Texte von Reinhard Mey

Den Anfang macht "Das Narrenschiff" von 1998. Dies ist Reinhard Meys ganz persönlicher "Bericht zur Lage der Nation". Uns scheint der Text leider von Jahr zu Jahr mehr an Aktualität zu gewinnen. Und dass wir auf Meys nächstem Album aus dem Jahre 2000 das Lied "Einhandsegler" finden, ist wohl nur eine logische Weiterentwicklung. Aber auch seine Liebeslieder und Kinderlieder haben es uns angetan, offenbaren sie doch einen großen liebevollen Respekt vor dem Menschen.

Vielleicht lassen Sie sich von den nachfolgenden kurzen Zitaten verführen zum Erwerb der CDs mit den vollständigen Texten?

Reinhard Mey über sich selbst:
"Lieder sind meine Chronik. Sie sind Erlebtes und Erdachtes, aus Hoffnungen und Ängsten entstanden, aus Beobachtungen, Glück und Unglück gemacht. Lieder sind meine Tagebucheinträge und die Alben, in denen ich sie sammle, sind wie die Jahresringe eines Baumes, an denen sich die Wetter und der Lauf der Jahreszeiten ablesen lassen, Frühjahrsregen, Hitze der Sommertage, Hagelschlag, Herbststürme und eisiger Frost. Lieder sind mein Leben, meine Arbeit, meine Freude, Anfechtung und Trost. Ich bin dankbar, dass ich schreiben und singen kann."

aus: "Das Narrenschiff"; Album "Flaschenpost", 1998

Die Ladung ist faul, die Papiere fingiert,
die Lenzpumpen leck und die Schotten blockiert,
die Luken weit offen und alle Alarmglocken läuten.
Die Seen schlagen mannshoch in den Laderaum,
und Elmsfeuer züngeln am Ladebaum,
doch keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten!

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken
und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,
die Mannschaft lauter meineidige Halunken,
der Funker zu feig um SOS zu funken.
Klabautermann fährt das Narrenschiff
volle Fahrt voraus - und Kurs aufs Riff.

Am Horizont wetterleuchten die Zeichen der Zeit:
Niedertracht und Raffsucht und Eitelkeit.
Auf der Brücke tummeln sich Tölpel und Einfaltspinsel.
Im Trüben fischt der scharfgezahnte Hai,
bringt seinen Fang ins Trockne, an der Steuer vorbei,
auf die Sandbank, bei der wohl bekannten Schatzinsel.

Einst junge Wilde sind gefügig und zahm,
gekauft, narkotisiert und flügellahm,
tauschen Samtpfötchen für die einst so scharfen Klauen.
Und eitle Greise präsentieren sich keck
mit immer viel zu jungen Frauen auf dem Oberdeck,
die ihre schlaffen Glieder wärmen und ihnen das Essen vorkauen!

Der Ausguck ruft vom höchsten Mast: Endzeit in Sicht!
Doch sie sind wie versteinert und sie hören ihn nicht.
Sie ziehen wie Lemminge in willenlosen Horden.
Es ist, als hätten alle den Verstand verlorn,
sich zum Niedergang und zum Verfall verschworn,
und ein Irrlicht ist ihr Leuchtfeuer geworden.

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken
und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,
die Mannschaft lauter meineidige Halunken,
der Funker zu feig um SOS zu funken.
Klabautermann fährt das Narrenschiff
volle Fahrt voraus - und Kurs aufs Riff.

aus "Einhandsegler", Album "Einhandsegler", 2000

Du hast die Leinen losgeworfen mit einem Wort,
alle Ketten, aller Ballast gehen über Bord,
hast einen Strich gezogen, deinen Kurs bestimmt,
ins Logbuch eingetragen und die Ruder getrimmt.

Dein Kielwasser säumt schäumend deine Bahn
Einhandsegler auf dem Ozean.

Die Strömung ist gefährlich, die Untiefe nicht weit,
du musst kreuzen gegen Dummheit und den Geist der Zeit.
Die See wird rau und kabbelig, wenn du es wagst,
zu widersprechen, wenn du aufstehst und die Wahrheit sagst.

Dass du Recht hast, werden sie dir nie verzeihen,
und dann stürzen alle Wetter zugleich auf dich ein!
Zähl` nicht auf Schönwetterfreunde im Orkan
Einhandsegler auf dem Ozean.

Du hast den Funk ausgeschaltet, du brauchst sie nicht mehr,
die echten Heuchler, die falschen Klugen, die blinden Seher.
Du mußt nicht mit ihnen um ihre goldnen Kälber tanzen,
egal, wie sie sich über dich das Maul zerfransen.
Niemand steht über dir - aber auch niemand steht dir bei.
Das ist ein hoher Preis, doch dafür bist du frei!
Du bist niemands Herr und niemands Untertan,
Einhandsegler auf dem Ozean.

aus: "Sei wachsam"; Album "Leuchtfeuer", 1996

Ein Wahlplakat zerrissen auf dem nassen Rasen,
sie grinsen mich an, die alten aufgeweichten Phrasen,
die Gesichter von auf jugendlich gemachten Greisen,
die Dir das Mittelalter als den Fortschritt anpreisen.

Wie sie das Volk zu Besonnenheit und Opfern ermahnen,
sie nennen es das Volk, aber sie meinen Untertanen.
All das Leimen, das Schleimen ist nicht länger zu ertragen,
wenn du erst lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen:
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm, ich halt’ sie arm!

Sei wachsam, präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam, fall nicht auf sie rein!

Du machst das Fernsehen an, sie jammern nach guten, alten Werten.
Ihre guten, alten Werte sind fast immer die Verkehrten.
Und die, die da so vorlaut in der Talk-Runde strampeln,
sind es, die auf allen Werten mit Füßen rumtrampeln.

Verrohung, Verdummung, Gewalt sind die Gebote,
ihre Götter sind Auflage und Einschaltquote.
Sie biegen die Wahrheit und verdrehen das Recht:
So viel gute alte Werte, echt, da wird mir echt schlecht!

Es ist ‘ne Riesenkonjunktur für Rattenfänger,
für Trittbrettfahrer und Schmiergeldempfänger,
‘ne Zeit für Selbstbediener und Geschäftemacher,
Scheinheiligkeit, Geheuchel und Postengeschacher.
Und die sind alle hochgeachtet und sehr anerkannt,
und nach den schlimmsten werden Straßen und Flugplätze benannt.

Wir ha’m ein Grundgesetz, das soll den Rechtsstaat garantieren.
was hilft’s, wenn sie nach Lust und Laune dran manipulieren,
Sie zieh’n uns immer tiefer rein, Stück für Stück,
Und seit heute früh um fünf Uhr schießen wir wieder zurück!

Ich hab’ Sehnsucht nach einem Stück Wahrhaftigkeit,
nach ‘nem bisschen Rückgrat in dieser verkrümmten Zeit.
Doch sag die Wahrheit und du hast bald nichts mehr zu lachen,
sie werden dich ruinieren, exekutieren und mundtot machen,
erpressen, bestechen, versuchen, dich zu kaufen.
Wenn du die Wahrheit sagst, lass draußen den Motor laufen,
dann sag sie laut und schnell, denn das Sprichwort lehrt:
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd.

aus: "Mein Land"; Album "Rüm Hart", 2002

Mein dunkles Land der Opfer und der Täter,
ich trage einen Teil von deiner Schuld.
Land der Verratenen und der Verräter,
ich lebe mit dir Demut und Geduld.
Mein graues Land, das bitter und geschunden
Sich selbst verneint bis zur Erbärmlichkeit,
ich leide mit dir und an deinen Wunden
Und weiß, die heilen auch nicht mit der Zeit.

Wie Erdklumpen an meine Sohlen haften
mir deine Bilder an, streng und schwer:
Die lang' versproch'nen blendenden Landschaften
gähnen brach vor einem Ruinenmeer.

Ich bin, wie ich bin, eines deiner Kinder,
wir beide haben uns nicht ausgesucht.
Du hast mich oft geschulmeistert, nicht minder
oft habe ich deine Heuchelei verflucht.
Ich kann dich nicht, die Hand auf's Herz, ansingen,
den Blick zur Fahne, und ein Wort wie stolz
kann ich mir auch mit Mühe nicht abringen -
Dummheit und Stolz sind aus demselben Holz!

Ich häng' an dir und bin in deinen Brüchen,
im Guten wie im Schlechten dir verwandt,
ich bin dein Kind in deinen Widersprüchen,
Mein Mutterland, mein Vaterland, mein Land.

aus: "Die Mauern meiner Zeit", Album "Balladen", 1988

Erinn`rungen verblassen, und des Tages Ruhm vergeht,
die Spuren, die wir heute zieh`n, sind morgen schon verweht.
Doch in uns ist die Sehnsucht, daß etwas von uns bleibt,
ein Fußabdruck am Ufer, eh` der Strom uns weitertreibt.
Nur ein Graffiti, das sich von der grauen Wand abhebt,
so wie ein Schrei, der sagen will: "Schaut her, ich hab gelebt!"
So nehm` ich, was an Mut mir bleibt, und in der Dunkelheit
sprühe ich das Wort "Hoffnung" auf die Mauern meiner Zeit.

Die Herzen sind verschlossen, die Blicke leer und kalt.
Brüderlichkeit kapituliert vor Zwietracht und Gewalt.
Der Himmel hat sich abgewandt, die Zuversicht versiegt.
Manchmal ist`s, als ob alle Last auf meinen Schultern liegt.
Doch tief aus meiner Ohnmacht und aus meiner Traurigkeit
sprühe ich das Wort "Hoffnung" auf die Mauern meiner Zeit.

Um uns regiert der Wahnsinn, und um uns steigt die Flut.
Die Welt geht aus den Fugen, und ich rede noch von Mut.
Wir irren in der Finsternis, und doch ist da ein Licht,
ein Widerschein von Menschlichkeit, ich überseh` ihn nicht.

aus: "Nein, meine Söhne geb` ich nicht!", Album "Alleingang", 1986

Ich denk`, ich schreib` euch schon beizeiten,
und sag euch heute schon endgültig ab.
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,
um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab`.

Ich lieb` die beiden, das will ich euch sagen,
mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,
und die, die werden keine Waffen tragen:
nein, meine Söhne geb` ich nicht!

Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,
vor jeder Kreatur als höchsten Wert,
ich habe sie Erbarmen und Vergeben
und wo es immer ging, lieben gelehrt.

Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,
keine Ziel und keine Ehre, keine Pflicht,
sind`s wert, dafür zu töten und zu sterben,
nein, meine Söhne geb` ich nicht.

Ich werde sie den Ungehorsam lehren,
den Widerstand und die Unbeugsamkeit,
gegen jeden Befehl aufzubegehren,
und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit.

Ich werd` sie lehr` n, den eignen Weg zu gehen,
vor keinem Popanz, keinem Weltgericht,
vor keinem als sich selbst geradzustehen,
nein, meine Söhne geb` ich nicht!

Wir haben nur dies eine kurze Leben,
ich schwör`s und sag`s euch grade ins Gesicht:
sie werden es für euren Wahn nicht geben:
nein, meine Söhne geb` ich nicht!

aus: "Mein Apfelbäumchen", Album "Alleingang", 1986

Sieh dich um, nun bist Du ein Teil der Welt,
die sich selbst immerfort in Frage stellt,
wo Menschen ihren Lebensraum zerstör`n,
beharrlich jede Warnung überhör`n.
Ein Ort der Widersprüche, arm und reich,
voll bittrer Not und Überfluss zugleich.
Ein Ort der Kriege, ein Ort voller Leid.
Wo Menschen nichts mehr fehlt, als Menschlichkeit.

Wenn alle Hoffnungen verdorr`n,
mit dir beginn` ich ganz von vorn.
Und Unerreichbares erreichen, ja ich kann`s!
Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz`!

aus: "Ein Stück Musik von Hand gemacht", Album "Alleingang", 1986

Zur Blütezeit der Fast-Food-Zivilisation,
der Einheitsmeinung, der Geschmacksautomation,
der Plastikgefühle und der High-Tech-Lust,
der Wegwerfbeziehung und dem Einweg-Frust,
zur zeit der Fertigträume aus der Traumfabrik,
der Micky-Maus-Kultur und der Steckdosenmusik.

Da lob` ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht,
noch von einem richt`gen Menschen mit dem Kopf erdacht,
`ne Gitarre, die nur so wie `ne Gitarre klingt,
und `ne Stimme, die sich anhört, als ob da jemand singt.
Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,
meinetwegen auch mal mit `nem kleinen Fehler, das tut gut.,
das geht los und funktioniert immer und überall,
auch am Ende der Welt, bei Nacht und Stromausfall.

aus "Du bist eine Riese, Max!", Album "Alles geht!", 1992

Kinder werden als Riesen geboren,
doch mit jedem Tag, der dann erwacht,
geht ein Stück von ihrer Kraft verloren,
tun wir etwas, das sie kleiner macht.

Kinder versetzen so lange Berge,
bis der Teufelskreis beginnt,
bis sie wie wir erwachs`ne Zwerge
endlich so klein wie wir Großen sind.

Du bist ein Riese, Max! Sollst immer einer sein!
Großes Herz und großer Mut und nur zur Tarnung nach außen klein.
Du bist ein Riese, Max! Mit deiner Fantasie,
auf deinen Flügeln aus Gedanken kriegen sie dich nie.

Freiheit ist für dich durch nichts ersetzbar,
Widerspruch ist dein kostbarstes Gut.
Liebe macht dich unverletzbar
wie ein Bad in Drachenblut.

Keine Übermacht könnte dich beugen,
keinen Zwang wüßt` ich, der dich einzäunt.
Besiegen kann dich keiner, nur überzeugen.
Max, ich wäre gern dein Freund.

aus "Hilf mir", Album "Die Zwölfte", 1983

Du siehst, der Wind hat sich gedreht,
die falschen Freunde fortgeweht,
und ihre Treue und ihre Versprechen.
Auf einmal ist es bitterkalt,
und wieder brauch ich deinen Halt,
um nicht zu zweifeln, um nicht zu zerbrechen.

Hilf mir, grade zu stehn,
hilf mir, die Wahrheit zu sehn,
hilf mir, mich gegen den Strom zu drehn,
hilf mir, den schweren, den graden Weg zu gehn!

Du, die in meine Seele siehst,
mich wie ein offenes Buch liest,
die dunklen Seiten kennst in meinem Leben,
all` meine Geheimnisse weißt,
die du mir Rat und Klugheit leihst,
wenn du mich liebst, hilf mir, nicht aufzugeben!

aus: "Zwischen allen Stühlen", Album "Farben", 1990

Nun ist die Tür ins Schloß gefallen,
na klar, ich weiß, du mußt hier raus.
Und deine eiligen Schritte hallen
schon durch das leere Treppenhaus.

Es muß so sein, so ist das Leben,
so sind die Karten halt gemischt.
Na klar, nur hat mich das Leben eben
grad auf dem falschen Fuß erwischt.

Zwischen Traum und Erwachen,
zwischen Weinen und Lachen,
zwischen allen Gefühlen
und zwischen allen Stühlen.

Ich habe dich nur ein Stück begleitet,
jetzt wird der Ernst des Lebens ernst.
Und doch, du bist nie ganz vorbereitet
auf die Lektion, die du grad lernst!

Nun, deine eigenen Wege gehen
mich gar nichts an, mir bleibt allein,
dir dabei nicht im Wege zu stehen,
nur wenn du mich brauchst, dazusein.

Da ist die Welt, und du kannst wählen!
Vergiß den Rest und merk dir bloß:
du kannst allezeit auf mich zählen
und das gilt ganz bedingungslos.

Bildnachweis: Reinhard Mey © 2004, aus der Capitol-CD "Nanga Parbat"