Jean Weselbach - Ein (Mani-)Fest der Poesie
Deutscher Lyrik Verlag (dlv)
ISBN 978-3-8422-4298-2
Weselbachs neues Werk ist betitelt "Ein (Mani-)Fest der Poesie"
und erscheint im Deutschen Lyrik Verlag. Der gänzlich unvorbereitete
Leser wird sich fragen: "Was denn nun? Manifest? Fest? Poesie?
Lyrik? Oder was?" Der aber mit Weselbachs Schaffen Vertraute wünscht
sich (und erwartet nachgerade) ein Manifest, dessen magische
Manifestation zum literarischen Freuden-Fest wird. Und das ohne
manifeste Manie.
Aber Poesie? Dieser Titelteil macht wirklich neugierig, zumal seine
Begrifflichkeit im Wandel der Zeit variiert und/oder mehr(be)deutig
Verwendung findet. Gar Lyrik? Ja, schreibt der Weselbach denn jetzt auch
Gedichte? Der ist doch eher ein Meister des intellektuell-geschliffenen
Wortspiels!
Ja, genau, aber eben auch ein Meister des spielerischen und dennoch
wahren, etwas bewirken wollenden Wortes. Womit wir der Poesie bereits
ganz nahe sind und zugreifen sollten. Hat dergestalt literarisches
Wirken doch zunehmend Seltenheitswert, was auch und nicht zuletzt an der
immer stärker schrumpfenden Zielgruppe liegen mag.
Man muss jedenfalls ein ganz spezielles Inneres Format haben, um diese
Art von Kunst artikulieren zu können - und zudem ein funktionierendes
Äußeres Format (z.B. in Form des vorliegenden Büchleins), um neben dem
ganzen Comedy-Quatsch und Medien-Müll wahrgenommen zu werden. Quoten
erfüllt man damit wohl dennoch nicht.
Auch unser ganz eigenes Format als Leser und Nutz-Ge-Nießer wird
gefordert. Das haben Sie natürlich längst erkannt.
Aber muss denn Poesie überhaupt intellektuell durchdrungen und damit
doch eher elitär sein? Oder darf sie - ganz romantisch - auch einmal
rein aus dem Gefühl kommen? Darf sie "schön" sein, oder ist sie
dann zu nahe am Kitsch? Was aber, wenn nun Poesie zugleich
gefühlvoll, schön und durchgeistigt ist? Vielleicht noch gewürzt
mit einer Prise augenzwinkernden Humors?
Was in solch einem Glücksfall in Ihnen und mit Ihnen geschieht, erfahren
Sie beim Lesen dieses wunderbaren Werkes. Dann sind auch Manifest und
Poesie plötzlich keine Gegensätze mehr, sondern sich wechselseitig
treibende Antipoden, wie wohl Weselbach in bester dialektischer
Auslegung sagen würde.
Der kleine Gedichtband folgt einem erkennbaren, allerdings gleitend
ineinander übergehenden thematischen Ablauf: Liebe (zumal als frisches
und damit erfrischendes Verliebt-Sein - sic!), philosophische Fragen
nach dem Sein an sich, dem Haben und dem "es", Auslotung von
Chancen und Gefahren gesellschaftlicher Wandlung und - teils etwas
wehmütig gefärbt - Betrachtungen zu Zeit, Freizeit und Vergänglichkeit.
Wenn`s erlaubt ist und gefällt, darf auch einmal die dialektische
Metaphysik eines Fußballspiels auf das entscheidende Endspiel des
wirklichen Lebens übertragen werden. Sie ahnen schon: Pressing und
Gegenpressing, Takt und Taktik, Offensive und Defensive, enge und weite
Räume, Zu- und Aufmachen, Tief- und Hochstapeln, Provozieren und
Einlullen, Verlieren und Gewinnen ...
Diese Spielerei ließe sich mit einem weinenden und einem lachenden Auge
beliebig lange fortsetzen. Aber schaun wir mal, ob zum Spiel auch Brot
gereicht wird.
Nicht jede Strophe reimt sich, aber keine erscheint ungereimt; nur muss
sich der geneigte Leser halt hin und wieder selbst (s)einen Reim drauf
machen. Das wird Sie hellwach halten, zumal auch die Rhythmik des
Versmaßes oft unvermittelt wechselt. Erwarten Sie also bitte keine das
Gemüt temperierende Gemütlichkeit. Viele Gedichte werden Sie vielleicht
sogar mehrmals lesen (wollen), um die versteckten Reize zu entdecken.
Andere Reize sind weniger verhüllt, liegen quasi auf der Hand. Etwa,
wenn Weselbach in seiner "Apotheose der femininen Anatomie" den
Busen streift und von "Spiel-Bällen ekstatischen Feuers",
"Vorwölbungen des Himmels" oder dem "Schönsten Symbol der
Bipolarität der Wirklichkeit" spricht.
Manche Gedichte tragen eine ganz leichte Bitternis in sich. In der
Karriere eines Bourgeois, der sich um "sein Eigen,
sein Sein gebracht" hat, heißt es:
Seine Weichen waren unausweichlich auf Pflicht gestellt.
Abweichen war ihm nicht möglich, er hatte schlicht zu funktionieren,
Konnte sein Leben nicht frei strukturieren,
Hat sich permanent angepasst
Und keinen Mut zu Kreativität gefasst.
Er war da, wo und wozu auch immer man ihn brauchte.
Ohne Frage, der Obrigkeit hat das perfekt gepasst.
Und immer wieder das tiefsinnige, aber eben auch genussvolle Spiel mit
Worten.
So im Ekstatischen Dasein:
Die Umstände haben ihre Umständlichkeit verloren.
Das Gemüt hat sich in Gemütlichkeit transferiert.
Der Verstand hat sich in Verständlichkeit hinein artikuliert.
Der Grund hat sich in Gründlichkeit hinein expliziert.
Manchmal zeigt Weselbach auf, wie es gehen könnte, wenn eben nicht ...
(hier müssen Sie sich Ihre ganz eigene Entschuldigung hindenken).
Unter diesem Aspekt würde das nachfolgende Gedicht zwanglos seinen Platz
in jedem der imaginären Buch-Unterkapitel finden, ist es doch thematisch
allumfassend. Für mich ist es gleichermaßen Liebesgedicht wie auch
aktivierender Leitfaden (und eben nicht fad-passives Leidfädchen) des
couragiert-aufrechten Ganges. Warum auch sollten in der jeweils
angemessenen emo-ra-tionalen Herangehensweise fundamentale Unterschiede
bestehen! Aber lassen wir doch das Gedicht selbst sprechen:
Ich - Du - Es:
Antiphon des rechten Ganges
Es geht - es geht nicht.
Ich gehe.
Es geht mich an.
Ich gehe es an.
Es geht auf.
Ich gehe auf.
Es geht.
Ich gehe.
Ich gehe auf dich zu.
Du gehst auf mich ein.
Ich gehe auf in dir.
Weselbach regt an, nachzuempfinden, wie "Einfühlung zur
Einsfühlung" wird und lässt uns erschaudern, weil sich wieder einmal
"die Nacht nicht vertagt" hat. Er will, wie im Vorwort
dargelegt, "Emotionales und Rationales in Beziehung setzen" und
uns so - fein nuanciert - gleichermaßen ein Wohlgefühl geben, als auch
zum Weiterdenken verführen.
Genau das ist Weselbach mit diesem Gedichtband einmal mehr gelungen.