Mark Haddon - Supergute Tage
Die sonderbare Welt des Christopher Boone

Supergute Tage - Haddon

Verlag Goldmann
ISBN: 978-3-442-46093-9

Ich wette, solch ein Buch haben Sie noch nie gelesen. Dem Autor Mark Haddon gelingt es eindrucksvoll, das Alltagsleben des 15-jährigen autistischen Christopher Boone durch dessen eigene Wahr- nehmungen zu beschreiben. Aber da stocke ich schon, Alltagsleben? Schließlich geht es um Mord, und zwar um den schrecklichen Mistgabelmord an Wellington, dem Pudel der merkwürdigen Nachbarin Mrs. Shears.

Vorab aber sollten Sie noch folgendes wissen: Christophers ist "anders". Extrem mathematisch, physikalisch und ganz allgemein logisch begabt, besucht er wegen autistisch bedingter Leistungsstörungen dennoch eine Sonderschule. Berührend die einfühlsamen Gespräche mit seiner Lehrerin Siobhan, die ihm das Funktionieren der Gesellschaft erklärt.

Er hasst Menschenmengen, Unverlässlichkeit, Unordnung, Berührungen, Gerüche und bestimmte Farben. Vor allem aber hasst er Lügen. Und die entdeckt er in jedem zweiten Satz der ihn umgebenden Erwachsenen. Witze versteht er nicht, Intuition fehlt ihm, Gesten, Gesichtsausdrücke, Redewendungen, Tonfälle und vor allem alles Neue kann er nicht einschätzen; das macht ihn unsicher, gereizt und führt nicht selten zu Tobsuchtsanfällen. Manchmal gelingt es ihm, sich zu beruhigen und wieder Halt zu finden, indem er sich nahezu unlösbare mathematische Aufgaben stellt.

Eines der ganz außerordentlich fesselnden Elemente dieses Buches ist Christophers unverstellte Wahrnehmung seiner Außenwelt, vor allem also von uns ganz "normalen Erwachsenen". Er entlarvt schonungslos und vorurteilsfrei unsere Irrationalität, Eitelkeit, Grausamkeit, Unüberlegtheit und Oberflächlichkeit. Christophers Sicht der Dinge ist dabei rührend, oft ein bisschen komisch, gleich danach aber wieder traurig, ja tragisch und verzweifelt.

Ein liebevoll und kompetent gezeichnetes, manchmal aber auch beklemmendes Seelenportrait, das dem interessierten Leser Türen zum Verständnis einer ihm bisher verschlossenen Gefühlswelt, ja fremden und befremdeten Daseinsform öffnen kann.

Natürlich hat das Buch auch eine Story: Es wird Sie nach dem Vorhergesagten nicht mehr wundern, dass Christopher es nicht ertragen kann, den Mord an Wellington unaufgeklärt zu lassen und zu vergessen, vergisst er doch auch sonst nie etwas. Also beginnt er mit Ermittlungen, gestützt auf seine exakte Kenntnis der logischen Vorgehensweise von Sir Arthur Conan Doyles Meisterdetektiv Sherlock Holmes.

Er entdeckt, dass hinter dem Hundemord schwere, seine eigene Familie betreffende menschliche Abgründe stecken, wird mit den (gut gemeinten) Lügen seines Vaters nicht fertig, entdeckt, dass seine totgeglaubte Mutter doch noch lebt und begibt sich auf eine Art unfreiwilliger Flucht aus seiner bisherigen fest gefügten und ihm Schutz bietenden Welt. Natürlich kommt es dabei immer wieder zu Eskalationen und Katastrophen.

Das alles notiert er peinlich genau in einem Buch, illustriert es mit Zeichnungen und Formeln, will er doch einen Roman schreiben, der die Geschehnisse wahrheitsgemäß darstellt. Das Ergebnis von Christophers Aufzeichnungen halten Sie mit "Supergute Tage" in der Hand.