Katharina Münk: Die Insassen
dtv, ISBN 978-3-423-24752-8
Drei etwas "aus dem Ruder gelaufene" Top-Manager und eine
Borderline-Chefsekretärin aus Wirtschaft und Hochfinanz finden sich mehr
oder weniger freiwillig als Patienten in einer Irrenanstalt wieder und
gründen dort alsbald eine Initiativgruppe. Einziges Ziel dieser
verschwörerisch-verschworenen Gemeinschaft: die ihnen etwas verstaubt
und rückständig erscheinende psychiatrische Anstalt soll erstens auf
Vordermann und zweitens an die Börse gebracht werden.
Schließlich glaubt einer der vier fest, der Laden sei seine eigene Firma
und natürlich sei er der Boss.
Ein nicht ganz legal beschafftes Notebook (schließlich befindet man sich
auf der "offenen" Station und ist ja noch nicht
allgemeingefährlich) und ein bei der Einlieferung übersehenes Handy
liefern die Basis für die Geschäftskontakte zur nichts ahnenden
Außenwelt. Und siehe da, die einstige Reputation öffnet jede Tür und die
alten Connections funktionieren immer noch wie geschmiert.
Wie ein Lauffeuer spricht sich in höchsten internationalen
Wirtschaftskreisen die glänzende Geschäftsidee herum, ausgehend von St.
Ägidius ein länderübergreifend operierendes Netz psychiatrischer
Anstalten aufzuziehen - exklusiv zur Behandlung durchgeknallter
Topmanager. Die Erfolgs-Chance einer solchen Unternehmung leuchtet
gerade der Hochfinanz intuitiv ein. Und außerdem glauben die Herren in
den Nadelstreifen wie immer gern das, was sie ohnehin so gern glauben
wollen.
Einzig der Chefanalyst der federführenden Bank schöpft Verdacht und
recherchiert auf eigene Faust in der Anstalt. Als er den dortigen Ärzten
gegenüber äußert, einige der Insassen spielten offenbar Chef und wollten
die Klinik an der Geschäftsleitung vorbei an die Börse bringen, wird er
liebe- und verständnisvoll gleich als neuer Patient dabehalten. Der
Leser fragt sich spätestens an dieser Stelle, auf welcher Seite die
(noch) Gesunden und auf welcher Seite die (schon) Irren zu finden sind.
Wie war das doch gleich mit "Genie und Wahnsinn"? Die Grenzen
sind jedenfalls wie immer fließend.
Einer der vier Insassen aus der Initiativgruppe schwört, er bleibe
sicherheitshalber für immer in der Irrenanstalt, falls der Supercoup des
Börsenganges wirklich klappen sollte. Den Leser wundert es
wahrscheinlich schon lange nicht mehr: die Wahnsinnsidee funktioniert
tatsächlich, jedenfalls zunächst. Also entscheidet sich einer der vier
für den dauerhaften Schutz der Psychiatrie vor der Welt, die drei
anderen aber bekleiden nach Börsencrash, Auffliegen und Vertuschen des
Finanzskandals und letztlich abgeschlossener Rehabilitation bald wieder
hohe und höchste Ämter.
Ein lesenswertes, witziges und kundig geschriebenes Buch. Der Leser
versteht jetzt wenigstens nachträglich, wie es zur großen Finanzkrise
kommen konnte. Bleibt letztlich einzig die Frage: hat Katharina Münk
hier tatsächlich eine "Satire" geschrieben, wie die Kurzkritik
der "Hör Zu" meint, oder nicht eben doch eher eine recht präzise
Schilderung des ganz normalen und vor allem realen
Wirtschafts-Wahnsinns?
Natürlich musste die Autorin eine Lösung finden, wie die
Anstalts-Börsenseifenblase letztlich platzen sollte, und natürlich hat
sie die auch gefunden: Der Schwindel fliegt auf nach einer gezielten
Indiskretion eines der vier Beteiligten. Damit erscheint der Ausgang
schon wieder erschreckend real. Ich lade Sie als Leser aber ein, sich
einen eigenen Schluss der Geschichte auszudenken. In diesem Detail
steckt nämlich durchaus noch mehr spannendes und vergnügliches Potenzial
…