Christoph Schlingensief - So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht
sein
Tagebuch einer Krebserkrankung
ISBN 978-3-442-74070-3
Ein ehrliches und ungeheuer schönes Buch. Sehr berührend, persönlich,
erschütternd, dabei nicht wirklich ermutigend. Und natürlich ohne happy
end. Wahrscheinlich eher kein Werk für unmittelbar Betroffene. Denn
Rezepte für den Umgang mit einer todbringenden Erkrankung hat auch diese
schillernde Künstlergestalt natürlich nicht. Ärzte aber aufgepasst: hier
könnt Ihr hinzulernen.
Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich mich bisher mit Schlingensief und
seinem Werk nicht sonderlich beschäftigt. Erst nach seinem Tode wurde
meine Aufmerksamkeit geweckt, als ein Palliativmediziner aus seinem
Tagebuch zitierte. Da fiel der Entschluss, den Menschen Schlingensief
noch postum kennenzulernen - und zwar zunächst einmal durch die Lektüre
seiner Krankheitsaufzeichnungen.
Auch ein Lehrstück für Mediziner, die sich neben oder gar außerhalb
ihrer eigenen lebenserhaltenden Routine in den Patienten hineinversetzen
wollen. Ich glaube nicht, dass Ärzte immer realisieren, wie sie beim
Kranken "rüberkommen". Das Buch sensibilisiert diesbezüglich für
mehr Gespür. Was vom Autor auch ausdrücklich so eingefordert wird.
Schlingensief gibt uns eine bildhafte Dramaturgie seiner schwer aus dem
Lot geratenen Gefühlswelt. Ab- und wieder Hinwendung zu Gott und den
Eltern, Aufbegehren und Sichfügen, zweifelnde Blicke zurück und zaghaft
fragende Blicke voraus, Besinnung auf die kleinen Dinge, die man so
leicht übersieht, Hoffen und Bangen, die Frage nach dem Sinn, nachdem,
was bleibt.
Was nimmt der Leser mit? Eine wahrscheinlich völlig neue Facette des
Künstlers und Menschen Schlingensief auf jeden Fall. Vielleicht auch
einen verstohlenen Blick unter die eigene dichte Decke aus
Oberflächlichkeiten. Und unbedingt die Erkenntnis, wie wichtig Liebe und
Freundschaften gerade in Lebenskrisen sind. Zudem viele kluge
sinnspruchhafte Gedanken und Einsichten.
Krankheit als Chance? Vielleicht, und ausnahmsweise diesmal nicht als
Provokation des großen Provokateurs inszeniert.
Interessant erscheint, dass bei Schlingensiefs Rückblicken auf das
eigene Werk eigentlich nur zwei Arbeiten aufblitzen: Der Film Egomania
und die Bayreuther Parzival-Inszenierung. Übrigens schiebt der Künstler
seine Krebskrankheit nicht zuletzt auf seine Bayreuth-bedingten
Kraftfeldverluste, denn gerade zu dieser Zeit habe das Tumorwachstum
begonnen. Eine nicht nur medizinisch betrachtet hochinteressante These …
Und ein "unvollendetes" Werk des Visionärs wird von ihm
immer wieder hervorgeheoben: Nämlich das Projekt "Oper für
Afrika". Mit dem Bau des Operndorfes sollte sich sein Wunsch nach
einem Ort kultureller Begegnungen erfüllen. Neben dem Theater waren eine
Schule und ein Krankenhaus geplant. Grundsteinlegung für das Projekt war
im Frühjahr 2010. Bereits ein halbes Jahr später erlag Schlingensief
seinem Krebsleiden. Die Geschäftsführung des "Festspielhauses
Afrika" übernahm seine Frau Aino Laberenz. Es wäre zu hoffen, dass
diesem Projekt künftig bleibendes Leben eingehaucht werden kann.
Vielleicht könnte Burkina Faso so einst zum wirkliche Vermächtnis
Schliegensiefs werden.