lübbe
ISBN 978-3-404-60204-9
Der Autor gliedert sein autobiografisches Werk in die Kapitel
"Unternehmer", "Überlebender" und "Mönch". Er
verzichtet – bewusst oder unbewusst – seinem gerade erst ein weiteres
Mal geändertem augenblicklichem Lebensstatus eine eigene Überschrift zu
geben. Und diese ganz erstaunliche (bisher!) letzte Wendung sei auch
hier nicht vorweggenommen.
Der Kontext des nachdenklich machenden Buches ist schnell berichtet: Der
deutsche Ingenieur Hermann Ricker übernimmt mit 23 Jahren eine
Managerposition in Singapur, assimiliert im Denken und Tun asiatisches
und vor allem buddhistisches Gedankengut und ist nicht zuletzt dadurch
äußerst erfolgreich. Er macht sich schließlich selbstständig und baut
ein weltweit operierendes Firmenimperium auf.
Auch dabei helfen ihm wiederum die Verschmelzung asiatischer und
europäischer Tugenden und vor allem seine an ethischen Grundsätzen
ausgerichtete Geschäftspolitik.
Dann aber kommt es zu einem schrecklichen Autounfall mit einer
"Beinahe-Todeserfahrung". Dieses Erlebnis wirft die Frage nach
dem Sinn des Lebens auf und zwingt den Autor zu einer grundsätzlichen
Beurteilung seines bisherigen Tuns. Herman Rickert entscheidet sich,
noch einmal ganz von vorn anzufangen, lässt gründlich los, verschenkt
seinen gesamten Besitz und wird buddhistischer Bettelmönch in Thailand.
Wie einst Buddha selbst wählt er ein zweijähriges Eremitendasein auf
einer unbewohnten Insel und dringt mit Hilfe der Meditation tief hinein
in sein eigenes Ich. Er wählt also bewusst keinen "Lehrer", was
für einen Novizen normal gewesen wäre, nimmt somit keine vorgedachte
Lehre an, sondern entwickelt seinen eigenen inneren Kosmos. Erst danach
schließt er sich einer Gruppe von Waldmönchen an, um zusätzlich in die
Welt buddhistischer Traditionen einzudringen. Mit diesem Rüstzeug
gewappnet gründet er sein eigenes spirituelles Meditationszentrum, wobei
er ausschließlich auf Spenden zurückgreifen kann.
Eine seiner wichtigsten Kraftquellen beim "Praktizieren" sind
Energieflüsse, die er aus der Natur, der Begegnung mit anderen Menschen
und aus der Meditation in sich aufnimmt. Die gewonnene Kraft wird von
ihm in Form eines Energieflusses an andere weitergegeben.
Kurz nach seinem 10-jährigen Mönchsjubiläum mit Verleihung des Titels
"Master" lässt Rickert, nun Han Shan noch einmal los. Für manch
einen mag diese bisher letzte und hier nicht verratene Wendung
überraschend kommen, für mich war sie vorhersehbar.
Nun mögen Sie sagen: Was hat dieses Leben des Han Shan mit dem meinen zu
tun! Bin ich etwa Unternehmer, hatte ich ein
"Beinahe-Todeserlebnis", sollte auch ich Mönch werden oder
zumindest Eremit?
Nein, natürlich nicht! Das sind extreme Eckpunkte eines individuellen
Lebens. Aber bei allem, was wir auch machen, kommt doch immer wieder die
Frage nach dem Sinn unseres Tuns hoch. Und unerwartete Ereignisse, die
unsere Lebensroutine durcheinanderbringen, sind wohl jedem schon einmal
widerfahren. Genau diese Krisen aber geben uns auch immer wieder die
Chance einer Neuausrichtung unseres Denkens und Tuns. Wir müssen halt
nur den Mut finden, loszulassen.
Gedanken aus dem Buch:
"Dauerhaftes Glück können wir nur in uns selbst finden und
verankern. Wenn wir das wahre Glück in uns selbst realisiert haben, dann
haben wir es bei uns, wo immer wir auch sind und was immer wir auch tun.
Unser Wohlbefinden ist nicht mehr abhängig von äußeren Umständen und
Begebenheiten. Wir sind wahrhaftig frei".
"Wenn wir festhalten an dem, was wir besitzen oder zu sein glauben,
machen wir uns selbst zu einem Sklaven, der unaufhörlich damit
beschäftigt ist, den Strom der Vergänglichkeit aufzuhalten. Wir werden
zu einem Damm, der vergeblich versucht, das Wasser zu stauen, anstatt
uns fröhlich und glücklich von der Strömung des Flusses tragen zu
lassen."
"Wie oft halten wir an schwierigen Lebenssituationen fest, weil wir
Angst haben vor dem Ungewissen, vor dem Nicht-Wissen, was danach
kommt".
"Wenn wir uns etwas nicht vorstellen können, heißt es noch lange
nicht, dass es nicht möglich oder existent ist. Alles, was es heißt,
ist, dass unser limitierter menschlicher Verstand nicht in der Lage ist,
es sich vorzustellen".
"Nur wenn zwei Partner sich gegenseitig den Freiraum zugestehen,
sich zu finden, und dem jeweils anderen ihre förderlichen Energien zur
Verfügung stellen, kann eine Beziehung Bestand haben und Liebe sich
entfalten".
"Ich staune, über welches Potenzial wir Menschen verfügen, wenn das
Miteinander im Zentrum unseres Handelns steht".
"Schon früh war mir klar geworden, dass Mit-Leid keinem wirklich
helfen kann. Helfen kann man nur, wenn man selbst stark genug ist, um
das Mitgefühl auch zur Hilfe bei anderen anzuwenden. Wer mit-leidet,
begibt sich in die Energie des Leidens und kann im Grunde nur das Leid
weiterverbreiten".
"Wenn wir im Einklang sind mit der Natur und einen Platz finden, an
dem wir uns in sie zurückziehen können, dann ist Raum für die Sehnsucht,
zur Ruhe zu kommen, sich weiter zu entfalten. Ein Gefühl, das in der
lauten, hektischen Gegenwart so häufig übertönt wird, Und das doch uns
alle verbindet".
"Medizin, Operationen und Therapien können eine Krankheit vielleicht
ausradieren. Doch wahre Heilung geht zu dem Ursprung der Krankheit
zurück und ist damit ein energetischer Prozess, der in uns selbst
beginnt".
"Die Perle des Glücks, nach der wir alle suchen, liegt in jedem
Einzelnen von uns verborgen – auch wenn wir es nicht wissen. Wir haben
sie immer bei uns. Wir müssen es nur bei uns selbst zulassen, dass ihr
wahrer Glanz zum Vorschein kommt".