Glossi(n)fizierte Grüße in Zeiten der Seuche

Lagune

"Trotz alledem", Ihr unverzagten Freunde nah und fern, nicht diese Töne!

Ein mehr als ungewöhnliches Jahr neigt sich dem Ende zu. Manch` blaues Wunder haben wir erlebt, viele Pläne sind ins Wasser gefallen, alles lief ziemlich kreuz und quer - doch immerhin gab es genügend Zeit für Selbstspiegelungen. Und wer die genutzt hat, mag sich am Ende gar mit der rasanten Entschleunigung angefreundet haben.

Auch stimmt es ja keineswegs, dass wir kaum noch Kontakte hatten. Besucht uns der Amazon-Bote doch so oft wie nie zuvor, ja selbst die gelbe Post liefert jetzt täglich, wenn auch 2 bis 3 Stunden später als gewohnt. Gut entwickelt hat sich im Laufe der Zeit auch der Gedankenaustausch mit den Leuten von UPS, DPD und Hermes. Zudem wollen wir gelegentlich noch überprüfen, wie sich der Zalando-Zusteller beim small talk schlägt.

Aber klar, die lauten Feiern im Haus, die ausufernden Partys im Garten, die nächtlichen Gesänge, sie fehlen schon. Keine spätabendlichen Discos, kein Zug durch die Gemeinde bis in die frühen Morgenstunden. Wann haben wir jemals so viel Schlaf bekommen!? Da musste ja das Powernapping im Büro (und selbst im Homeoffice!) scheitern.

Fast alle Zeitgenossen übertreten das Vermummungsverbot und selbst Freunde halten sich bedeckt, so dass man sie erst an ihrer Stimme erkennt. Und immer genug Abstand, um in der erleuchtenden Klopapierwarteschlange den eigenen langen Schatten bewundern zu können.

Irritierend die kurze Halbwertszeit medizinischen Wissens: Noch im März galt das Tragen einer Maske im Alltag als unsinnig, ja brandgefährlich - aber schon im August drohten dem Strafzahlungen, der nicht irgendein läppisches Läppchen vors Gesicht gebunden hatte. Hoffentlich erinnern sich die Experten daran, wenn sie im Brustton der Überzeugung demnächst wieder ganz neue Erkenntnisse verkünden.

Die Leere in den Supermarktregalen allerdings war schon beunruhigend, erinnerte die Lage im Frühjahr doch an die dunklen Nachkriegsjahre und an die Mangelverwaltung im dunkeldeutschen "Arbeiter und Bauern-Staat". Da hätte man glatt zum "Prepper" werden können. Zugegeben, auch wir konnten nicht all` die gebunkerten Nudeln aufessen, was zum Glück aber den Klopapiermangel entschärft hat.

Viel frischer Wind in den Räumen und jetzt im Herbst alles so schön soft beim Blick durch die maskenbedingt beschlagene Brille. Gesundheitsbewusst gießen wir neuerdings den Alkohol nicht mehr ins Glas, sondern über die rissigen Hände. Macht nichts, dagegen gibt`s doch diese wunderbaren Cremes. Und ganz ohne Schwund wär`s ja auch keine Pandemie.

Entsprechend sind einige Urlaubsreisen, Feste und Feiern ausgefallen. Was aber kümmert das den taffen Neo-Asketen! Beweisen wir uns doch gerade, mit wie wenig man auskommen kann. Nur steht zu befürchten, dass diese Erkenntnis schnell in Vergessenheit geraten wird, wenn die Seuche erst einmal vorbei ist. Lasst uns die Zeit genießen!

Zumal es auch manch aufbauenden Moment gab: Das erste Wort unserer im Jahr 2020 geborenen Enkel war nicht Mama, sondern Corona. Babys kriegen offenbar mehr mit, als wir glauben und dabei vor allem das, was wirklich wichtig ist.

Der Fotograf konnte Landschaftsaufnahmen ohne störende Kondensstreifen am Himmel machen, menschenleere Küstenstriche ablichten und (speziell für Online-Shopper) Dokumente verwaister Innenstädte anfertigen. Ein ganz klein bisschen irreal aber mutet das Ganze schon an. So muss es nach dem Abwurf einer Neutronenbombe aussehen.

Auch sind einzigartige Einschulungs, Hochzeits- und Tauffotos mit buntscheckiger Mund-Nasen-Bedeckung der diversen Protagonisten entstanden. Sie beeindrucken nun jeden Betrachter als besonders herausragende Highlights. Welche Erinnerungen werden sich wohl später beim Anschauen solcher außergewöhnlichen Familienbilder einstellen?

Der Lockdown bescherte uns Zeit im Überfluss. Keller, Boden und Garage präsentieren sich aufgeräumt wie lange nicht mehr. Schlimm wurde es nur, als auch die Deponie geschlossen war und Entsorgungs-Zwischenlager her mussten. Dafür fand sich Zeugs wieder, das seit Jahren auf der Vermisstenliste stand, ja als gestohlen galt; zudem aber auch allerlei Gezähe, dessen Verlust die rechtmäßigen Eigentümer noch nicht einmal wahrgenommen hatten.

Ärzte und Kliniken haben hilfesuchende Patienten nicht eingelassen, verschoben, ja verbissen, was auch immer sie an Beschwerden vorbrachten. Komisch, vieles heilte plötzlich ganz von selbst, ohne Diagnostik und Therapie. Auch die Bisswunden. Rechnet man die Coronatoten heraus, sank die Sterberate sogar während der offenkundigen medizinischen Unterversorgung. Das gibt zu denken. Etwas ähnliches soll sich vor Jahren in Belgien bei einem wochenlangen Ärztestreik zugetragen haben.

Viele neue Kochrezepte konnten ausprobiert und dem Fundus einverleibt werden. Nur die Waage ist offenbar schwerer infiziert, zeigt sie doch ganz und gar unglaubwürdige Zahlen; ein klarer Fall von "fake news" oder bestenfalls "alternativen Wahrheiten"!

Apropos, noch etwas wurde in diesem Jahr deutlich: Despoten vermögen zwar Menschen zu töten oder hinter Gitter zu bringen, nicht aber Viren. Die lassen sich auch nicht wegtwittern und verbergen selbst bei Facebook ihr Gesicht. Sie können sogar narzisstische Präsidenten stürzen, falls die - dem Virus zuvorkommend - nicht vorher schon über ihr eigenes Ich gefallen sind.

Einige unserer Freunde waren erkrankt, alle aber sind auf dem Wege der vollständigen Genesung; in Ermangelung wirklicher Therapien wohl allein durch höhere Fügung. Gott sei Dank!

Nur einen uns entfernt bekannten Coronalügner hat es erwischt; er soll selbst seinen Tod noch geleugnet haben und wurde deshalb anonym bestattet, ohne Grabstein und Inschrift, als ob er noch lebt. Wenigstens war er bis zuletzt konsequent.

Also eine Krise ganz ohne Chance? Nicht wirklich, hat Corona doch zu einem totalen Schulterschluss unterschiedlichster Extremisten geführt: Seuchenleugner, Impfgegner, ganz Linke, ganz Rechte, Hooligans, andere Krawallmacher, Demokratiefeinde, Verwirrte, diffus-diverse Querdenker - alle unter einem Dach, in einer einzigen Demo. Zusammengenommen ein ganz schön großer Haufen, ist das etwa nichts? Das Virus trennt die einen, die anderen aber schweißt es zusammen. Der Vefassungsschutz jedenfalls jubelt, noch nie war die Beobachtung so einfach.

Und die ganzen unangenehmen Fragen der Journalisten zum Klimawandel, zur Flüchtlingspolitik, zu den Toten im Mittelmeer und Atlantik, zu den überfüllten Lagern und den dort menschenunwürdigen Bedingungen - es gibt sie nicht mehr. Hunger auf der Welt, Kriege überall, Parteivorsitzstreit, das Gebaren mancher Staatschefs, der Brexit und andere unendliche Geschichten, der Trumpismus, Betrug und Bestechung in der Wirtschaft, Doping im Sport, selbst ein 0:6 unserer Mannschaft - alles dank Corona kein Thema mehr für Nachrichten und Kommentare. Manche haben ihn richtig liebgewonnen, den kleinen SARSi. Und Greta geht wieder zur Schule.

Auch kennen wir nun die führenden, sich irritierenderweise aber oft widersprechenden (gefühlt mehr als tausend) Virologen unserer föderalistisch bunten Republik Deutschland. Christian Drosten hätten wir vor Corona für einen orthografischen Lapsus gehalten, vor allem im Land der Westfalen mit seinen vielen berühmten Drostes...

Die Bühne ist jedenfalls bereitet für die Spahns, Söders, Laschets, Wielers und Chanasits. Wir sind gespannt auf deren Performance. Nur die Merckel spielt nicht mit, sie ist als Naturwissenschaftlerin zu sehr der Evidenz verpflichtet. Angela, die Spielverderberin.

Mutig hegen wir trotz alledem die Hoffnung, dass baldmöglichst wieder geistige Nahrungsergänzungsmittel wie Theater, Konzerte, Oper, Kino, Fotoausstellungen, Lesungen, Museumsbesuche etc. angeboten werden. Denn mit wieviel Galgenhumor auch immer wir die Lage betrachten, man kann auf mancherlei Art verhungern. Davor schützt auch keine Isolation, ganz im Gegenteil!

Unsere Gedanken aber sind nicht nur bei den gebeutelten Künstlern, sondern (etwas egoistisch zwar) auch bei den in Sippenhaft genommenen Gastronomen. Kann doch die eigene Küche einen Abend beim Italiener niemals ganz ersetzen, zumal wenn man an den Abwasch denkt.

Im Stern stand kürzlich folgende zugespitzte Frage: "Wen wollen wir eigentlich schützen? Alle? Oder die vulnerablen Wenigen? Und wovor schützen? Ruin? Oder Tod?" Genau das werden die Entscheider beantworten müssen. Denn bis alle geimpft sind, können viele Monate bis Jahre vergehen. Entscheidet klug, Ihr Politiker, wenigstens dieses eine Mal, bitte!

Niemand weiß, welche Beschränkungen über die Feiertage gelten werden, ob sich Familien, Freunde und Kollegen wirklich treffen können - oder schreiben müssen, so wie ich. Panta rhei, also bleibt bitte auch Ihr fließfähig! Bis vor kurzem noch durfte man sich an Weihnachten mit bis zu 10 Leuten ohne Probleme treffen. Kein Wunder, dass das abgeschafft wurde, denn wer kennt schon 10 Leute ohne Probleme...

Und können wir wirklich sicher sein, dass nach der Fledermaus nicht auch der Nerz grüßen lässt, oder gar das Murmeltier!?

Oh Freunde, trotz alledem, nicht diese Töne, sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere. Die "Ode an die Freude" bemühend wünsche ich "schillernd", aber vor allem unverzagt (und sogar etwas beschwörend) eine ereignisreiche Adventszeit, bewegte Weihnachtstage und ein gesundes Neues Jahr 2021, 2022, 2023...