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Einführung in die Besprechung der Sessions "Exclusively For My Friends"

Artikel von Arnold van Kampen, © 2011

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47.O.P. E.f.m.f. Japan

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Vorbemerkung

Als ich mit meiner eigenen Oscar Peterson Diskographie begann, wurde mir schnell klar, dass es zwei ganz unterschiedliche Arten von Diskographen gibt.

Die einen schreiben ab, was andere bereits publiziert haben und übernehmen so beispielsweise die Informationen auf Plattenhüllen und Begleittexten als gesicherte Erkenntnisse.

Diese "Diskographen" publizieren oftmals eine Diskographie voller Irrtümer, voller Fehler und fern jeder Vollständigkeit. Und sie hinterfragen überhaupt nicht die bereits publizierten Informationen.

Die Suche nach der "bestmöglichen" Diskographie

Diesbezüglich habe ich schon früher angemerkt, dass nicht nur die sogenannten "Bootleggers" Musik veröffentlichen mit bewusst falschen Informationen zu den Aufnahmedaten und zu den Künstlern, sondern dass auch die Produzenten der "legalen" Musikverlage teils sogar absichtlich unwahre Informationen verbreiten.

Ich persönlich aber habe mich während der 30-jährigen Arbeit an meiner Oscar Peterson Diskographie immer geweigert, diesen Weg zu gehen und habe stattdessen versucht, das bestmögliche Werkverzeichnis überhaupt zu erstellen.

Für meine Diskographie hat Oscar Peterson selbst eine berührende Einleitung geschrieben, in der er mich als engen Freund bezeichnet. Auch bringt er darin zum Ausdruck, dass ich sein vollstes Vertrauen für dieses schwierige Unterfangen habe.
Meiner Meinung nach verpflichtet mich Oscar damit, eine weitestgehend komplette Diskografie zu erstellen mit absolut korrekten Informationen zu den Aufnahmedaten, zu den Künstlern, zur Musik selbst und zu den veröffentlichten Tonträgern.

Vor allem nach Oscars Tod in 2007, als ich noch einmal seine für mich geschriebenen Einführungsworte las, fühlte ich in mir diese Verpflichtung, die Diskographie auch künftig weiter zu vervollständigen und mit korrekten Informationen zu versehen.

Natürlich weiß ich, dass auch andere "Diskographien" erstellt haben, aber selbst die allerbeste, die ich finden konnte, war weit entfernt von Vollständigkeit (etwa 80 Aufnahmesessions fehlten) und war voller falscher Informationen.

Die MPS-Aufnahmen

Als ich die allgemein zugänglichen Informationen über die MPS-Aufnahmen studierte, fand ich schnell heraus, dass diese (bewusst?) "gelogen" oder aber einfach falsch waren.
Um die Wahrheit zu erfahren, waren eine Menge Nachforschungen erforderlich, und natürlich begann ich mit Befragungen des Künstlers, der es wissen musste: Oscar Peterson.

Beginnend zum Ende der 80er Jahre habe ich Oscar immer wieder zu diesen Aufnahmen interviewt. Dabei habe ich bemerkt, dass er immer noch sehr stolz auf diese Sessions war, vor allem auf die "Exclusively For My Friends"-Serie.

Er hat mir erzählt, wie es zu diesen ganz speziellen Aufnahmen gekommen ist und hat mir seine ganz persönlichen Gefühle zu dieser großartigen Musik mitgeteilt.

Aber ich sollte jetzt besser Oscar selbst zu Wort kommen lassen:

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Interview Oscar Peterson zu den Sessions Exclusively For My Friends

Arnold van Kampen (AvK):
Deine "Exclusively For My Friends”-Aufnahmen waren in mancher Hinsicht eine Art Sensation. Wie kam es überhaupt zu dieser Serie im Wohnhaus von Hans Georg Brunner-Schwer (HGBS)?

Oscar Peterson (O.P.):
Um unser Trio in sein Wohnzimmer zu holen, hat HGBS genau den Weg eingeschlagen, den auch ein Konzert-Veranstalter gegangen wäre. Er rief Norman [Granz] an und sagte: "Ich möchte gern das Trio für eine Aufführung in meinem Wohnhaus haben." Darauf Norman: "Gut, aber es fallen volle Konzert-Provisionen an."

Und dann hat HGBS noch nach einer Aufnahmegenehmigung gefragt. Norman hat mir berichtet, dass ihm HGBS seinerzeit gesagt habe, er sei ein großer Fan von ihm, dass er das aber heute wohl nicht mehr so äußern würde wegen der vielen "Bootlegs". Letztlich hat Norman HGBS geantwortet: "Wenn du mir garantieren kannst, dass ausschließlich Du diese Bänder zu deiner eigenen Erbauung hören wirst, dann ist das o.k."

Schließlich war ich durch einen Aufnahmevertrag gebunden [mit Verve, später dann mit Mercury/Limelight] und es war mir nicht gestattet, andere Aufnahmestudios zu betreten. Also wurde die Idee geboren, Haus-Partys für einige gute Freunde zu geben und zu versuchen, diese Konzerte aufzunehmen. [Zwar hatte HGBS bzw. seine Firma SABA ein Aufnahmestudio ganz in der Nähe, aber zu dieser Zeit wäre es undenkbar gewesen, dort zu produzieren].

Norman hat mir gesagt: "Überlass alles mir, wir werden schauen, ob wir einmal bei einer Europa-Tour Zeit finden, einen Versuch zu wagen."

Natürlich hatte ich zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Vorstellungen davon, wie HGBS halbwegs ordentliche Aufnahmen dieser Konzerte bewerkstelligen wollte.

AvK:
wann begannen diese Hauskonzerte, kannst du dich noch erinnern?

O.P.: [lacht]
Du weißt doch, wie wenig ich über die Daten meiner eigenen Aufnahmen sagen kann. Du kennst dich da viel besser aus, denn man sagt ja, diesbezüglich seist du der wirkliche Experte. Aber nach meiner Erinnerung begannen die Sessions, kurz nachdem Norman Verve an MGM verkauft hat.

AvK:
Dann wäre das ja im Jahre 1961 gewesen.

O.P.: [lacht wieder]
Wenn du das so sagst … Also Norman verkaufte zwar seinen Laden, blieb aber mein Manager und auch der Manager von Ella [Fitzgerald]. Er hatte ein Haus in Genf gekauft und arrangierte nach Einstellung der Jazz at the Philharmonic-Konzerte von dort aus neben anderem auch unsere Konzert-Tourneen in Europa . Ich glaube, das begann in …[dann zeigte er mit dem Finger auf mich und lachte]

AvK:
1957, im April glaube ich.

O.P.:
Korrekt!

AvK:
Nur um ganz sicher zu gehen: ich denke, dein erstes Haus-Konzert war in 1963.

O.P.:
Nun, wo du es sagst, glaube ich, du hast Recht. Übrigens kann ich mich jetzt lebhaft daran erinnern, wie es kam, dass dieses Konzert eigentlich viel zu spät anfing. An diesem Abend gaben wir nämlich ein Konzert in Zürich, zusammen mit Ella und Little Jazz [Roy Eldridge]. Es war eines unserer "An Evening with Ella & Oscar"-Konzerte, aber nichts klappte so, wie wir es geplant hatten. Nebenbei bemerkt war Norman nicht zugegen.

Du kennst ja Ella. Vor ihren Auftritten war sie immer eine Art Nervenbündel, aber einmal auf der Bühne gab sie sich mit Körper und Seele ihrem Publikum hin.

Das Trio bestritt den ersten Teil des Konzertes. Dann kam Roy wie gewohnt mit seinen "high notes" und zuletzt trat Ella auf.

Das Konzert begann verspätet wegen des schlechten Wetters, es war eiskalt und ein Schneesturm tobte.

Zum Ende des Konzertes war es wie immer: Ella blieb auf der Bühne und das Trio kam zurück, zusammen mit Roy. Fast immer spielten wir zum Finale "It don`t mean a thing".

Doch das Publikum wollte uns nicht gehen lassen und verlangte nach weiteren Zugaben. Und natürlich gab Ella den Konzertbesuchern das, was sie sich wünschten, obwohl wir ja noch einen Termin in Villingen hatten. Wenn sich solche Dinge ereigneten, kam gewöhnlich Norman aus den Kulissen hervor und zog Ella von der Bühne. Nur war diesmal Norman nicht anwesend.

Du kannst es glauben, oder auch nicht, aber wir mussten 5 Zugaben geben. Schließlich war ich es, der das Konzert beendete und das Trio eilte zu den wartenden Autos. Da war es aber schon nach Mitternacht, und zu dieser Zeit hätten wir eigentlich schon in Villingen sein sollen.

Normalerweise dauert die Fahrt von Zürich nach Villingen etwa eine Stunde, vielleicht auch etwas länger. Aber wie schon gesagt, es tobte ein Schneesturm und die Straßen waren eisglatt. Schließlich kamen wir aber doch noch in Villingen an und spielten dort bis 4:30 Uhr in der Frühe.

AvK:
was genau hat euch in Villingen erwartet?

O.P::
Hans Georg Brunner-Schwer hatte etwa 30 Gäste zu sich in sein Wohnzimmer geladen. Das Wohnzimmer hatte in etwa die Größe dieses Raumes [Oscar zeigte dabei auf die Umrisse der riesige Suite im "Des Indes", diesem berühmten Hotel in Den Hague, wo das Interview stattfand], wahrscheinlich war es sogar etwas größer. Denk dir eine Hotel-Lobby, dann hast du die richtige Vorstellung.

Seinen Kontrollraum hatte HGBS im Obergeschoss in einem der Schlafzimmer. [Hier irrt sich Oscar, der Kontrollraum befand sich unter dem Dach.] Als unser Konzert begann, verließ Hans Georg das Wohnzimmer und lief nach oben.

AvK:
Hattest du zu diesem Zeitpunkt eine Vorstellung von der herausragenden technischen Qualität der Aufnahmen?

O.P.:
Nach dem ersten Set bin ich nach oben gegangen, um zu hören, was Hans Georg aufgenommen hatte. Um ehrlich zu sein: ich war ziemlich skeptisch, als ich sah, wie nahe er die Mikrophone oberhalb der Saiten und Hämmer im Flügel platziert hatte.
Aber als ich dann hörte, was er da aufgenommen hatte, konnte ich meinen Ohren kaum glauben. Wie du weißt, habe ich mein eigenes Studio in Mississauga [Oscars Wohnsitz], und natürlich habe ich in meinem Leben noch manch anderes Aufnahmestudio gesehen. Aber niemals zuvor hatte ein Klavier derart schön geklungen.

Alle Details waren eingefangen, in voller Stereobreite, und man konnte sogar hören, wann und wie ich die Klavier-Pedale benutzt hatte. Das war wirklich ganz unglaublich.
Tatsächlich habe ich dann auf Grund dieser wunderbaren Aufnahmen auch sofort zugesagt, als mich HGBS nach den Aufnahmen fragte, ob ich im nächsten Jahr erneut ein Konzert in seinem Hause geben würde.

AvK:
Nach meiner Meinung bewegen sich diese Sessions in Villingen nicht nur auf technisch höchstem Level, sondern du und das Trio wart zudem selten entspannt und inspiriert trotz eures gewaltigen Europaprogrammes.

O.P.:
Ja, das berührt einen interessanten Aspekt. Wie ich schon gesagt habe [während des Interviews], fühle ich mich in einem Studio ganz allgemein nicht gerade wohl. Aber hier in Villingen war das völlig anders.

Denn das ganze hatte eine häusliche Atmosphäre. Natürlich war es nicht mein Haus, aber es hatte durchaus etwas von einem Zuhause. Der kleine Zuhörerkreis und die ganze Stimmung vermittelten uns den Eindruck, dass wir von lauter Freunden umgeben waren.

Hans Georg wurde wirklich ein enger Freund und ich habe eine Menge von ihm über Aufnahmetechniken gelernt.

Ich habe schließlich überhaupt nicht mehr an die laufenden Tonbänder gedacht. HGBS investierte dermaßen viel in diese Aufnahmen, dass er sogar nach der ersten Session den gleichen Flügel [Steinway] beschaffte, den ich zu Hause spielte.

Die ganze Atmosphäre war entspannt, seine Freunde waren ehrlich interessiert und soweit ich mich erinnern kann, hat niemand eine Aufnahme durch Husten ruiniert.
Speisen und Getränke waren absolute Spitze und HGBS`s Frau Marlies war eine brillante Gastgeberin.

Weißt du, auch wenn ich mit den besten Vorsätzen ins Studio gehe, finde ich das Ganze doch eher ziemlich technisch geprägt. Aber in Villingen war alles ganz anders.

Wie du weißt, veränderte sich die Zusammensetzung des Trios mehrfach während der folgenden jährlichen Besuche in Villingen. Aber ich wusste - und das wird dich nicht wundern - schon im Voraus, dass die Aufnahmen großartig werden würden. Tatsächlich habe ich mich später im Verlaufe der Europatourneen immer wieder auf unsere Stops in Villingen gefreut.

In den nachfolgenden Jahren habe ich darauf geachtet, dass wir länger in Villingen bleiben konnten. Manchmal waren wir mehrere Tage dort und wurden behandelt wie Gäste und gute Freunde der Familie.

AvK:
Aber eigentlich konnte doch niemand diese wundervolle Musik hören. Mindestens nicht bis 1968, als dein Vertrag mit Mercury/Limelight endete und du einen Vertrag mit MPS, HGBS`s neuer Firma abgeschlossen hattest.

O.P.:
Das ist wahr. Aber es gab da noch andere Gegebenheiten, die beachtet werden mußten. So sprachen wir ja schon darüber, dass Norman Verve an MGM verkauft hatte. In dem Kaufvertrag aber war eine Klausel, dass er künftig keine weiteren Aufnahmen machen dürfe. So konnte er viele Jahre lang nicht mehr im Aufnahmegeschäft mitmischen, was ihn total blockierte.

Nach Ende des Vertrages und nach vielen Jahren ohne eigene Aufnahmetätigkeit plante er einen neuen Musikverlag. Allerdings konnte er erst zu Beginn der 70iger Jahre [1973] seine neue Firma gründen, die dann – wie du weißt – unter dem Namen Pablo bekannt wurde.

Wir besprachen diese Situation und Norman meinte zu mir: "Du solltest nicht so viele Jahre ohne eigene Aufnahmen bleiben. Warum also geben wir ihm [gemeint war HGBS] nicht die Erlaubnis, einiges aus seinem Material zu veröffentlichen."

Genau so also hat das Ganze begonnen ...

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Sleeve 4-LP E.f.m.f. englische Ausgabe

Plattenhülle einer englischen 4-LP-Ausgabe von "Exclusively For My Friends"

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Artikel: Arnold van Kampen, © 2011

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443. O.P. announcing 2

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"Exclusively For My Friends"

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