Johannes Burkhardt - Der Krieg der Kriege

Der Krieg der Kriege

ISBN 978-3-608-96176-8
Sie wissen "alles" über den Dreißig-jährigen Krieg? Über den Aufstand der protestantischen böhmischen Stände und den eher theatralischen Prager Fenstersturz? Über die agierenden und reagierenden Großmächte, die oesterreichischen und spanischen Habsburger, die Franzosen und die Schweden? Über die vorrangig involvierten Kurfürstentümer Sachsen, Bayern und Rheinpfalz? Über die Interessen der Engländer, Dänen und Niederländer? Sie sehen den "Krieg der Kriege" noch immer als Religionskrieg? Wollen vor allem nicht schon wieder eine Aneinanderreihung der Gräueltaten lesen, unter denen die Zivilbevölkerug jahrzehntelang so schrecklich gelitten hat. Doch die Frage nach dem "warum" dieses Krieges scheint Ihnen immer noch unbeantwortet? Dann ist dieses Buch genau für Sie geschrieben worden.

Neben dem ersten und zweiten Weltkrieg, deren Geschichte in Deutschland aktiv wachgehalten wird, würden die meisten Zeitgenossen bei der Frage nach anderen großen Schlachten auf deutschem Boden wohl zu allererst den Dreißigjährigen Krieg nennen, noch weit vor den napoleonischen Feldzügen. Das liegt neben der Länge des Krieges wohl vor allem an den verheerenden (sic!) Gräueltaten, die der Bevölkerung gleichermaßen von feindlichen und befreundeten Heeren angetan wurden und denen nahezu die Hälfte der Deutschen zum Opfer fiel - und zudem die Hälfte aller Häuser und Gebäude. Das mehrfach heimgesuchte und letztlich völlig zerstörte Magdeburg steht exemplarisch für die Kriegsfolgen.

Letztlich aber dürfte vielen trotz dutzender Schriften über den Dreißigjährigen Krieg nach wie vor unklar sein, worum es bei den Feldzügen wirklich ging, zumal manche Beteiligten (wie z.B. Sachsen) ungeachtet ihrer konfessionellen Prägung mehrfach die Seite wechselten. Auch Historiker wie Johannes Burkhardt hat die Frage nach dem "warum" nicht ruhen lassen und zu neuen Forschungen veranlasst. Deren in aller Kürze auf den Punkt gebrachtes Ergebnis liegt nun mit diesem Buch vor.

Burkhardt legt bei seinen Betrachtungen das Gewicht nicht auf die einzelnen "Unterkriege", die berühmt-berüchtigten Schlachten, die Verwüstungen und die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. Natürlich werden Gewalt, Hunger und Seuchen angesprochen, um das schier unbegreifliche Ausmaß der Kriegsfolgen zu verdeutlichen. Worauf sich gerade deshalb aber immer wieder die Frage anschließt, warum denn niemand das Grauen beenden konnte. Genau diese Frage stand für Burkhardt im Zentrum seiner Forschungsarbeit. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer peniblen Darstellung der durch manche Widrigkeiten und Zufälle verpassten, aber real existierenden Friedensbemühungen und deren Chancen.

Die Schilderung des Prager Fenstersturzes als "unblutige Gewalttat" und "symbolhaltigen Akt" sowie insbesondere eine aufschlussreiche Darstellung der anschließenden diplomatischen Taktierereien und Winkelzüge führt in die Thematik ein. Höchst wahrscheinlich wäre der noch lokal begrenzte Konflikt durch einen bereits anberaumten Kongress in Eger befriedet worden. Die Verhandlungen waren nämlich praktisch abgeschlossen, sie hätten nur noch unterzeichnet werden müssen. Da starb unerwartet mit Matthias, dem Kaiser des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen" einer der Vertragspartner. Sein Nachfolger aber, Kaiser Ferdinand hatte als übrigens schon länger designierter böhmischer König völlig andere machtpolitische Vorstellungen wie auch andere mächtige "Einflüsterer", und so waren alle bis dahin erzielten Verhandlungsergebnisse mit einem Schlag hinfällig. Der Krieg begann mit einem Haufen kleinerer Scharmützel - und hätte trotzdem noch gestoppt werden können.

Es ist hochinteressant, die diplomatischen Bemühungen der Akteure nachzulesen, auch die der nicht unmittelbar betroffenen Machthaber in Sachsen, Bayern und der Kurpfalz. Eigentlich wollte keiner diesen Krieg. Beide Seiten, auch das militärisch den Habsburgern und ihrer katholischen Liga unterlegene, aber von der protestantischen Union gestützte Böhmen hätten durch einen Friedensschluss in Eger ihr Gesicht gewahrt. Eine also eher zufällig verpasste Friedenschance.

Burkhardt untersucht konsequent auch die nachfolgend vergeblichen oder nur vorrübergehend erfolgreichen Friedensbemühungen während dieses "Krieges der Kriege". So erfährt der Leser, warum der Friede von Lübeck (1629) und der Friede von Prag (1635) keinen Bestand hatten. Vor allem aber, was den mühsam und jahrelang ausgehandelten "Westfälischen Frieden" (1648) letztlich auszeichnete und so einzigartig machte.

Die Herausforderung bestand darin, die Schweden (in Osnabrück) und die Franzosen (in Münster) abzufinden, was seinerzeit (wie heute!) durch die de facto Zuerkennung von okkupierten Territorien bewerkstelligt wurde. Wichtiger fast aber war die Wiederherstellung einer symbiotischen Machtbalance zwischen dem Kaiser und den Reichsständen, verhandelt nicht zuletzt in der zwischen Osnabrück und Münster gelegenen Stadt Lengerich, (der Heimatstadt des Rezensenten, deren Namen aber 300 Jahre später für Günter Grass zu wenig Glanz hatte und in seiner Erzählung (s.u.) durch Telgte ersetzt wurde).

Die großen bekannten Gestalten des Krieges, wie den Grafen Tilly, den Schwedenkönig Gustav Adolf und den schillernden Wallenstein behandelt Burkhardt nahezu ausschließlich unter dem Aspekt, was sie für einen denkbaren Friedensschluss geleistet haben - oder eben auch nicht. Wallenstein, ein am Ende vom Saulus zum Paulus mutierter potenzieller Friedensstifter? In einer Reihenfolge mit Prinz Eugen von Savoyen und Bismarck? Das wird manchen Leser irritieren, aber auch neugierig machen. War Wallenstein doch als Kriegsherr, ja "Kriegsunternehmer" alles andere als zimperlich und zudem als Erfinder des "stehenden Heeres" das Gegenteil eines Abrüsters.

Neben der Frage nach den verpassten, dann aber in Münster, Osnabrück und Lengerich letztlich erfolgreichen Friedensbemühungen lenkt Burkhardt unseren Blick auf eine den Krieg als fast unausweichlich erscheinen lassende Ausgangssituation: Nämlich den schwelenden Konflikt zwischen der einen Universalmacht (nach der die Habsburger, die Franzosen und die Schweden strebten) und den noch gar nicht als solche bezeichneten, aber nach mehr Unabhängigkeit strebenden Einzelstaaten sowie den anderen am Reichstag stimmberechtigten Reichständen. Er spricht von einem "Staatsbildungskrieg", den er als eigentliche Triebfeder der dreißigjährigen Auseinandersetzungen ausmacht. Dahinter stehen die durch die Reformation ausgelösten Religionskonflikte weit zurück. Hatte es doch für letztere immer wieder einigermaßen "befriedigende" Lösungen gegeben, nicht zuletzt basierend auf dem Augsburger Religionsfrieden (1555). Für manchen Leser dürfte dieser Aspekt neu sein.

Sehr gelungen ist der an verschiedenen Stellen angebrachte Verweis auf die künstlerische, also vor allem gestalterische, literarische und musikalisch-kompositorische Verarbeitung des Kriegsgeschehen durch Zeitzeugen (Grimmelshausen`s "Simplicissimus"; Freytag`s "Bilder aus der deutschen Vergangenheit", Andreas Gryphius` Gedichte; Paul Gerhard`s Kirchenlieder; Heinrich Schütz`zahlreiche Barockkompositionen) und zudem Werke heutiger Künstler (Brecht`s "Mutter Courage"; Grass` "Das Treffen in Telgte"). Ein guter Anlass, diese Highlights mal wieder aus dem Schrank zu nehmen.

Man wird Burkhardt zustimmen: es grenzt an ein Wunder, dass in diesen schrecklichen dreißig Jahren Ton- und Dichtkunst, aber auch Architektur und bildende Künste überdauern konnten und sich im nachfolgenden Hochbarock zu herausragender Blüte entwickelt haben.

Neu mag für manchen Leser sein, dass bereits damals weit verbreitete "Flugblätter" mit Text, vor allem aber allegorischen und/oder karikierenden Stichen einen großen Einfluss auf die Bevölkerung ausgeübt haben. Wobei es den unmittelbar Betroffenen erst allmählich dämmerte, dass hier kein "Strafgericht Gottes", sondern eitle Machtpolitik am Werke war. Nachzulesen ist das in unendlich vielen Tagebüchern und Journalen aus der Zeit. Burkhardt bringt in seinem Buch mehrere eindrucksvolle Beispiele. Heute würden die Mächtigen und die anderen Influencer wohl eher "twittern"…

Um noch einmal auf die Anfangsworte zurückzukommen: Das Buch richtet sich an historisch interessierte Menschen, die die Chronologie, die großen Schlachten, die herausragenden Akteure dieses "Krieges der Kriege" bereits kennen und vornehmlich an speziellen Teilaspekten interessiert sind. Eine Einführung in den Dreißigjährigen Krieg will diese Ausarbeitung nicht sein.

Burkhardt diskutiert im Besonderen, ob die vergeblichen, vor allem aber die tatsächlich erfolgreichen Friedensschlüsse Handlungsanweisungen oder doch wenigstens Empfehlungen für die Lösung heutiger Konflikte bereitstellen könnten. Eine Beantwortung dieser Frage liefert der Autor bewusst nicht. Jeder Leser mag sich selbst sein Urteil bilden

Noch eine abschließende Bemerkung: Burkhardt hat ein Sachbuch geschrieben, nicht etwa einen belletristischen Roman. Entsprechend muss man sich zunächst "einlesen". Ist man aber erst einmal mit der Diktion vertraut, vermag man dem Buch neben der gelungenen Wissensvermittlung auch (pardon!) manch Vergnügliches abzugewinnen. Sollten Sie sich zunächst also etwas schwertun, bleiben Sie dennoch dran! Es lohnt sich...