Konstantin Wecker: Die Kunst des Scheiterns
"Tausend unmögliche Wege, das Glück zu finden"
Piper, ISBN 978-3-492-04967-2
Weckers neuestes literarisches Werk "Die Kunst des Scheiterns"
aus dem Jahr 2007 ist ein Stück Autobiographie des Augenblicks, geht
aber fast nebenher und nicht ganz unbeabsichtigt weit darüber hinaus.
Wecker ist nicht nur einer unserer ganz großen Liedermacher, sondern
zugleich Poet, visionärer Seher, Zeitgeist-Kritiker und Philosoph.
Wer die Stationen seines Lebens noch nicht kennen sollte, erfährt hier –
ziemlich schonungslos – wie es zu den beiden Gefängnisaufenthalten kam,
welche Ziele er angestrebt und wieder verworfen hat, warum das gut
gehende Café Giesing und damit er selbst Konkurs machte und was er mit
dem Kokain, oder richtiger, was das Kokain mit ihm angestellt hat.
In den Kapiteln über den Tod von Vater und Mutter wird der Leser zu sehr
persönlichen Gedanken und zur Überprüfung der eigenen Haltung
hinsichtlich Leben und Sterben angeregt, Themen, die wir westlich
geprägten Menschen gern verdrängen. Die kurzen Passagen über seine
beiden Söhne ersetzen gleichzeitig manch dicken Wälzer über
Kindererziehung und lassen doch konsequenterweise auch viele Fragen
unbeantwortet. Sehr nachdenklich machen Weckers Begegnungen mit jungen
Menschen, die sich weitgehend kritiklos in der gefühlten
Wohlstandsgesellschaft eingerichtet haben. Querdenkertum scheint heute
nicht mehr angesagt zu sein, Aufbegehren schon gar nicht.
Weckers Buch ist nicht zuletzt ein Extrakt über die Suche nach dem Sinn
des Lebens. Wie viele Philosophen kann und will auch Wecker diese Frage
nicht beantworten. Die fernöstliche Weisheit "der Weg ist das
Ziel" mag manchem abgedroschen erscheinen, vielleicht stimmt sie
aber doch. Entsprechend kulminiert Weckers Lebensmotto in den beiden
Liedzeilen "Genug ist nicht genug" und "Es geht ums Tun und
nicht ums Siegen" (letztere aus dem Lied über die
Widerstandsbewegung "Weiße Rose").
Weckers Buch ist einerseits sehr persönlich, andererseits aber mutig und
kühn, sehr politisch und manchmal auch ketzerisch. Sollte er es nicht
zuletzt zum Zwecke einer Katharsis geschrieben haben, dürften wohl am
Ende doch nicht alle Selbstzweifel ausgeräumt gewesen sein – und da ist
Wecker dann wieder bei sich selbst.
Bemerkenswert erscheint, dass Wecker auch die Vertiefung in
buddhistische Meditation zwar geholfen, aber letztlich keinen
bleibenden Seelenfrieden beschert hat – dafür ist er wohl einfach zu
kritisch und vor allem zu selbstkritisch. Weckers Buch wird man immer
wieder zur Hand nehmen, ist es doch neben vielen klugen eigenen Gedanken
gespickt mit zahlreichen Hinweisen auf weiterführende Literatur und
Dutzenden von meist unbequemen Zitaten. Manche Zitate sollen wohl auch
irritieren, so die Zeilen von Gottfried Benn:
Das Krächzen der Raben ist auch ein Stück –
Dumm sein und Arbeit haben: das ist das Glück.
Notwendigerweise und glücklicherweise bleiben auch nach der Lektüre
dieses wertvollen Buches manche Fragen offen, z.B.:
- Hilft oder schadet eine kritische Grundhaltung?
- Bringt uns intelligentes Querdenkertum weiter oder bringt es uns um?
- Machen philosophische Utopien glücklich oder unglücklich?
- Verschafft uns die Suche nach dem Sinn des Lebens Ruhe oder stürzt sie uns in Unruhe?
- Ist politische Einmischung gut oder schlecht?
- Erleuchten oder verblenden uns spirituelle Selbsthinterfragungen?
- Und vor allem: Werden wir einst bei der großen Endabrechnung gesiegt oder verloren haben?
Konstantin Wecker würde auf diese Fragen wahrscheinlich antworten, nein,
halt, er hat ja schon geantwortet: "Es geht ums Tun und nicht ums
Siegen"