Dalai Lama - Führen, Gestalten, Bewegen

Dalai Lama Web

Werte und Weisheit für eine globalisierte Welt
Verlag Campus
ISBN 978-3-593-38687-4
Die Initiative zu diesem Buch ging vom Co-Autor Laurens van den Muyzenberg aus, einem international tätigen und jetzt in Frankreich wohnenden Managementberater. Ihm war bekannt, dass Tenzin Gyatso, besser bekannt als Dalai Lama aus seiner moralischen Grundhaltung heraus eher mit dem Sozialismus sympathisierte.

Nun hat sich der Dalai Lama aber durchaus nicht plötzlich und kritiklos dem Kapitalismus zugewendet.

In Verlaufe eines immerhin 20 Jahre dauernden Dialoges haben beide Autoren zusammen dieses Buch geschrieben, das sich den Werten einer "Verantwortlichen freien Marktwirtschaft" verpflichtet fühlt. Bei uns wird ja auch schon länger der Terminus "Freie Marktwirtschaft" programmatisch ersetzt durch "Soziale Marktwirtschaft". Versucht wird also eine Synthese der historischen Leitgedanken des Kommunismus und des Kapitalismus, ein schmaler Grat!

Der tibetische im Exil lebende Mönch und ein im kapitalistischen System verhafteter Unternehmensberater, kann das zusammengehen? Um es gleich vorwegzunehmen: es kann! Aber es war wohl nicht leicht und hat 20 Jahre gebraucht. Nun sind 20 Jahre in der Gedankenwelt des Dalai Lama keine allzu lange Zeitspanne. Aber wir im schnelllebigen Westen müssen uns an solch übergeordnete zeitliche Dimensionen vielleicht erst gewöhnen. Übrigens ist das Buch in gar keiner Weise ein buddhistischer Missionierungsversuch. Der Dalai Lama meint allerdings, dass buddhistisches Gedankengut von Menschen ohne eine bestimmte religiöse Bindung besonders leicht verstanden werden kann. Vielleicht blockieren Religionen manchmal auch? Der Buddhismus ist ja selbst nicht etwa eine Religion, sondern eine Zusammenfassung von Lebensweisheiten und Lebensleitlinien. Zu solchen Leitlinien gehören Leitbilder. Und den in Unternehmens-Leitbildern definierten Werten wird von beiden Autoren eine große Bedeutung beigemessen.

Der größte Schatz, den ein Mensch besitzen kann, ist nach dem Buddhismus das Selbstvertrauen. Der Buddhismus kennt darüber hinaus "sieben Eigenschaften eines idealen Menschen". Der Dalai Lama wünscht auch allen Führungspersönlichkeiten diese Eigenschaften und geht im betreffenden Kapitel ausführlich darauf ein:

  • Kenntnis der Prinzipien und Ursachen
  • Kenntnisse der Ziele und Ergebnisse
  • Selbsterkenntnis
  • Kenntnis der Zurückhaltung
  • Kenntnis des Rechten Zeitpunktes u. des effektiven Umgangs mit der Zeit
  • Unternehmenskenntnis
  • Menschenkenntnis

Die Aussagen der Autoren lassen sich durch jeweils verschiedenartige Textformatierungen klar zuordnen. Beide bauen immer wieder im Wechsel aufeinander auf und beleuchten so die schwierigen Probleme eines weltweiten (globalisierten) Wirtschaftssystems aus verschiedener Richtung. Dazu gibt es Stellungnahmen weiterer hochrangiger Wirtschaftsführer, die ihre Unternehmen bereits nach den vom Dalai Lama und van den Muyzenberg vorgeschlagenen Regeln führen.

Sie werden vielleicht fragen: Was bringt mir das Buch? Bin ich Unternehmer? Ganz klar, das Werk richtet sich primär an die Führungsetage von Unternehmen. Beim Lesen stellt sich aber heraus, dass das Management eines großen Weltunternehmens den gleichen Grundsätzen unterliegt, wie unser eigenes gar nicht so kleines tägliches "Selbstmanagement". Und führen denn nicht viele Hausfrauen, Ehefrauen und Mütter in der Tat ein "mittleres" Unternehmen? Und auch unser Metier, das Führen einer Hausarztpraxis kann ebenso gut bewusst, verantwortlich und nachhaltig erfolgen als auch nur vordergründig am Patienten, in Wirklichkeit aber ausschließlich am Profit orientiert. Die Autoren zeigen auf, dass letztere Haltung langfristig niemals erfolgreich sein kann.

Es ist schon fast gespenstig, dass jetzt, als nach 20 Jahren der Vorbereitung dieses Buch erscheint, genau das vom Dalai Lama Vorausgesagte passiert: Wenn Unternehmen nicht den Grundprinzipien der "Rechten Anschauung" und des "Rechten Handelns" verpflichtet sind, muß das System zusammenbrechen. Gerade erleben wir, wie weltweit hochdotierte Banker und Wirtschaftsführer Tausende von Milliarden Euro verbrennen, weil sie ihre Unternehmen eben nicht nach den geforderten Grundprinzipien geführt haben, sondern nach der Maxime eines schnell mitnehmbaren Gewinnes. Wie viel Elend hätte man mit diesem Geld lindern können! Allein die Verluste einer einzigen deutschen Bank, der Hypo Real Estate schätzt man im Oktober 2008 auf 100 Milliarden Euro. Das gerade im zweiten Anlauf beschlossene US-Rettungspaket für die amerikanischen Banken ist 700 Milliarden Dollar schwer.

Eine schnelle "Gewinnmitnahme", eine schnelle Gewinnmaximierung kann niemals einer wirklichen Wertschöpfung entspringen. Solche Gewinne sind immer Spekulationsgewinne und damit immer gleichzeitig Verluste anderer. Schafft das aber wirtschaftlichen Weltfrieden?

Ein Unternehmensführer kann sein Unternehmen nur dann wirklich erfolgreich leiten, wenn er die Kunst der "Selbstführung" beherrscht. Dieser erlernbaren Tugend ist das 1. Kapitel gewidmet. Das 2. Kapitel baut darauf auf und zeigt, dass mit genau den gleichen Grundsätzen auch ein großes Wirtschaftsunternehmen zu führen ist. Das Ziel muß das Glück aller Beteiligten sein, sonst kann ein Unternehmen nicht langfristig, also nachhaltig funktionieren. Im 3. Kapitel werden die besonderen Herausforderungen einer globalisierten Welt besprochen, nicht zuletzt auch das Umgehen des Unternehmertums mit der weltweiten Armut und es werden die Grundzüge einer vom Dalai Lama als erstrebenswert angesehenen "Verantwortlichen freien Marktwirtschaft" skizziert.

Wie wir gerade wieder einmal erleben, ist es kurzsichtig, allein den schnellen Unternehmensprofit und das schnell wachsende Aktionärsvermögen im Auge zu haben und nicht auch Glück (= Lebenszufriedenheit) der Arbeitnehmer, Kunden und Zulieferer. Und ein Wirtschaften ohne ökologische Rücksichtnahme muß gleichermaßen ins Auge gehen. Der Dalai Lama zitiert die provokative These des Vorstandsvorsitzenden der AIG-Thailand: "Gewinne sind nur das Endergebnis, nicht aber der Zweck eines Unternehmens. Gewinn ist eine überlebensnotwendige Voraussetzung, doch der Sinn eines Unternehmens besteht darin, zum Wohle der Gesellschaft als Ganzes beizutragen."

In der buddhistischen Lehre gibt es als praktische Lebenshilfe zahllose Listen, die beim Umgang mit bestimmten Problemen helfen. Eine dieser auch für Führungskräfte wichtigen Liste wird "Die acht weltlichen Belange" genannt. In dieser Liste geht es um Zustände und Ereignisse, die jeder von uns kennt, nämlich

  • Lob und Kritik
  • Erfolg und Misserfolg
  • Gewinn und Verlust
  • Guter Ruf und schlechtes Renommee

Der Dalai Lama erklärt in diesem äußerst lesenswerten Kapitel, dass es für Menschen mit geschultem Geist falsch ist, sich beispielsweise über Lob zu freuen oder sich über Kritik zu ärgern. Das wird sehr ausführlich dargelegt. Die daraus gezogenen Lehren sind natürlich nicht nur für Führungspersönlichkeiten wertvoll, sondern für jeden von uns.

Van den Muyzenberg weist darauf hin, dass es heute schon sogenannte ethische Aktienindices wie z.B. den Dow Jones Sustainability Index gibt. Unternehmen werden in diese Indices aufgenommen, wenn sie nachweisen können, dass sie sich an klar definierten Standards der Sozialverantwortlichkeit halten.

Die Prinzipien der "Rechten Anschauung" und des "Rechten Handelns" setzen folgende im Buddhismus, aber natürlich nicht nur dort definierten Tugenden voraus, die vom Dalai Lama und van den Muyzenberg ausführlich beleuchtet werden.

  • Großzügigkeit
  • Ethische Disziplin
  • Selbstbeherrschung, Freisein von Gier und negativen Emotionen
  • Geduld
  • Begeisterung
  • Konzentration
  • Weisheit

Wichtig für den Leser können noch folgende drei fundamentale buddhistische Erkenntnisse über die Realität sein:

  • Nichts ist von Dauer
  • Nichts existiert für sich allein
  • Nichts existiert ohne Ursache

Hier einige Originalzitate des Dalai Lama aus dem vorliegenden Buch:

"Die buddhistische Tradition nimmt eine eindeutige Haltung zum Gewinn ein. Gewinn ist ein ehrenwertes Ziel, solange er mit ehrlichen Mitteln erreicht wird. Die Aussage, dass die Aufgabe eines Unternehmens darin besteht, Gewinn zu erzielen, ist ungefähr genauso sinnvoll wie die Aussage, dass die Aufgabe eines Menschen darin besteht, zu essen oder zu atmen. Wenn ein Unternehmen Verlust macht, stirbt es, genau wie ein Mensch, der nichts mehr isst. Das bedeutet aber nicht, dass der Sinn des Lebens aus Essen besteht.

Ich fände es sinnvoll, wenn Unternehmen ihre Aufgabe als "Gewinnung und Befriedigung von Kunden” definierten und auf dem Weg dorthin verantwortlich handelten, statt sich auf die Maximierung des Aktionärsvermögens zu beschränken. Zu verantwortlichem Handeln gehört auch, einen gesunden Gewinn zu erzielen und zufrieden stellende Zuwächse des Aktionärsvermögens zu erwirtschaften. Wird der Gewinn dagegen zum wichtigsten Ziel, können Verhältnisse entstehen, die zu Gesetzesbruch führen und vielen Menschen unnötiges Leid verursachen.

Natürlich wollen Mitarbeiter nicht für ein Unternehmen arbeiten, das rote Zahlen schreibt, denn dies stellt eine Gefahr für ihre Arbeitsplätze dar. Doch sie wollen für ein Unternehmen arbeiten, auf das sie stolz sein können, ein Unternehmen, das einen guten Ruf als Hersteller von qualitativ hochwertigen und nützlichen Produkten beziehungsweise Dienstleistungen genießt. Umso wichtiger ist es, die Rolle des Unternehmens in positiver und motivierender Weise zu definieren."

Zur Bekämpfung der Armut empfiehlt der Dalai Lama u.a. die kontrollierte Familienplanung und er lobt die Idee der Mikrokredite, für die Muhammad Yunus und die Grameen-Bank aus Bangladesh den Friedensnobelpreis 2006 erhielten. Zusammenfassend entwickeln der Dalai Lama und van den Muyzenberg also das Konzept einer "Verantwortlichen freien Marktwirtschaft", die Freiheit, Wohlstand und Glück für alle garantiert. Er ruft Entscheider dazu auf, im Kampf gegen die Armut die Initiative zu ergreifen, eine aktive Politik der ökologischen Nachhaltigkeit zu betreiben, die Menschenrechte zu schützen, die Freiheit der Rechtsprechung zu garantieren und kulturelle Vielfalt als Stärke zu begreifen. Der Dalai Lama glaubt, dass mit dieser Geisteshaltung viele Probleme der globalisierten Welt gelöst werden könnten.

Sind die Gedanken der beiden Autoren nun revolutionär oder doch wenigstens völlig neu? Hören wir bisher Ungesagtes? Werden bislang noch nie vernommene Thesen aufgestellt? Die Antwort auf alle diese Fragen ist: "Nein!" Und trotzdem und gerade deshalb ist das Buch so lesenswert. Und gerade heute! Der Erhard´sche Maßhalteappel ist ja auch nicht schon deshalb falsch, weil wir ihn bereits einmal, oder besser mehrmals vernommen und schon seinerzeit nicht beachtet haben. Manche Wahrheiten müssen immer wieder laut herausgeschrien werden, sonst hört sie niemand in dieser Welt, in der uns vor lauter laut herausgeschrienen Unwahrheiten schon die Ohren weh tun.